Review: DER UMLEGER & WARTE, BIS ES DUNKEL WIRD - Das doppelte Sackgesicht

Erstellt am 26. August 2015 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

                                                                                   
Fakten:Der Umleger (The Town That Dreaded Sundown)USA, 1976. Regie: Charles B. Pierce. Buch: Earl E. Smith. Mit: Ben Johnson, Andrew Prine, Dawn Wells, Jimmy Clem, Jim Citty, Charles B. Pierce, Robert Aquino, Cindy Butler, Christine Ellsworth, Earl E. Smith u.a. Länge: 87 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Ab dem 3.9. 2015 DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:Im Jahr 1946 wird die Kleinstadt Texarkana von einem unbekannten Killer heimgesucht, genannt „Das Phantom“. Der maskierte Mann tötet Pärchen, scheinbar wahllos, die Polizei tappt im Dunkeln. Der erfahrene Texas Ranger Morales wird zur Hilfe herbeigezogen, doch selbst er findet keine ernsthafte Spur. Dabei tickt die Uhr, denn der Killer tötet zuverlässig in einem Rhythmus. Texarkana wird zur Geisterstadt, sobald die Sonne untergeht…
  
Meinung:„Der Umleger“ (da hat sich die deutsche Namensschmiede selbst übertroffen, dabei ist „The Town That Dreaded Sundown“ ein ganz wunderbarer Titel) ist- um gleich mit der Tür ins Haus zufallen – bestimmt kein wirklich guter Film. Damals und erst recht nicht heute. Aber er besitzt einige markante Merkmale, manche davon fast zufällig, und kann zumindest theoretisch als einer der ersten US-Slasher bezeichnet werden. Zwei Jahre bevor John Carpenter mit „Halloween – Die Nacht des Grauens“ das dem Giallo entlehnte Subgenre jenseits des großen Teichs salonfähig gemacht hat („Black Christmas“ aus dem Jahr 1974 ausgenommen, aber das war auch eine kanadische Produktion).

Ein Sack, sie alle zu knechten...

Wie gesagt, theoretisch, denn „Der Umleger“ (!!!) bedient nicht die später etablierten Sehgewohnheiten, weiß manchmal selbst nicht genau, wo er denn hin will oder was er könnte, aber ist trotzdem als kleine Blaupause für spätere, wegweisende Genrefilme zu betrachten. Ungewöhnlich ist allein der reale Hintergrund, der nicht wie so oft als lose Inspiration dient, sondern tatsächlich als klare Grundlage für den Film dient. Das Phantom von Texarkana gab es wirklich. Der bis heute unbekannte Killer tötete damals mehrere Menschen und versetzte die kleine Gemeinde in Angst und Schrecken. Regisseur Charles B. Pierce hält sich weitestgehend an Fakten, zumindest in den Eckpfeilern. Jedes dargestellte Opfer gab es, die Verbrechen liefen mehr oder weniger so ab, nur manche künstlerische Freiheit im Ablauf hat er sich rausgenommen (was für einen der absurdesten Momenten sorgt, die zweckentfremdete Posaune). Dementsprechend wird nicht auf die später gängige Perspektive der potenziellen Opfer gesetzt, man arbeitet aus einem semi-dokumentarischen Blickwinkel. Der dazugehörige Erzähler erinnert leicht an eine Folge von „Aktenzeichen XY…ungelöst“, der die jeweilige Szenerie und die neu eingeführten Person kurz erklärt. Im Fokus steht die Arbeit der Ermittler, was wiederum das Ambiente einer Krimiserie hat. Daher sind die Berührungspunkte mit dem „modernen“ Slasher bald gering, aber unverkennbar.
Wenn „Der Umleger“ sich auf die Aktivitäten seines Übeltäters konzentriert, erkennt man unweigerlich spätere Werke. Das prägnante Röcheln des Killers wurde deutlich von John Carpenter für seinen Michael Myers übernommen, sein schönes Sackgesicht schmückte auch einen Jason Vorhees, bevor er die Hockey-Maske fand. Genau dann, sobald das Phantom zur Tat schreitet, zeigt der Film kurzzeitig eine gewisse Stärke, die nur nicht ausgiebig genutzt wird. Pierce versteht es durchaus, seinen Killer bedrohlich in Szene zu setzen und für kurzzeitige Highlights zu sorgen, selbst wenn sie im Gesamten bald untergehen wie die blutrote Sonne über Texarkana. Das gespenstische Setting einer in Schockstarre verfallenen Stadt wird oft nur angedeutet, die völlig deplatzierten Humorversuche sind arg kontraproduktiv (dabei schlüpft der Regisseur selbst in die Rolle des Klassenkaspers) und der Spannungsbogen ist meist kerzengrade statt sich entwickelnd. Man sollte dem Film aber anrechnen, dass er sein Potenzial noch nicht ganz erkannte. Seine leicht schrullige Vorgehensweise hat schon wieder einen deutlichen Reiz, sein Beharren auf faktischer Korrektheit sorgt für ein ungewohntes (heute würde man sagen mutiges) Ende und gerade das macht „Der Umleger“ zu einem kleinen Exoten seines Genres, das vorher in der Form eigentlich gar nicht existierte. Nicht gut, aber selten. Und daher schon wieder interessant, zumindest filmhistorisch.
5 von 10 Sonnenuntergängen
  

