Review: CALIGULA - Bunga-Bunga unterm Lorbeerkranz

Erstellt am 26. Juli 2016 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

  
Fakten:Caligula (Caligola)IT, USA, 1979. Regie: Tinto Brass. Buch: Gore Vidal, Bob Guccione, Giancarlo Lui. Mit: Malcolm McDowell, Helen Mirren, Peter O’Toole, Teresa Ann Savoy, John Steiner, Guido Mannari, Paolo Bonacelli, Anneka Di Lorenzo, Lori Wagner u.a. Länge: ca. 150 Minuten. FSK: Keine Freigabe. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:Im Jahr 37 n. Chr. tötet Caligula seinen Onkel Tiberius und ernennt sich selbst zum neuen Herrscher Roms. Unter seiner Regentschaft erreichen die ohnehin schon vorhandene Dekadenz, die Gewalt und sexuelle Ausschweifungen einen neuen Höhepunkt. Mit den Jahren verfällt er immer mehr dem Wahnsinn, ruft sich sogar zum Gott aus. Es entwickelt sich ein Widerstand gegen den Tyrannen.
   Meinung:„Ich bediene mich zwar des Körpers und der Seele des Gaius Caligula, also bin ich ein Mensch. Und bin doch kein Mensch. Also muss ich nur eins sein: Nämlich ein Gott!“
Sogenannte Skandalfilme gab es in der Kinogeschichte immer wieder, dieses meist negativ behaftete Etikett behielten über die Jahrzehnte aber nur wenige. Oft reichte es gegen damals gängige Sehgewohnheiten zu verstoßen. Ein vielleicht besonders heikles Tabuthema anschneiden oder mit dem Status Quo von Sex und Gewalt zu brechen. Viele Werke gelten aus heutiger Sicht eher als harmlos, maximal für ihre Zeit gewagt; das dort Gezeigte entspricht in seiner expliziten und drastischen Darbietung meist nicht mal dem, was aktuell gang und gäbe ist. Doch manch speziellen Exemplaren gelingt es, das Publikum über Generationen hinweg immer wieder in Erstaunen und Abscheu zu versetzen, etwas kaum Vergleichbares aufzufahren. Wenn ein Film sich dieses Prädikat verdient hat, dann Tinto Brass‘ kolossales Monstrum „Caligula“.

-"Was zahlen sie dir?" -"Zu wenig, eindeutig zu wenig..."

Dabei hätte alles ganz anders werden sollen und wer weiß, ob man dann über diesen Film überhaupt noch groß sprechen würde. Seine Entstehungsgeschichte ist so chaotisch wie kurios, vom ersten Drehtag bis zu seiner Premiere gingen gut vier Jahre ins Land. „Apocalypse Now“ lässt grüßen, die Gründe lagen jedoch an anderer Stelle. Ursprünglich als nicht besonders große Produktion geplant, verschlang der Film das Budget eines damals großzügigen Mainstreamfilms. Das Skript von Gore Vidal wurde unzählige Male überarbeitet, verunstaltet, am Ende warf der Mann entnervt das Handtuch und distanzierte sich (nicht als einziger) empört vom fertigen Produkt. Etliche Nachdrehs wurden getätigt, meist um den von PENTHOUSE produzierten Film mit zusätzlich Hardcore-Sexszenen „zu verfeinern“, was wiederum dazu führte, das komplette Passagen abgeändert wurden usw.. Eins ergab das Andere und am Ende war von dem, was „Caligula“ wohl mal sein sollte nicht mehr viel übrig. Es ist nur noch schwer zu rekonstruieren, was eventuell der anfängliche Plan war. Sicher ist nur: Ganz bestimmt nicht das. Die Nachbeben waren verheerend. Die Kritiker zerrissen ihn in der Luft, viele Beteiligte beteuerten beschämt selbst in die Irre geführt worden zu sein, radikale Kürzungen und flächendeckende Indizierungen inklusive.

"...aber schon schön hier."

Eigentlich ist es unmöglich, „Caligula“ ernsthaft als guten, gelungen Film zu bezeichnen. Selbst wenn man über den extremen Selbstzweck des reichlich eingefügten, pornografischen Materials hinwegsieht, das ganze Ding ist unabhängig davon ein riesiges, verhackstückeltes Durcheinander. Konfus, brutal, pervers, nicht nur kontrovers und obszön, sondern bewusst seiner künstlerischen Ambitionen durch provozierendes Kalkül teilweise beraubt. