Fakten:
Gloria
Chile, Spanien. 2013. Regie: Sebastián Lelio. Buch: Gonazalo Maza, Sebastián Lelio. Mit: Paulina Garcia, Sergio Hernández, Coca Guazzini, Antonio Santa Maria, Diego Fontecilla, Hugo Moraga, Alejandro Goic, Marcial Tagle, Luz Jiménez u.a. Länge: 109 Minuten. FSK: freigegebe ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Gloria ist eine geschiedene Frau im besten Alter und will sich nicht damit abfinden, dass sie nun ohne Ehemann und mit Kindern, die längst eine eigene Familie gegründet haben, die meiste Zeit alleine verbringt. Auf der Suche nach einer neuen Liebe geht sie auf Partys und Singletreffen. Doch meistens springt dabei nur ein einmaliges, sexuelles Abenteuer raus. Dann trifft sie den etwas älteren Rudolfo, einen ehemaligen Offizier.
Meinung:
Schaut man sich die Frauenfiguren der letzten Jahre im Populärkino an, so könnte man meinen, die großen Studios hätten keinerlei Interesse daran, auch weibliche Charaktere zu erschaffen, die Abseits von gängigen Abziehbildcharakterisierungen funktionieren. 2013 gab es im trendbestimmten Blockbustersommer nur einen einzigen Film, der eine wirkliche, weibliche Hauptrolle zu bieten hatte („Taffe Mädels“). Noch enttäuschender wird es, wenn der Blick gen den Rollen geht, die die 40 bereits überschritten haben. Alles was da übrig bleibt, scheinen eindimensionale Mutterrollen. Dabei bleiben klischeelose Auseinandersetzungen mit dem Alter und der eigenen sowie gesellschaftlichen Vergangenheit meist wehmütige Wünsche, die nicht erfüllt werden (auch wenn Robert Redfords „The Company you keep – Die Akte Grant“ eine sehenswerte wenn auch ziemlich schwerfällige Ausnahme darstellt).
Allein zu sein ist scheiße
Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio hat nun mit „Gloria“ einen Film inszeniert, der sich mit großer Wahrhaftigkeit dieser Thematik annimmt. Dabei ist ihm ein so unterhaltsamer wie unaufgeregter und über alle Facetten hinaus lebensbejahender Filme gelungen, der die Schönheit des Alters genau so unprätentiös wiedergibt wie die dunklen Stellen und teils unschönen Wahrheiten. Hauptdarstellerin Paulina Garcia brilliert dabei als Titelfigur. Sie ist das klare Zentrum und erfüllt diese Gloria mit Leben, Wärme und Menschlichkeit. Dabei bleibt Lelio immer ganz nah dran an ihr. Egal ob sie im Auto singt, an einer Bar versucht Kontakte zu knüpfen oder sexuelle Sehnsüchte bei einem One Night Stand auslebt. Trotz dieser klaren Fokussierung und dem Verzicht Ebenen ihres Alltags auszuklammern, verfällt Lelio niemals in eine voyeuristische Sicht. Dabei besticht „Gloria“ vor allem durch eine nüchterne Inszenierung, die unprätentiös aber dennoch auf ihre ganz eigene, fast schon naturalistische Art und Weise, stilvoll wirkt. Dies liegt zu großen Teilen einfach auch an Paulina Garcia. Diese Frau ist einfach eine Sensation. Sie erfüllt die Rolle der Gloria so wunderbar facettenreich und verleiht ihr eine natürliche Würde. Dass sie dafür im letzten Jahr den silbernen Bären gewann, ist da eigentlich keine Sensation, sondern mehr eine Selbstverständlichkeit.
Rudolfo und Gloria wissen ihre gemeinsame Zeit zu nutzen
Gewiss, Garcias Spiel und Präsenz ist auch gekoppelt ans Drehbuch. Dieses erzählt eine Geschichte, die als reine Charakterstudie wunderbar funktioniert und innerhalb dieser Mechanik noch einen Blick auf das Chile von heute wirft, welches sich mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt. Dies wird überdeutlich, wenn Gloria und der ehemalige Offizier Rudolfo zueinanderfinden. Es sind Altlasten, menschliche wie auch politische, die diese frische Liebe gefährdet. Sichtbar wird dies nicht nur durch aufrichtige, lange Dialoge, die oftmals von einer ehrlichen Melancholie getragen werden, sondern auch durch dezidierte Beobachtungen von Glorias Alltag. Manchmal wirkt Gloria fast wie verloren in diesem Tumult aus Vergangenheit, Liebeschaos und Gegenwart, doch sie gibt nicht auf. „Gloria“ versteht sich dabei nicht als Drama, es ist viel mehr eine Zelebrierung. Die Zelebrierung einer 58-jährigen Singlefrau, die es nicht einsieht sich mit der Einsamkeit abzufinden. Sie verlangt dabei nicht Almosen aus Aufmerksamkeit. Sie nimmt die Sache selbst in die Hand, auch wenn Enttäuschungen und Rückschläge sie genauso hart treffen wie jeden anderen und genau deswegen rührt, erfreut und begeistert Lelios Film. Gloria ist eine Kämpferin und ihre Geschichte ist eine pure Ode an die Lebensfreude, mit all ihren Höhen und Tiefen,hellen Stellen und dunklen Flecken.
Sebastián Lelios „Gloria“ ist ein, trotz seiner eher zurückhaltenden Natur, berauschender Film. Kein falsches Alterspathos, intensiv erzählt - vor allem dank einer grandiosen Hauptdarstellerin – und trotz dramatischer Gewichtungen doch bezaubernd und freudvoll. Es geht also doch. Es ist also doch möglich weiblichen, älteren Frauenrollen mehr zu entlocken als das ewig Gleiche. Jetzt müsste das Mainstreamkino endlich einmal den Mut besitzen und seine Akteurinnen der Generation 50+ auch so ein Geschenk machen.
8 von 10 haarlosen Katzen