Review: DIE NIBELUNGEN – Ein stummer Gigant wächst aus einer urdeutschen Sage

Review: DIE NIBELUNGEN – Ein stummer Gigant wächst aus einer urdeutschen Sage
Fakten:
Die Nibelungen (1. Teil: Siegfried. 2. Teil: Kriemhilds Rache)
Deutschland. 1924. Regie: Fritz Lang. Buch: Thea von Harbou. Mit: Paul Richter, Margarete Schön, Hans Adalbert Schlettow, Theodor Loos, Hanna Ralph, Rudolf Klein-Rogge, Rudolf Rittner, Bernhard Goetzke u.a. Länge: 280/293 Minuten. FSK: Ab 6 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.
Story:
Siegfried, ein gutaussehender, großer Kämpfer, erschlägt einen Drachen und badet in dessen Blut, was ihn unverwundbar macht. Er wird König und unterjocht andere Könige unter seiner Führung. Als er König Gunther aufsucht, um dessen Tochter Kriemhild zu heiraten, willigt dieser nur ein, wenn er ihm die kriegerische Brundhild freien würde. Währenddessen schmiedet der hinterlistige, aber treue Hagen von Tronje einen Plan, sich Siegfried zu entledigen. Als er ausgerechnet durch Kriemhild Siegfrieds Schwachstelle herausfindet, sind Mord, Intrigen und blutige Rache vorprogrammiert.


Meinung:
Sicher ist den meisten Lesern hier zumindest die grobe Geschichte rund um Siegfried, Kriemhild, Hagen und Co geläufig. Mancher hat sie vielleicht auch schon gelesen und sei es nur in Auszügen in der Schule. Und wenn nicht, so dürfte jeder wenigstens schon den Namen dieser Sage gehört haben. Selbst ein Weltstar wie Quentin Tarantino zitiert diese Geschichte in seinem Film „Django Unchained“. Ja, und eine so bekannte Geschichte, die hat natürlich auch die ein- oder andere filmische Umsetzung erfahren. Doch keine der späteren Verfilmungen dürfte mehr an die erste herangekommen sein. Der deutsche Regisseur Fritz Lang hat schon vor mittlerweile über 90 Jahren einen Film geschaffen, der die Geschichte besser nicht wiedergeben könnte – und das ganz ohne Worte.

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Wer badet da vor der Murnau-Restauration im Drachenblut?

Lang und seine damalige Ehefrau und Drehbuchautorin Thea von Harbou realisierten mit „Die Nibelungen“ ihr Herzensprojekt. Eine Geschichte um Verrat, um Liebe, um Rache und um Tod, um große Helden und um mächtige Könige, um Familie, um Ehre und um Stolz. Die Geschichte hat dabei so viel hergegeben, dass zwei Filme mit insgesamt knapp 300 Minuten Spieldauer entstanden sind, um sie zu erzählen. 280 Minuten, um genau zu sein, zumindest nach der aktuellsten restaurierten Fassung der Murnau-Stiftung, die sich durch eine orangefarbene Tonung auszeichnet. Dabei ist der erste Film etwas mehr an seiner Geschichte interessiert, wohingegen der zweite deutlich mehr Schlachten, Kämpfe und Morde auf der Speisekarte stehen hat. Sowohl Teil 1 („Siegfried“) als auch Teil 2 („Kriemhilds Rache“) bestehen aus jeweils sieben Gesängen, die durch ihre voranstehenden Tafeln bereits die Handlung des folgenden Abschnittes vorwegnehmen, ähnlich wie bei einigen Theaterstücken dieser Zeit, man denke zum Beispiel an Brecht und sein episches Theater. Natürlich wird dadurch schon ein wenig an Spannung vorweg genommen, allerdings ist diese Ein-Satz-Zusammenfassung auch sehr hilfreich, den reichhaltigen, stumm vorgetragenen Stoff einfacher besser zu verstehen und sich stärker auf den Film selbst einlassen zu können. 

