Fakten:
Divergent – Die Bestimmung
USA. 2014. Regie: Neil Burger. Buch: Vanessa Taylor, Evan Daugherty, Veronica Roth (Vorlage). Mit: Shailene Woodley, Miles Teller, Kate Winslet, Theo James, Ashley Judd, Maggi Q, Jai Courtney, Zoe Kravitz, Tony Goldwyn, Mekhi Phifer, Ben Lamb u.a. Länge: 139 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Im Kino.
Story:
In der Zukunft bestimmt ein neues Gesellschaftssystem die Welt. Jeder Mensch wird in eine von fünf Kasten kategorisiert. Um herauszufinden welche das ist, muss jeder Teenager einen komplexen Test durchlaufen. Tris, frische 16 Jahre alt, meistert ihren Test, doch kommt dabei heraus, dass sie eine Unbestimmte ist, die in jede Kaste aufgenommen werden könnte. Da Unbestimmte als Bedrohung angesehen werden und Tris sich von niemanden mehr vorschreiben lassen will, wie ihr Leben auszusehen hat, schließt sie sich dem Untergrund-Widerstand an.
Meinung:
Dystopische Jugendroman-Verfilmungen haben sich ja jüngst zum eigenen Genre etabliert. Dass sich deren narrative Grundessenz seit Klassikern wie "1984"' und mittelmäßig-abgeleiteten Stoffen wie dem „Aeon Flux“-Film oder „Equilibrium“ nur wenig variiert hat, scheint das Zielpublikum offenbar wenig zu stören, wohlgemerkt aber eher Regisseur Neil Burger in dieser seiner Adaption eines solchen YA-Werkes. Zwar routiniert, aber allenfalls zweckmäßig behandelt er die ewig gleiche Mär vom subversiv-faschistischen 'Glückseligkeits-Staat', unter dessen Oberfläche Verschwörungen zum Genozid der Unangepassten vorbereitet werden. Dies ist erneut eine Gesellschaft, in der alle abgestumpft gleichgeschaltet werden, wo jeder Einzelne durch einen Persönlichkeits-Test suggeriert bekommt, in welche streng-definierten Gruppen er eintreten sollte.
Mutproben sind auch in der Zukunft immer noch hip
Das klingt wie eine Horrorzukunft unter Scientology - was von Burger entsprechend glattgebügelt, monochrom-gefärbt und ernüchternd-bodenständig aufgebaut wird - und diese ist zurecht in Aufruhr, sobald sich unter den gemäßigten Teens im eingezäunten, halb-zerstörten Chicago jemand befindet, der in keine Gruppe passt, sein eigener Herr, divergent ist! Am Beispiel von Shailene Woodley als Titelfigur Tris erleben wir diese Erkenntnis, die vorerst ein Geheimnis bleiben soll. Weil sie nun insgeheim freie Entscheidungsgewalt inne hat, entscheidet sie sich für ein Leben bei den militanten Aufpasser-Teens, weil diese „West Side Story“-artig überall hip Parkour-Jumpen, Klettern und für Gerechtigkeit sorgen. Das Training ist hart und die Laufzeit des Films ebenso vorwiegend darauf eingestellt - eine Ambivalenz zu den Methodiken macht sich bei Tris schon bemerkbar, doch Freundschaften und die anbahnende Liebe zum Gruppenleiter Four (Theo James) bringen emotionale Entlastung in diesem Boot-Camp-Ambiente.Kate Winslet ist auf der Jagd
Zunächst scheint sie aber noch zu schwach zu sein, um die maßgeblichen Tests zu bestehen, doch ihr insgeheimer freier Wille bahnt sich seinen Weg hindurch zur Oberliga, wobei sie jedoch vom gnadenlosen Komplott der inneren Gleichschaltung erfährt (siehe auch: “Universal Soldier“), bei dem sie und ihre Freunde natürlich aus der Reihe tanzen und zurückschlagen. Der Schluss generiert sich wie erwartet zum bewährten Shootout-Spektakel des Non-Konformismus gegen 'the man', wobei die Verhältnisse natürlich nicht so drastisch umgewälzt werden, dass man im Nachhinein nicht noch eine Fortsetzung daraus basteln könnte. Neil Burger hat sich seitdem allerdings vom potenziellen Franchise verabschiedet und man kann seinen Unmut durchaus nachvollziehen, alleine wenn man bemerkt in welche Momente er den meisten Enthusiasmus hineingesteckt hat. So lag ihm offenbar die Darstellerführung besonders am Herzen, so gemäßigt und dennoch glaubwürdig sein beinahe durchweg junger Cast agiert. Im Mittelpunkt steht dabei Newcomerin Woodley, welche mit ihren sehnsüchtigen Kulleraugen und schüchterner Körpersprache stets ein nachvollziehbares Gefühl der Unsicherheit unter jenen harten Umständen ausdrückt. Da ist Burger auch immer ganz nah an ihr dran, geht auf Tuchfühlung mit jeder Pore, erst recht sobald sie unvorbereitet Herausforderungen des Springens, des Schießens und des Boxens bewältigen muss (sowieso: massig Frauen-Keile am Start) - wie grundsympathisch das fesche, neugierige, zwar noch etwas verschämte, aber allmählich sich-selbst-beweisende Mädel dabei doch rüberkommt. Wenn sie die Strapazen der Ausbildung allerdings bewältigt, zeigt Burger sein exzellentes Gespür für Euphorie, die am Stärksten in jener Szene wirkt, in welcher Tris am Seil über die Reste Chicagos schwebt, währenddessen Ellie Goulding oder wer auch immer auf dem Soundtrack jugendlich-schwelgerischen Pop-Esprit anstimmt.Auch bei "Divergent" darf die Liebe nicht fehlen
Schon in „Ohne Limit“ bewies Burger sein Engagement für vergnügten Adrenalin-Drive an seiner visuell berauschenden Schlaumeier-Wunderdroge mit dem genialen Durchblick. Jene Virtuosität mit Sinnes-verstärkenden Mitteln findet ebenso in diesem Film ein Ventil, sobald Tris sich den halluzinatorischen Prüfungen stellen muss, auf psychotronisch-surreale Hilfsmittel zurückgreift (scheinbar auch Masturbation, obwohl sie daraufhin der imaginären sexuellen Besitznahme in die Eier tritt) und somit Klassenbeste wird – „Inception“ und „Matrix“ hinterlassen also noch immer ihre Spuren. Dass der formelhafte Plot ihn dabei immer wieder auszubremsen gedenkt, ist leider die größte Crux und entlädt sich schließlich in einem Finale (bei dem auch Tris' quasi identische Mutter Ashley Judd mitmischt), dass zu viel Drama auf einmal erzeugen will, obwohl die wirkenden Charaktere sich bei uns hauptsächlich in ihrer Zeit der Ausbildung und Prüfungen äußerten, nicht aber unbedingt, wie es ihnen zuvor erging - zu dem Zeitpunkt war die gleichgültige Weltenbildung nämlich eher im Fokus.Tris kann viel, nur Macarena tanzen gehört wohl nicht dazu
Dabei könnte man gerade ohne den ganzen Zukunfts-Ballast mit seinen abgedämpften Interieurs und seinen mickrigen Phaser-Knarren wunderbar auskommen; eine u.U. spannendere Geschichte erzählen, die nicht mal unbedingt die Durchsetzungskraft in militärisch-futuristischen Strukturen aufzeigen muss, als Coming-Of-Age-Storyline ohnehin mehr innerliche, charakterliche Konflikte beackern sollte, als jene der erneuten Lager-than-Life-Menschheitsrettung mit Junkie-XL-Instant-Score - man wünscht sich einfach erstmal nur mehr Liebe zu den Menschen auf der Leinwand und Burger hat hierbei sogar einige schön einfache, doch innige Bilder gefunden, die als Star Vehicle für die Woodley ihrem schmusebedürftig-charmanten Auftreten sowie ihrer vorsichtig-mutigen & hoffnungsvoll-bitteren Charakterentwicklung vollends gerecht werden. So bleibt aber in der Zugabe des kämpferischen Drangs unserer Protagonistin, trotz aller erwünschter Frauenpower, ein unentschlossener Nachgeschmack in der Abwägung von Faszination & Kritik an militärischer Gruppenzugehörigkeit in dieser Sci-Fi-Hierarchie. Totalitarismus entpuppt sich zwar durchaus als das abgrundtief-Böse, das Training zum Kampfe erhält hier jedoch durchaus eine Berechtigung, erst recht wenn man mit seinen Freunden in der Rebellion als Gruppe, als Team, als Liebhaber zurückschlägt. Dabei sollte doch gerade die selbstbestimmende, liberale Stärke des Individuums den Vordergrund bestimmen: auf eigenen Füßen stehen, die eigenen Probleme selbst meistern - hier wird daraus lediglich eine Aufstiegsanleitung für taktische Führungspersönlichkeiten im Namen der Gerechtigkeit und der wie gehabt hetero-sexuellen Liebe.Das entspricht zwar den Regeln des modernen Blockbuster-Eskapismus, jedoch nicht der eigentlich-homogenen Charakterentwicklung. So ist das nun mal scheinbar bei Buchadaptionen mit Franchise-Aussichten: viel Ablenkung darf man sich nicht erlauben, erst recht unter Summit/Lionsgate Fuchtel - Burger hatte dabei zwar seinen inszenatorischen Spaß mit der innewohnenden Euphorie, hat aber rechtzeitig die Notbremse gezogen, um aus dem fahrenden Zug gen Massentauglichkeit auszusteigen. Nun steht seine Tris ohne ihn da und starrt einer ungewissen Zukunft des Erwachsenwerdens entgegen, welche, so wie es aussieht, nur in brachialen & gleichsam bieder-bissfreien Standard-Spektakeln enden kann. Die bis dahin erlebten Aufstöße der Hoffnung und der leichtlebigen Romantik waren es aber wert, wenn es aber auch durchaus mehr hätten sein können.
5,5 von 10 Aufständischen
vom Witte