Story:
Lester Ballards Vater begeht Suizid und sein Land wird versteigert. Lester (abgefahren: Scott Haze) fühlt sich missverstanden und lebt und wildert stattdessen im Wald. Ausgestoßen und einsam fängt er an, mit Kuscheltieren Zeit zu verbringen und sattelt dann aber auf tote Frauen um.
Cormac McCarthy, US-amerikanische Autoren-Legende, schreibt Bücher, denen man die Adjektive „erbarmungslos“, „rau“ und „dunkel“ zuordnen kann. Mit „No Country For Old Men“ haben die Gebrüder Ethan und Joel Coen bewiesen, dass man eben diese Adjektive in die Welt des Films übertragen und sogar auf weitere Sinne distribuieren kann. Nun sind diese beiden jedoch Meister ihres Faches und James Franco noch ein Lehrling im Regie-Geschäft. Aber dennoch ist es durchaus erwähnenswert, dass Franco hier sehr harte, eigenfinanzierte Minuten auf Film bannt und unter seinen Freunden auch noch ziemlich hingebungsvolle Schauspieler findet, die bereit sind weiter zu gehen, als man es von Darstellern in einem Film vielleicht gewohnt ist.
Schlechte Nachricht: Tigger ist tot
Als ein Kind Gottes wird er, Lester Ballard, beschrieben und damit mit allen anderen Menschen gleichgesetzt. Er besteht aus den gleichen Zutaten, wie ein jeder von uns. Und dennoch ist er ein absoluter Außenseiter. Die anderen Bewohner des Ortes behandeln ihn respektlos und herablassend. Nicht unbedingt mit bösen Absichten, sondern einfach, weil man es so macht. Sie denken gar nicht darüber nach, das zu ändern. Sie sehen ihn einfach nur, mit seinem buckeligen und angespannten Wesen, seinen unter Anstrengung hervorgepressten Worten und seiner Primitivität und gehen davon aus, dass sie andere, edlere und größere Werte besitzen, als er. Lester weiß und hat nicht viel, abgesehen von einem starken Sinn für sein eigenes Recht, was für ihn gleichbedeutend mit einem nicht-existenten Recht anderer ist. Wenn er was darf oder besitzt, dann folgt daraus, dass andere jenes nicht dürfen oder besitzen. Er ist eine seltsame Mischung aus einer Art Quasimodo und einem streunenden Köter. Lester läuft buckelig umher, spricht nicht, sondern grunzt und knurrt, manchmal schreit er plötzlich auf. Er jagt Autos grundlos nach und beschimpft die Fahrer und fletscht die Zähne. Man sieht hier einen Menschen, der das Menschsein nach und nach ablegt, nachdem ihm das genommen wurde, ohne das es keinen Menschen geben würde: die Familie.Der Sheriff hat gut zu tun wegen Lester
Lester kümmert sich nicht um die Gesellschaft, sie ist ihm zuwider und ebenso wenig kümmert James Franco sich um jedwede Konventionen. Er inszeniert semi-dokumentarisch und bleibt stets sehr nah an Lester. So nah manchmal, dass er in seiner eruptierenden Art immer wieder aus dem Bild verschwindet und wieder einbricht. Das ist unverfälscht, rau und macht einen natürlichen Eindruck. Dennoch fällt immer wieder auf, dass es nicht einfach ist, McCarthy zu verfilmen. Diese Stimmung, die wie rostige Nägel in der eigenen Haut ist, sie kommt einfach nicht auf, dafür bleibt Franco zu passiv in seiner Inszenierung. Er vertraut zu sehr auf den düsteren Inhalt und vernachlässigt die Kraft der Kinematographie - und nimmt damit deutliche Defizite im emotionalen Gesamtkonzept des Filmes hin. Im Gegensatz dazu ist es Scott Haze, dessen Darbietung als Lester in Erinnerung bleibt und der in der reinsten Eskalation alles rauslässt, was sein Körper mental und physisch hergibt. Haze gibt einen Ausgestoßenen, der Menschen nicht versteht (wenn jemand mit ihm spricht, scheint sein Gehirn auf zugegeben unbeeindruckenden Hochtouren zu laufen) und dem mit seiner Familie auch das Recht einer Existenz genommen wurde. Von da an beschreitet er einen Weg in Dunkelheit und Isolation bis er selbst nicht mehr weiß, was ihm wichtig war und woraus seine Vergangenheit und damit seine Identität bestand."Ich bin kein kluger Mann, aber ich weiß was Liebe ist... doch nicht"
Neben Scott Haze ist es zudem die widerliche Geschichte, die von sich reden machen kann. Und da wird, bei all der sonstigen Passivität von Francos Handeln, sein wahrer Mut offenbart. Hier zeigt sich die fast schon skandalös anmutende Offenheit der Geschichte. James Franco zeigt Sachen, die bewusst weiter gehen, als jede Geschmacksgrenze es zulässt. Aber erst wenn ein Werk über diese Grenze hinausgeht, kann es nicht mehr als künstlerisches Produkt angesehen werden. Kunst ist nämlich voll und ganz Geschmackssache und eben der verweigert James Franco sich hier so deutlich, dass man mit der Zeit keinem Film mehr zusieht. Sondern der Realität, auf die wir für 100 Minuten kein Recht mehr haben, weil sie nur Lester gehört. Dadurch wirken jedwede Personen, die nicht wie Lester einfältig, wild und sabbernd-aggressiv ihr Leben bestreiten, als wären sie surreale, aus Licht bestehende Projektionen, die nicht in diese Welt gehören, in der noch niemand von dem Wort „Moral“ gehört hat. In der Hinsicht muss man anerkennend nicken und Herrn Franco auf die Schulter klopfen; er hat sich hier etwas getraut und es geschafft, zumindest in der Hinsicht zu überzeugen.Wie lang die 100 Minuten wirken, wird dem Zuschauer erst bewusst, wenn die Wörter „The End“ auf dem Bildschirm erscheinen und der Abspann von „Child of God“ anfängt. Von James Franco eigenhändig bezahlt, wurde der Film auf einigen Festivals gezeigt, bekam aber leider zumeist durchschnittliche Wertungen. Weil der Fehler begangen wurde, diese Adaption für ihre Fläche zu bewerten. Schaut man hinter die Kanten, entdeckt man eine Welt, die nur eine Handvoll Regisseure vorher erforscht haben, wenn auch auf eine andere Art. James Franco beschränkt seine Regie-Tätigkeit hier nämlich zum überwältigenden Großteil auf das Zeigen einer Geschichte und nutzt wenige gestalterische Mittel, um seine Aussage zu vermitteln. Ein großer Geschichtenerzähler ist er eben noch nicht, ein motivierter Lehrling dagegen schon. Und so bebildert er hier eine Geschichte, dessen Inhalt nicht in die Magengrube haut, sondern jenen Bereich rausreißt und verspeist, damit Lester überleben kann.
6 von 10 Normas
von Smooli