Fakten:Warte, bis es dunkel wird (The Town That Dreaded Sundown)USA, 2014. Regie: Alfonso Gomez-Rejon. Buch: Roberto Aguirre-Sacasa, Earl E. Smith (Vorlage). Mit: Addison Timlin, Veronica Cartwright, Anthony Anderson, Travis Tope, Gary Cole, Joshua Leonard, Andy Abele, Edward Herrmann, Ed Lauter, Denis O’Hare u.a. Länge: 83 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Ab dem 3.9. 2015 DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:1946 sorgte der Phantom-Killer in Texarkana für etliche Morde und eine Massenpanik. 1976 entstand daraus ein Film, der seitdem jedes Jahr an Halloween dort gezeigt wird. Jetzt, im Jahr 2013, wird die Stadt von ihrer Vergangenheit eingeholt. Jemand imitiert scheinbar die Morde, Teenager Jamie kann dem Täter knapp entkommen. Wie damals kommt die Polizei trotz massiver Unterstützung nicht weiter, Jamie forscht selbst nach. Doch der Killer kennt die Vorgeschichte scheinbar ziemlich gut…
  
Meinung:Für die meisten Filme sollte ein Remake gesetzlich verboten werden, für Exemplare wie „Der Umleger“ explizit nicht. Da schlummerte massig Potenzial und die neue Version von Alfonso Gomez-Rejon hat sogar eine prima Idee: Nicht schlicht die Vorlage neu erzählen. Man nehme die realen Geschehnisse von 1946 sowie die Verfilmung von 1976 als Grundlage und macht daraus eine Art Remake/Fortsetzung, die Meta-geschwängert sich daraus seine eigene Geschichte spinnt. Eine erfrischende Variante zu den sonst üblichen Neuverwurstungen, die genau solange funktioniert, bis der Überraschungseffekt verflogen ist.

When Retro goes wrong...

Nach dem innovativen Ansatz kommt lange wenig, aber immerhin ein halbwegs brauchbarer Slasher, der mit seinen wenigen Gewaltspitzen sogar großzügig an die FSK: 16-Tür klopft. Vor 20 Jahren wäre das noch eiskalt im Giftschrank gelandet, heute juckt das nicht mehr großartig. Wie zu erwarten ist „Warte, bis es dunkel wird“ eine moderne Interpretation des angestaubten Originals, diesmal deutlich als kurzweiliger Meuchelmörder-Film ausgelegt. Ist an und für sich okay, wobei der spannende Ansatz mit Bezügen auf die Vorlage auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Hier und da wird „Der Umleger“ gewürdigt, kleine Parallelmontagen sorgen bei Kennern für ein kleines Schmunzeln, aber im Endeffekt kopiert dieser Film dessen besten Momente. Die Rahmenhandlung wird entsprechend angepasst, ist flotter und zeitgemäßer, solide inszeniert, aber auch jetzt kein Brüller. Bis kurz vor Schluss eine recht gefällige und leider nicht ansatzweise so doppelbödige Angelegenheit wie man nach den ersten Minuten erwarten könnte, aber immerhin. Böse wird es im Finale, wenn sich „Warte, bis es dunkel wird“ vollkommen unnötig mit runtergelassener Hose präsentiert. Hier wird (wahrscheinlich sogar bewusst) einem viel späteren Genrevertreter ein dummer Tribut gezollt, bei dem man nur noch mit den Augen rollen kann. Dieser bekloppte Schlussspurt ist nicht nur dämlich, er zeigt sogar, warum das Original trotz etlicher Fehler immer noch brauchbar(er) ist. Der war auf seine Art straight, präsentierte keine blödsinnige Pointe, hielt sich an grobe Fakten. Auf die Gefahr hin, dass es nicht jedem gefällt. „Warte, bis es dunkel wird“ versucht sich an einem cleveren Ansatz, verläuft sich immer mehr im Standard und endet unrühmlich. Verschenkt, leider…dabei wäre es relativ einfach gewesen.
4,5 von 10 unbeschrankten Bahnübergängen