Review: DRACULA JAGT MINI-MÄDCHEN - Ein aus der Not geborener Glücksfall

Erstellt am 28. Juni 2015 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

Fakten:Dracula jagt Mini-Mädchen (Dracula A.D. 1972)GB, 1972. Regie: Alan Gibson. Buch: Don Houghton. Mit: Christopher Lee, Peter Cushing, Stephanie Beachman, Christopher Neame, Michael Coles, Marsha A. Hunt, Caroline Munro, Janet Key, William Ellis, Philip Miller, Michael Kitchen u.a. Länge: 93 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:Mal wieder hat Dr. Van Helsing seinem alten Widersacher Graf Dracula den Garaus gemacht, diesmal soll für 100 Jahre Ruhe sein. Im London des Jahres 1972 erweckt eine Gruppe Twens im Drogenrausch den Fürst der Finsternis wieder zum Leben. Ein Mitglied der Clique: Jessica Van Helsing. Ihr Großvater ahnt nach den ersten Todesfällen schnell, wer da wieder aufgetaucht ist. Und auf wen er es abgesehen hat…

Meinung:„Großvater, ich will dir ein Geständnis machen, wenn es dich beruhigt: LSD habe ich noch nie geschluckt. Ich habe auch noch nie gespritzt und ich schlafe auch noch nicht mit jedem bis jetzt.“
Das „bis jetzt“ ist doch mal ein Brüller…
Ganz neue Alltagsproblematiken im Hause HAMMER, was ist denn da los? Nun, das Studio sah sich gezwungen alternative Wege zu gehen. Die Zuschauer blieben weg, das Geld wurde (noch) knapp(er) und wenn einer das sinkende Schiff noch retten konnte, dann natürlich Dracula. Christopher Lee wurde gegen seinen Willen erneut vor den Karren gespannt (er war einfach zu gutmütig: Die Studiobosse argumentierten mit bereits verkauften Rechten und wie viele Arbeitsplätze daran hängen würden, Lee gab nach) und erstmals seit dem Original von 1958 gab es einen gemeinsamen Dracula mit Peter Cushing, der nur 1960 in „Dracula und seine Bräute“ wieder als Van Helsing zu sehen war, dem einzigen Film der Reihe ohne Lee. Nur eine berechtigte Frage stellte sich: Quo vadis, Dracula?

Es ist angerichtet...

Nach nunmehr fünf Sequels mit dem immer gleichen Muster (ausgenommen „Dracula und seine Bräute“, der sich nur bedingt in die Serie einordnen lässt) – der eigentlich endgültig besiegte Dracula steht durch ein Ritual wieder auf oder ist einfach nie weg gewesen, warum auch immer – und der nicht nur daraus resultierenden, absteigenden Qualität der letzten Filme („Das Blut von Dracula“ und „Dracula – Nächte des Entsetzens“ entstanden als Fließbandproduktionen 1970 direkt nacheinander, was man deutlich merkt) war ein neues Konzept gefragt. Schon wieder den Grafen in seiner Burg und dem üblichen Drum und Dran, das wollte keiner mehr sehen. Also nun „Dracula A.D. 1972“ oder unter dem wunderschönen deutschen Titel „Dracula jagt Mini-Mädchen“, der dem Endprodukt fast gerechter wird. Nachdem der Prince of Darkness zum letzten Mal am Rad gedreht hat (herrlich theatralisch und im Sinne der folgenden 90 Minuten leicht absurd vorgetragen) und auch Van Helsing letztlich in die Kiste gekommen ist, folgt der radikale Cut: Ein Flugzeug, die roten Doppeldecker, willkommen in London, anno 1972. Kein Blitz und Donner, keine hutzeligen Bauerndörfer im Schatten der Schreckensburg und kein Heulen der Kinder der Nacht. Hier wird Dope geraucht, kesse Bienen tanzen in flotten Hotpants zu Hottentotten-Musik und es wird gegen das spießige, britische Establishment rebelliert.

Da müssen wir mal eine Blutprobe nehmen...

Hier hängt der Hammer an fremder Stelle. Schon vorher spielten Filme des Studios zwar in der Gegenwart, jedoch nie so, weit entfernt von klassischen Modellen, mitten drin im Swinging-London. Das ist ungewohnt und von Dracula lange keine Spur. Selbst als sich Christopher Lee endlich aus seinem Ruhestand erhebt (natürlich: Durch ein Ritual) wirkt er trotz seiner gewohnt erhabenen Gestalt total deplatziert. Doch gerade dieser merkwürdige Kontrast zu der eingeschlafenen HAMMER-Methodik hat einen skurrilen Reiz. Das „Dracula jagt Mini-Mädchen“ eine aus der Not geborene Verzweiflungstat ist, lässt sich kaum schön reden und ist überdeutlich zu erkennen. Offensichtlich war sich keiner sicher, was man aus der neuartigen Prämisse überhaupt machen sollte. Nüchtern ist der Film niemals konsequent, weder in seiner Inszenierung, noch in seiner kaum zu definierende Intention. Der Clash von Klassik und Moderne wird dadurch erstaunlich gut präsentiert, ob das immer freiwillig ist, bleibt zu bezweifeln. Mal total unverkrampft, locker-lässig planlos aus der Hüfte geschossen, teilweise sogar gezielt ironisch, dann aber sich wieder im Ansatz auf den Geist der alten Filme berufen wollen, was eher von einer Unsicherheit im Umgang mit der Materie zeugt, trotzdem einen ungemeinen Charme hat. Ungewollt – oder eher in der Form unabsichtlich - ist „Dracula jagt Mini-Mädchen“ dadurch die beste Fortsetzung seit dem hervorragenden „Blut für Dracula“ (1966) geworden. Selbst der Score hat keine klare Linie, wechselt von Swing und Funk stellenweise urplötzlich zu Orgel-Grusel-Musik, das passt gar nicht und gerade dadurch doch.
Christopher Lee hat zudem die kürzeste Screentime aller bisherigen Dracula-Filme (das toppte nur noch der letzte, folgende Teil „Dracula braucht frisches Blut“, bei dem sowieso alles in die Hose ging), dafür darf Peter Cushing das Feld größtenteils beackern. Kein Problem, auch wenn es dadurch relativ wenig Vampir-Action gibt, zumindest in der ersten Hälfte. Da macht „Dracula jagt Mini-Mädchen“ auch lange nicht so viel Spaß wie später, richtig zieht der eh erst in der letzten halben Stunde an. Vorher ist sehr deutlich, wie schwach das Skript eigentlich ist, das spielt hinterher gar keine Geige mehr. Durchgehend super ist Christopher Neame in der Rolle des Johnny Alucard (!), der als (zunächst) menschlicher Antagonist von Optik und Auftreten leicht an Malcolm McDowell alias Alex in „Uhrwerk Orange“ erinnert. Der macht nicht nur eine gute Figur, er liefert auch noch eine Duschszene ab, die Janet Leigh Konkurrenz macht. Also, zumindest fast. Fast ist das Stichwort: Fast ist „Dracula jagt Mini-Mädchen“ eine Parodie, fast ist er eine Hommage und fast ist er ein ernstgemeinter Gruselfilm, die Grenzen verschwimmen. Nach dem etwas zu behäbigen Start in einer schrulligen, sehr herzlichen Konstellation. Ob Draculas Augen im Finale nun diabolisch-blutrot sind oder ob zu viel Hasch in der Luft lag, es bleibt diskussionswürdig. Hier lief bestimmt nicht alles wie mal angedacht (oder es wurde nicht viel nachgedacht), aber es funktioniert. Das negative, schauderhafte Gegenbeispiel erschien im folgenden Jahr und beerdigte den HAMMER-Lee-Dracula endgültig. Fatal, dies hier wäre ein würdiger Abschluss gewesen. Ein Exot in seinem Universum, der dadurch nicht alles, aber einiges richtig macht. Definitiv zu diesem Zeitpunkt.
6,5 von 10 Spatenstichen