Review: Fack Ju Göhte – Verschenkte Chancen und Humor für YOLOs

Erstellt am 7. Dezember 2013 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln


Fakten:Fack Ju GöhteDeutschland. 2013. Regie und Buch: Bora Dagtekin. Mit: Elyas M’Barek, Karoline Herfurth, Katja Riemann, Jana Pallaske, Alwara Höfels, Jella Haase, Max von der Groeben, Anna Lena Klenke u.a. Länge: 118 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Im Kino.
Story:
Gangster Zeki Müller kommt nach 13 Monaten aus dem Gefängnis frei. Um alte Schulden zu bezahlen, sucht er seine damalige Beute, die von Zekis Freundin in einer Baustelle vergraben wurde. Doch heute ist da keine Baustelle mehr, sondern die Turnhalle der Goethe-Gesamtschule. Für den cleveren Zeki doch scheinbar kein Problem. Er braucht nur den Schlüssel, um nachts nach dem Geld graben zu können. Durch einen Zufall wird er als Aushilfslehrer an dieser Schule angestellt. Doch die Schüler da rauben ihm den letzten Nerv.

Meinung:
Es ist, oder es sollte zumindest jedem klar sein, dass unsere Schulen und unser Bildungssystem den Bach runtergehen. Lehrer ist sowieso mittlerweile einer der undankbarsten Jobs überhaupt. Stress ohne Ende, täglich mit zu vielen Kindern pro Klasse einen viel zu vollen Lehrplan abarbeiten, dabei über Provokationen hinwegsehen, Probleme der Schüler erkennen, sie erziehen, bilden, individuell fördern. Und das alles, während in der Öffentlichkeit ein Bild gezeichnet wird von verklemmten, stur nach Schema F vorgehenden Korinthenkackern mit Stock im Arsch, die auch noch viel zu viel Freizeit haben (Stichwort: nur vormittags arbeiten und dann auch noch ständig Ferien), eher weltfremd sind und dafür zu viel verdienen. Und dieser Film, der ist nicht gerade hilfreich, dieses negative Bild des Lehrers zu verändern.

Interessanter Ort für die Unterrichtsvorbereitung

Gut, den Anspruch hat er auch nicht. Er will kein realistisches Bild eines Lehrers zeigen. Aber dennoch ist es ärgerlich, wenn dadurch impliziert wird, jeder dahergelaufene Idiot könne Lehrer werden, wenn er nur cool genug ist. Oder wenn er auf Vorgaben scheißt. Natürlich ist es wichtig, einen Draht zu den Schülern aufzubauen. Aber so wie das im Film gezeigt wird, das ist nur noch traurig. Moment, ganz so ist es ja auch wieder nicht. Es werden sogar manche echte, wahre Aspekte angedeutet, aber das eigentlich viel zu kurz und wenn, dann wird nicht lange darauf dieser Funken Wahrheit entweder einfach als belanglos und unwichtig auf die Seite gespült oder durch einen, wenigstens oft originellen Witz ad absurdum geführt.
Die Streiche und einige Gags sind wahrscheinlich das einzige, von denen niemand behaupten kann, sie seien nicht gelungen. Sie sind oft sehr rasant, sowieso gut platziert und durchaus auch ziemlich kreativ. Klar, da ist auch der Pennäler-Humor mit dabei, der schon bei den Lümmel-Filmen in den 60ern funktioniert hat, aber er hat eine notwendige Generalüberholung erhalten und wurde für unsere Zeit angepasst. Leider sind die guten Gags immer wieder durch extrem derbe Sprüche durchzogen. Was soll das, dieses ewige Fotze, Schlampe, Scheiße, Ficken, Blasen, Schwanzwichsarschschwulassi-Gelaber? Warum kann man die originellen, rasanten Gags nicht einfach mal konsequent durchziehen und muss wieder auf einen solchen Scheiß zurückgreifen? Gut, wahrscheinlich weil es beim Zielpublikum funktioniert! Sagt nicht mal so viel über den Film aus, der setzt es ja clever ein, sondern eher über das Publikum, das diese sich ewig wiederholenden, meist leicht abgewandelten Fäkalgags und -sprüche abfeiert, als ob es kein Morgen gäbe. „Fick ne Nutte für misch mit.“ Brüller.

