Review: DIE WAHRHEIT - Ein Lebensstil vor Gericht

Erstellt am 25. März 2014 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln



Fakten: Die Wahrheit (La vérité)
FR, IT, 1960. Regie: Henri-Georges Clouzot. Buch: Henri-Georges Clouzot, Simone Drieu, Michèle Perrein, Jérome Géronimi, Christiane Rochefort, Véra Clouzot. Mit: Brigitte Bardot, Sami Frey, Paul Meurisse, Charles Vanel, Marie-José Nat, Jean-Loup Reynold, André Oumansky, Claude Berri, Jacques Perrin, Barbara Sommers, Louis Seigner u.a. Länge: 125 Minuten. FSK: Freigegeben ab 18 Jahren. Keine aktuelle DVD oder Blu-ray Auflage.


Story:
Der 21jährigen Dominique wird der Prozess gemacht. Sie soll ihren Liebhaber, einen vielversprechenden Musik-Studenten, erschossen haben und hat sich im Anschluss versucht das Leben zu nehmen. Der Staatsanwalt und der Anwalt der Nebenklage kennen kein Erbarmen mit der Jungen Frau, rücken ihre freizügige Lebensweise in den Fokus, um sie als gewissenlose Mörderin dastehen zu lassen. Ihr Anwalt kämpft verbissen dagegen an. Es geht ihm weniger um einen Freispruch, mehr darum, den Ruf seiner Mandantin zu retten.



Meinung:In „Die Wahrheit“ geht es primär nicht um die Frage nach Schuld oder Unschuld, was man von einem Gerichtsthriller im ersten Moment erwarten könnte. Als reinrassigen Thriller lässt sich der Film ohnehin nicht bezeichnen, obwohl mit Herni-Georges Clouzot ein wahrer Meister dieses Fachs das Zepter schwinkt. Clouzot - der mit Hochspannungs-Filmen wie „Lohn der Angst“ oder „Die Teuflischen“ zeitlose Meisterwerke geschaffen hat, die auch heute den Puls noch in die Höhe treiben – inszeniert hier eine Trägödie, eine bittere Romanze ohne Happy End, gleichzeitig eine Sozial-Studie, alles vorgetragen im Gerichtssaal.

Das flotte Mädel und der Spießer.

Die bildhübsche Dominique scheint schon verurteilt, bevor die Verhandlung begonnen hat. Der Mord an ihrem Liebhaber ist unbestritten, doch um die reine Tat scheint es gar nicht zu gehen. Das Gericht, in erster Linie der erzkonservative Staatsanwalt und der gerissene Vertreter der Nebenklage, prangern deutlich ihren Lebensstil an, der in ihren Augen mehr als lasterhaft und ohne Frage die Wurzel allen Übels ist. Statt sich – wie ihre jüngere Schwester – der elterlichen Authorität brav unterzuordnen, einem geregelten, gesellschaftlich konformen Leben wie einem Studium nachzugehen, lebt sie in den Tag hinein, pflegt lockere Männerbekanntschaften, entspricht nicht dem, was damals als „normal“ und tugendhaft angesehen wurde. Noch vor der 68’er Bewegung und der offenen Rebellion der Jugend gegen die Werte der alten Generationen. Sie wird als die Sünde und Gewissenlosigkeit auf zwei Beinen dargestellt, die eh ohne Perspektive ausgestattet nun folgerichtig einen Mord begangen hat. Ein hoffnungsloser Fall, von Anfang an.


Liebe hat ihre Schattenseiten.

Das dies nur  plakative Vorwürfe sind, zeigt Clouzot im Laufe der zwei Stunden. Dominique ist sicherlich nicht das, was man sich seinerzeit unter einer sittenhaften, vorbildlichen Dame vorgestellt hat, jedoch steckt hinter ihrem Wesen kein schlechter, gewissenloser Mensch. Eher ein unsicheres, in ihrem Leben nie wirklich bestätigtes Mädchen. Sicher etwas naiv, nicht mit beiden Beinen im Leben, ohne Struktur, Ziele und dem ehrlichen Ehrgeiz, dies zu ändern. Sie scheint trotz ihrem selbstbewussten, lockerem Umgang sehr verletzlich, unsicherund viel zu blauäugig für eine Welt, die dies gnadenlos bestraft. Eine Rebellin, nicht weil sie es etwa darauf anlegt, sondern einfach aus dem Bauch heraus handelt, unfähig sich anzupassen. Dieses trotz ihrer unbestreitbaren Schuld aufgrund ihres Charakters so unschuldig wirkende Ding wird dargestellt von eine der schönsten Frauen ihrer Zeit, Brigette Bardot. Und wie.
Die Bardot galt nicht immer als begnadete Schauspielerin, war mehr aufgrund ihres Sexbomben-Image ein Star. Clouzot treibt sie zur Höchstform an, kitzelt alles an Talent aus ihr raus, was sich unter der wunderschönen Schale verbirgt. Die Rolle des Vamps, die eigentlich keiner sein will, wirkt wie für sie gemacht und sie bringt das großartig. Verletzlich, hilflos, überfordert. Die Bardot trägt die Film mühelos, ihre Kollegen werden da leicht ins zweite Glied gerrückt, müssen sich eigentlich jedoch nicht verstecken. Samy Frey in der Rolle ihres Loves Gilbert sowie Charles Vanel und Paul Meurisse als sich duellierende Anwälte liefern ebenfalls stark ab.

So eine Verhandlung hat auch Längen...

Die Szenen vor Gericht nehmen – aufgrund der zahlreichen, dominierenden Rückblenden – sogar nur den geringeren Teil der Spielzeit ein, sind dafür enorm intensiv und hervorragend geschrieben. Die hitzigen Wortgefechte zählen nehmen Bardot zu den Highlights des Films, der auf seine Stärken reduziert wieder ein ganz großer von Clouzot wäre. Im Ganzen ist ihm allerdings kein weiteres Meisterstück gelungen, berücksichtigt man diverse Längen, nicht durchgehend wichtige Momente und so manche Dialoge, die schon arg in die Jahre gekommen wirken. Natürliche Abnutzungserscheinungen, die nicht immer hunderprozentig kompensiert werden können. Das schwächst den Film aus heutige Sicht deutlich ab.
Insgesamt aber immer noch eine sehr gut inszenierte, großartig gespielte Mischung verschiedener Genres, nur nicht auf Augenhöhe mit Clouzots Meilensteinen. Das kann auch unmöglich Standard sein.


7 von 10 gescheiterten Suizid-Versuchen.