Review: DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN – Nationale Urängste und der Kampf gegen den Identitätsverlust

Erstellt am 13. August 2013 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

Fakten:
Die Körperfresser kommen (Invasion of the Body Snatchers)
USA. 1978. Regie: Philip Kaufman. Buch: W.D. Richter, Jack Finney (Vorlage). Mit: Donald Sutherland, Brooke Adams, Veronica Cartwright, Jeff Goldblum, Leonard Nimoy, Art Hindle, Leila Goldoni u.a. Länge: 111 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Story:
Dr. Matthew Bennell schenkt seiner Kollegin Elizabeth wenig Glauben, als diese ihm erzählt, dass ihr Freund sich verändert hat. Doch es mehren sich seltsame Ereignisse die Dr. Bennell dazu veranlassen Nachforschungen anzustellen. Er findet heraus, dass ein Mikroorganismus aus dem Weltall perfekte Kopien von Menschen herstellt. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.


Meinung:
Remakes müssen nicht immer im schalen Fahrwasser der drastischen Entmystifizierung ihrer Vorbilder treiben. Immer wieder gibt es kleinere und größere Lichtblicke in der Filmwelt, die beweisen, dass eine Neuauflage durchaus von gelungener Natur sein darf, wenngleich ihre eigentliche Daseinsberechtigung natürlich auch bei einer positiven Überraschung weiterhin infrage gestellt werden muss. Ist das primäre Ziel nur die triviale Szenarienverlagerung in zeitgenössische Verhältnisse, dann erweist sich ein Remake letztlich als uninteressantes Projekt, dass sich dazu wahrscheinlich noch die Frechheit erlaubt, die Dialoge und einzelnen Settings verroht zu kopieren, anstatt innovatives und mehrdeutiges Gedankengut in die Neuinterpretation des bekannten Stoffes zu inkludieren. Weiß ein Remake aber der berühmten Vorlage neue Facetten anzuheften, die die Grundmotivation und Kernaussage in einem neuen Licht erstrahlen lassen, dann darf mit ruhigem Gewissen applaudiert werden. Paradebeispiele dafür wären wohl die unzweifelhaften Meilensteile wie John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ und David Cronenbergs „Die Fliege“.

So sah der Zalando-Schrei in den 1970ern aus

Und mit diesen beiden eindrucksvollen wie maßgeblich beeinflussenden Klassikern ist man in einem ganz entscheidenden Genre angekommen, welches wohl wie kein zweites mit Remakes überschüttet und verpestet wurde: Dem Horrorfilm. Wenn man sich in die modernen Gefilde des Horrors wagt, dann besteht der Output zu einem Großteil aus Nachahmung und mehr als unwürdigen Remakes, die das Original ohne jeden Respekt zur geistlosen wie denkmalschändenden Farce im modernem (Blut-)Korsett degradieren. Man denke nur an die cineastischen Tiefschläge wie „The Fog“, „I Spit on Your Grave“ oder „Freitag der 13.“, während Rob Zombie mit seiner „Halloween“-Variante und Alexandre Aja mit seinem überaus gnadenlosen „The Hills Have Eyes“ bewiesen, dass es auch ganz anders gehen kann, nur benötigt man dazu ein gewisses Maß an Genreaffinität und Liebe zum Medium Film an und für sich. All diese guten Vorsätze konnten glücklicherweise auch in einem weiteren Werk verschmelzen, das heute ebenfalls als echter Klassiker gilt: Philip Kaufmans „Die Körperfresser kommen“ von 1978.

Inzwischen hat die beliebte Geschichte um die berüchtigten Body Snatcher aus dem Tiefen des Weltalls schon vier Mal den Weg in die Lichtspielhäuser gefunden. Während Nicole Kidman und Daniela Craig zuletzt in Oliver Hirschbiegels Fehltritt „Invasion“ um ihre Existenz fürchten mussten, vergriff sich auch der egozentrische Mexikaner Abel Ferrara („Bad Lieutenant“) im Jahre 1993 mit "Body Snatchers" durchaus solide am vielseitigen Stoff. Den entscheidenden Grundstein jedoch legte 1956 mit „Die Dämonischen“ aber ein ganz anderer, nicht minder angesehener Filmemacher: Don Siegel. Der Mann, der uns in den 70er Jahren „Dirty Harry“ schenkte und Clint Eastwoods knallharten Ruf nochmals verfestigte. Allerdings trägt auch Philip Kaufmans „Die Körperfresser kommen“ ebenfalls die seltene Ehre, seinem mehr als gelungenen Original tatsächlich überlegen zu sein, denn obgleich sich Don Siegel mit „Die Dämonischen“ nicht verstecken braucht, schließlich gebührt ihm die fortwährende Anerkennung innerhalb kompetenter wie professioneller Cineastenkreise bis in alle Ewigkeit, ist Kaufman letzten Endes der hauchdünner Sieger.

Dr. Bennell (D. Sutherland) spielt Ene, Mene, Muh

Die Thematik an sich, eine Invasion aus dem All in den Fokus zu rücken, ist natürlich keine neue und wurde bereits in den verschiedensten Ausmaßen in der Vergangenheit ausformuliert – auch im Jahre 1978 war bereits dieser Stand erreicht. „Die Körperfresser kommen“ kann jedoch behaupten, einer der besten Vertreter des weitgefächerten Sujets zu sein, der seine Intention nicht auf stumpfe Schauwerte und Effekthascherei verlagert, sondern sich letztlich durch seine Zwischentöne verständigt und weit über den Durchschnitt erhebt. Dass fällt auch schon bei der mehr als ansprechenden Darstellerriege aus, in der Donald Sutherland („Wenn die Gondeln Trauer tragen“) den eigenwilligen, aber sympathischen Hauptakteur gibt und weitere große Namen wie Lenard Nimoy („Raumschiff Enterprise“) und Jeff Goldblum („Jurassic Park“) um sich karrt, die zwar nicht die dominante Präsenz eines Sutherlands zugesprochen bekommen, ihr kennzeichnendes Charisma aber durchaus zur Geltung bringen. Eine äußerst vielschichtige Konstellation, die sich in ihrer Divergenz letztlich auch rentiert.

Die kalten Bilder des tristen 70er Jahre San Franciscos suggerieren die gefühllose Hektik der sich langsam entfremdenden Metropole; die Wunschvorstellungen der Flowerpowerepoche  sind längst im Großstadtnebel verflogen und der vehemente Yuppiekonsens leitet den Konservatismus der neoliberalen Reaganperiode ein. „Die Körperfresser kommen“ ist ein gesellschaftskritisches Abbild, eine Reflexion der verwurzelten Ängste einer wankenden Nation, die sich nicht länger in ihrem Individualismus sicher fühlen darf: Der Untergang der Menschheit wird mit der Destruktion des Alltäglichen assoziiert, die Kamera rotiert um die eigene Achse und schwelgt in atmosphärischen Perspektiven der unterschwelligen Bedrohung, um die sequentielle Spannungskurve anzuziehen. Kaufman konfrontiert den Zuschauer mit der sozialen Paranoia seiner Zeit und der Furcht vor dem umfassenden Identitätsverlust. Industrieller Genozid trifft auf hochspannendes Suspense-Kino, eine Welt ohne Krieg im Tausch gegen eine willenlose Menschheit ohne Emotionen. Letztlich siegt der Pessimismus und die bedrückende Schwärze verschlingt alles.  Warum dürfen Filme heutzutage nicht mehr so konsequent enden?

7,5 von 10 Schleimigen Duplikaten auf dem Massagetisch 

von souli