Bei schwierigen Klassen hilft nur schweres Geschoss

Überhaupt: Es gibt keinen einzigen normalen Menschen in diesem Film. Keinen einzigen. Zeki ist ein Betrüger, ein Arschloch, brutal, eklig und kommt mit allem durch. Die Schüler sind entweder die größten Assi-Arschlöcher aller Zeiten oder so süße kleine Engelchen, dass, wenn man sie aufschlagen würde, nur noch Schleim aus ihnen trieft. Die Lehrer, ach, es ist so traurig. Der sächsische Kulturfetischist ist da noch der normalste. Aber egal ob die Direktorin oder die Schnabelstedt, solche Lehrer gibt es nicht in freier Wildbahn. Alles ist so vollgepackt, so sehr übertrieben, so bunt, laut, schrill und eklig, dass das irgendwann nicht mehr feierlich ist. Für die "Generation YOLO“, die eh jeden Scheiß ohne nachzudenken abfeiert, ist das natürlich ein Fest. Aber jeder, der durch Reizüberflutung nicht nur noch Matsch in der Birne hat, der kann doch nicht ernsthaft das hier so uneingeschränkt gutheißen, oder? Und ich gehöre dann vielleicht doch eher zu „Carpe Diem-Fraktion“.

Es geht doch auch anders!

Die Geschichte ist auch total gaga, geklaut von „Größen“ wie „Der Diamantencop“ oder den bereits angesprochenen Lümmel-Filmen oder einigen in Deutschland sehr beliebten RomComs. Gut, aber die Geschichte ist hier ja sowieso egal. Darum ist es auch egal, dass es ausreicht, den Schülern nur mal zwei Hartzer, einen Junkie und einen Nazi zu zeigen und schon ist alles gut, schon sind sie wie verwandelt und wollen ihr Leben doch noch irgendwie auf die Reihe kriegen. Drauf geschissen, wenn den Machern die Geschichte schon egal ist, dann soll sie mir auch egal sein. Die neuesten sowieso immer gleich klingenden Popsongs werden genauso übertrieben laut und unpassend eingesetzt wie in anderen Genrevertretern. Dafür harmonieren M’Barek und Herfurth sehr schön miteinander, wohl gerade weil sie die totalen Gegensätze sind. Und sofern man nichts gegen Overacting hat, so wird man auch die Schauspielleistungen allgemein zu schätzen wissen.
Insgesamt gäbe es genügend Gründe, diesen Film zu hassen. So viele Klischees, dass man kotzen möchte, schwer geistesgestörte Schüler und Lehrer, Übertreibungen über Übertreibungen, knallbunte und schrille Optik, sodass die Augen am liebsten platzen würden und die angesprochene Bestätigung des Lehrerbilds für die Öffentlichkeit. Aber irgendwie war der Film dann doch so kreativ, dass man ihn zwar noch immer schlimm findet, man ihm aber nicht richtig böse sein kann. Und vor allem: immer wieder hatte er ein Fünkchen Wahrheit mit dabei. Er sagt, wenn auch nur kurz, sehr ironisch und versteckt, was bei uns falsch läuft. In der Gesellschaft, in den Schulen, im Bildungssystem, bei der Erziehung. Aber das ist eben leider immer nur sehr kurz der Fall. „Fack Ju Göhte“ dürfte, besonders für die YOLOs, eine saukomische, unterhaltsame Komödie sein. Für mich ist es eben nur ein ganz guter Ansatz mit ein paar kreativen und witzigen Schmunzelmomenten, die durch Klischees, Übertreibungen und viel Scheiße schnell wieder kaputt gemacht werden. Oder anders ausgedrückt: Die Fotzen ein bisschen runterfahren, die Fakten ein bisschen hinauf und der Film wäre wirklich klasse gewesen. Ja, wäre geworden. Irrealis.

4,5 von 10 grenzdebile Vollhonkschüler