Review: DER UNHEIMLICHE GAST - Die kleine Schwester von REBECCA

Erstellt am 30. März 2016 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

                                                                                  
Fakten:Der unheimliche Gast (The Uninvited)USA, 1944. Regie: Lewis Allen. Buch: Dodie Smith, Frank Partos, Dorothy Marcadle (Vorlage). Mit: Ray Milland, Ruth Hussey, Gail Russell, Donald Crisp, Alan Napier, Cornelia Otis Skinner, Barbara Everest, Dorothy Stickney u.a. Länge: 95 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:Das Geschwisterpaar Fitzgerald erwirbt zu einem Spottpreis ein prachtvolles Anwesen an der englischen Küste. Gerüchten über seltsame Vorkommnisse dort schenken sie keinen Glauben. Bis sie des Nachts ein unheimliches Jammern hören und unerklärliche Kälte spüren. Die Vergangenheit des Hauses scheint ein düsteres Geheimnis zu hüten, in das auch Stella - die Enkelin des Vorbesitzers - involviert ist, in die sich Roderick Fitzgerald beginnt zu verlieben.
   Meinung:Es beginnt wie eine Komödie, sieht aus wie ein Film Noir, mündet in einen Haunted-House-Film mit Anleihen einer tragischen Sommer-Romanze und endet beinah wie ein Groschen-Roman für einsame Hausfrauen mit geringer Frustrationstoleranz. Klingt sonderbar? Besonders, das wäre wohl der bessere Begriff für „Der unheimliche Gast“ von dem später hauptsächlich im TV-Geschäft beschäftigten Regisseur Lewis Allen, dessen Spielfilmdebüt in vielerlei Hinsicht äußerst beeindruckend ist, sei es formell oder von der ungewöhnlichen Mischung der verschiedenen Komponenten, die fast aufgeht und den Film damit wohl zu einem unsterblichen Klassiker gemacht hätte. Als Klassiker gilt er heutzutage, nicht völlig unberechtigt, allerdings darf man unter diesem Schutzschild nicht die Augen vor der Realität verschließen.

Zuhause im Glück...oder auch nicht?

Die Geschwister Roderick und Pamela Fitzgerald verbringen ihren Urlaub in der Nähe von Cornwall und entdecken dort zufällig ein verlassenes, luxuriöses Herrenhaus, in das sie sich sofort unsterblich verlieben. Zu ihrem Glück (oder auch nicht?) steht das gute Stück zum Verkauf und der Eigentümer zeigt sich erfreulich entgegenkommend beim Kaufpreis. Deren bildhübsche, 20jährige Enkelin Stella hingegen ist wenig begeistert davon, dass ihr Zuhause bis zu ihrem dritten Lebensjahr - und dem tragischen Tod ihrer Mutter an den dort gelegenen Klippen – nun den Besitzer wechselt. Fast besessen von dem Haus und ihrer verstorbenen Mutter Martha, obwohl mit kaum noch Erinnerungen an die damalige Zeit, wird auch bald Roderick auf sie aufmerksam. Allerdings nicht misstrauischer Natur, ihr verfällt zusehend dem leicht kindlichen Charme der jungen Schönheit. Jemanden, der als Mitdreißiger mit seiner Schwester zusammenlebt (sogar ein gemeinsames Haustier haben sie), dürfte man dazu eigentlich beglückwünschen, wenigstens er scheint den Absprung aus dieser merkwürdigen Beziehung doch noch zu schaffen, der Alte-Jungfer-Preis droht alleinig an Pamela zu gehen. Aber ist seine Herzdame nicht offensichtlich psychisch schwer labil? Und was ist mit den sonderbaren Geschehnissen in der Nacht, die dem neuen Besitz den Ruf eines Geisterhauses eingebracht haben?

Eine Runde Geister-Scrabble

Ein prachtvolles Haus, über dem die Schwere seiner düsteren Vergangenheit liegt, die mit dem Tod seiner mysteriösen, von allen in den Status einer Halbgöttin erhobenen First Lady zusammenhängt. Unweigerlich erinnert „Der unheimliche Gast“ an Alfred Hitchcocks vier Jahre zuvor erschienene, erste US-Arbeit „Rebecca“. Inhaltlich und von ausgewählten Momenten auch stimmungsvoll wie inszenatorisch teilweise sehr dicht beieinander, beschreitet Lewis Allen narrativ doch einen ganz anderen Weg. Während Hitchcock seinen unbeschwerten Aschenputtel-Prolog konsequent in einen Suspens-lastigen, paranormal-eingefärbten Psycho-Thriller verwandelte, legt Allen die flotte – und zugegeben sehr unterhaltsame – Leichtigkeit seiner Eröffnung nie gänzlich ab. Trotz der früh angedeuteten Haunted-House-Geschichte und der handwerklichen Stilmittel, die selbst den edelsten Film Noir noch schmücken würden, behält sein Film eine gewisse Heiterkeit, die ihm insgesamt nicht immer gut tut. Es ist ein zweischneidiges Schwert, da gerade die zum Teil herrlich pointierten Dialoge und der in diesem Wechselspiel zwischen Mystery und Humor hervorragend agierende Ray Milland dem Film eine nicht zu leugnenden Qualität geben. Alles gekrönt von dieser sagenhaften Optik, zurecht wurde die Kamera von Charles Lang für einen Oscar nominiert.
Die Kombination aus dem interessanten Setting und der fantastischen Ausleuchtung - die das Film Noir-typische Schattenspiel mustergültig vorführt - ist meisterlich, sorgt für Bilder zum Einrahmen und Niederknien. Daran gemessen kann der Film nur inhaltlich nicht anknüpfen, erzeugt nicht diese intensive Spannung oder unbehagliche Stimmung, die bei diesen Voraussetzungen eigentlich fast selbstverständlich erscheinen sollte. Die durchgehende Leichtfüßigkeit lässt das Geschehen etwas zahm wirken, auch weil die Figuren das übersinnliche Treiben nie so richtig zu verängstigen scheint. Extrem negativ wirkt sich dies auf das kitschig-angehauchte, sogar leicht alberne Finale aus, das einem Halloween-Special von Rosamunde Pilcher entsprungen sein könnte (und das nicht wegen der Küste Cornwalls). Ein vielleicht harscher Vergleich, betrachtet man jedoch den Kontrast zwischen Bildsprache, handwerklicher Inszenierung und dem, was am Ende dabei herauskommt, auch ein Ausdruck dezenter Enttäuschung. Dennoch kann und sollte der Genre-interessierte Zuschauer, mit Schwerpunkt Film Noir und Haunted-House, „Der unheimliche Gast“ mal gesehen haben, dafür ist er in vielen Punkten zu gut gemacht und in seiner lockeren Gangart oft auch angenehm unterhaltsam. Nur leider kaum gruselig.
6,5 von 10 kalten Dachkammern