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Es sieht nicht gut aus für Siegfried

Immer wieder werden den Filmen nationalsozialistische Tendenzen nachgesagt. Das liegt zum einen an der streitbaren Person Thea von Harbous. Die Fränkin soll dem Nazi-Regime schon sehr früh sehr nahe gestanden haben, war ab 1933 auch Vorsitzende des gleichgeschalteten „Verbandes deutscher Tonfilmautoren“ und ab etwa 1940 auch Mitglied der NSDAP – nicht etwa schon zu Zeiten dieses Films, wie oft behauptet wird. Und weiterhin liegt es auch daran, dass die Nazis den Film zu ihren Zwecken missbraucht haben. Besonders Goebbels war enorm engagiert, diese urdeutsche Heldensage mit seiner verblödeten Ideologie zu verbinden. In Kombination mit der Dolchstoßlegende wurde dann auch noch die „Nibelungentreue“ des deutschen Kaisers Wilhelm II., die 1914 entscheidend war für den Ausbruch des ersten Weltkrieges wieder hervorgekramt. Die war, genau wie diese Sage, den deutschen Bürgern bekannt und so hatten die Nazis mit diesem Film ein beliebtes und bekanntes Propagandainstrument geschaffen. Jedoch ist das erst im Nachhinein geschehen, sodass eine Interpretation in Bezug auf Nazi-Kram in diesem Film zwar möglich, aber doch eher sinnlos erscheint.
Aber zurück zum Film. Besonders auffällig ist die wundervolle Bildästhetik. Lang und sein Team schaffen es, eine Art poetisches Zusammenspiel aus Licht und Schatten, aus Hell und Dunkel zu kreieren, das seines Gleichen sucht. Ein bombastisches Gemälde ist Lang hier gelungen, nicht weniger. Gemeinsam mit der fantastischen Musik von Gottfried Huppertz entfachen „Die Nibelungen“ eine Sogwirkung, der man sich kaum mehr entziehen kann, ist man erst einmal gefangen. Auch die tollen Masken und Kostüme, eine Mischung aus mittelalterlicher Pracht und doch irgendwie einem Hauch Moderne, genauso wie die gigantischen Kulissen sind ein Blickfang, der einen nicht mehr zur Seite kucken lassen will. Gigantismus hat auch hier schon von Lang Besitz ergriffen, was man auch zum Beispiel in seinem heute bekanntesten Werk „Metropolis“ sofort erkennen kann. Technisch ist der Film ohnehin auf der Höhe der (damaligen) Zeit. Ein riesiger, feuerspeiender Drache oder eine mit Tricktechnik inszenierte Traumsequenz sind aus heutiger Sicht zwar altbacken, damals aber war es absolutes Neuland gewesen, etwas nie Dagewesenes. Und wenn man sich darauf einlässt, dann kann es auch heute noch beeindrucken.

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Kriemhild schwört blutige Rache

Die Darsteller spielen mit einer für Stummfilme und die damalige Zeit üblichen sehr intensiven Mimik und Gestik, teilweise direkt in die Kamera hinein. Auch das mag heute nicht mehr für jeden ein schöner Anblick sein, allerdings muss man sich im Hinterkopf behalten, dass eben die Stimme der Schauspieler nicht eingesetzt werden kann und dies somit kompensiert werden musste. Besonders auffällig waren für mich zwei Schauspieler, auch wenn die komplette Darstellerriege einen tollen Job machte. Einmal war das Paul Richter als Siegfried. Er bringt mit seiner muskulösen und attraktiven Erscheinung nicht nur optisch die besten Voraussetzungen für die Rolle des Helden mit, sondern überzeugt auch mit einer intensiven Darbietung. Der zweite Darsteller, der herausragt, ist Theodor Loos, der das genaue Gegenteil von Siegfried, nämlich den schwachen und zurückhaltenden König Gunther spielt. Beide stellen ein Extrem in der Figurenkonstellation dar und damit auch die Bandbreite an verschiedenen Charakterzügen, die im Film verteilt sind.

Über Fritz Langs „Die Nibelungen“ mit den beiden Teilen „Siegfried“ und „Kriemhilds Rache“ könnte man noch viele weitere interessante Dinge erzählen, aber hierbei soll es genug sein. Der Film ist optisch und inhaltlich ein ganz großes Werk der Filmgeschichte. Natürlich sollte man heute das Alter des Films berücksichtigen. Es ist sicher nicht einfach, sich diesen Film am Stück anzusehen, geschweige denn beide Teile mit ihren fünf Stunden. Wenn man sich jedoch auf Stummfilme, ihre eigene Machart und das dazugehörige Schauspiel einlassen kann, dann erlebt man hier eine Geschichte mit epischen Ausmaßen, die mit Musik und seiner gigantomanischen Optik zu einer fesselnden Gesamtkomposition werden kann. Wenn man von den großen Werken der Filmgeschichte spricht, dann gehören „Die Nibelungen“ zweifelsfrei dazu.

8,5 von 10 Blätter auf der Schulter

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