Review: DAS WEISSE RAUSCHEN - Ans Meer, ans Meer

Review: DAS WEISSE RAUSCHEN - Ans Meer, ans Meer
Fakten:
Das weisse Rauschen
BRD. 2002. Regie: Hans Weingartner. Buch: Matthias Schellenberg, Hans Weingartner, Katrin Blum, Tobias Amann.Mit: Daniel Brühl, Anabelle Lachatte, Patrick Joswig, Michael Schütz, Katharina Schüttler, Ilse Strambowski, Karl Dangullier u.a. Länge: 106 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD erhältlich.

Story:
Mit dem Abitur in der Tasche zieht Lukas zu seiner Schwester nach Köln. Zwar gefällt ihm die Partyszene der Stadt, doch an der Universität kommt er nicht zurecht. Nach einem Ausraster von Lukas wird er von seinem Umfeld mehr und mehr gemieden, was ihm schwer zu schaffen macht und ihn immer tiefer in eine seelische Krise zieht.


Meinung:
Wird man mit dem steifen Hyperonym „Aufklärungsfilm“ konfrontiert, so denkt man unweigerlich direkt in die Richtung von stupiden Oberlehrerfloskeln, die sich der eigentlichen Aufklärung lethargisch entziehen, anstatt den Problemen von bestimmten Bereichen sachlich wie differenziert auf den Zahn zu fühlen. Wenn man es dann auch noch mit einem Aufklärungsfilm über die Auswirkungen des Drogenkonsums zu tun bekommt, dann stehen die Zeichen auf eine realitätsnahe Auseinandersetzung mit der anspruchsvollen Materie nicht unbedingt im besten Licht. Allerdings muss man sich dabei auch immer im Klaren sein, in welchem Umfeld man sich befindet, denn wird im herkömmlichen Schulunterricht ein staubiges Video über Drogenmissbrauch eingeworfen, dann werden Individuen vorgeführt, die angeblich die schlimmsten Stunden ihres Lebens auf den Straßen durchgemacht haben sollen, nicht mal den Unterschieden zwischen THC und DMT kennen, am Ende aber – natürlich allein des eigenständigen Willens wegen - wieder die Kurve bekommen, um noch einmal richtig oberflächlich über die fatale Zeit in der Gosse zu sinnieren, ihre Lesefehler beim Ablesen der vorgegeben Texte aber natürlich nicht verheimlichen könne.

Review: DAS WEISSE RAUSCHEN - Ans Meer, ans Meer

Lukas ist gefangen in seiner eigenen Welt

Natürlich kann/muss man sich aber auch über den Schulunterricht hinaus über sämtliche Abstrahleffekte der Konsumierung von illegalen Drogen informieren, und wer sich nicht mit hochwertigen Dokumentationen abgeben möchte, der kann sein Glück bei Spielfilmen versuchen, die sich in ihrer Inszenierung zwar auch verstrahlter als die Protagonisten erweisen könnten, doch Ausnahmen bestätigen schließlich die Regel. Eine dieser speziellen Besonderheiten ist zum Beispiel Hans Weingartners „Das weisse Rauschen“. Sicher hat Weingartner mit seinem Debüt kein Meisterwerk hingelegt, dass den Zuschauer formal wie informal ins große Staunen versetzt, doch als sogenannter „Aufklärungsfilm“ hält sein Film etwas ganz Entscheidendes fest: Die vorausgegangene Labilität einer bestimmten Person kann durch die Induktion von Pilzen mit psychotropischen Substanzen zur Psychose führen, der wiederholte Drogenkonsum hinterlässt auf Dauer natürlich auch seine Schäden – und wir reden hier nicht von Freizeitkiffern, die sich an irgendeinem Tümpel niederlassen und für Aristoteles halten – ist in dieser Form nicht als (alleiniger) Beweggrund anzuprangern.

Es wird von Anfang an deutlich, dass in Lukas Delius (Der übrigens sehr gut von Daniel Brühl verkörpert wird) ein psychisches Ungleichgewicht herrscht, nicht umsonst suggeriert die Kamera diesen disponierten Eindruck und unterstreicht ihn durchgehend mit ihren wirr-unscharfen Handkameraperspektiven. Als Lukas dann in den ersten entheogenen Rausch fällt, erwacht in ihm genau das, was sich über all die Zeit versteckt gehalten hätte und nur in Ansätzen erkennbar gewesen wäre. Für Lukas wird ganz Köln schlagartig auf die Enge einer Einzimmerwohnung reduziert. Wo die Großstadt eigentlich als Neubeginn herhalten sollte, wird er nun von vorwurfsvollen Stimmen in seinem Kopf gequält und muss mit verachtenden Blicken in seinem Nacken kämpfen. »Das weisse Rauschen« hält in seinen stärksten Momenten ganz genau fest, wie sich die Außen- und Innenwelt dieser Person verhält. Während um ihn die Hilflosigkeit herrscht, brodelt in Lukas der systematisierte Wahn und die Attraktivität eines Suizides wächst von Tag zu Tag.

Wenn sich „Das weisse Rauschen“ auf seinen Abschluss zubewegt, verliert er stellenweise genau die erdrückend-ehrliche Authentizität, die den Film zum Großteil ausgezeichnet hat. Passagen zerfasern sich, treten auf der Stelle, lassen das Interesse am Werdegang von Lukas aber in keinem Fall verschwinden, dafür ist der Umgang mit seiner Person und der paranoide Schizophrenie zu praxisnah und veritabel. Ab einem bestimmten Punkt wird hier deutlich, dass leichte Anzeichen auf Besserung nur blinde Trugschlüsse sind und für Lukas nur noch ein Leben in Isolation infrage kommt; das weisse Rauschen verlässt den Ring als Sieger. Wenn ein Film es also schafft, die konträren Situationen - Die Reizüberflutung des Land-Stadt-Wechsel - seiner Hauptfigur so treffend in die Wahrnehmungsstörung nach dem Halluzinogengebrauch (HPPD) einzuweben, auszuarbeiten und allgemein zu thematisieren, dann hat das schon Lob und Anerkennung verdient. Deutschland kann halt so Einiges.

7,5 von 10 Schreie ins Leere

von souli


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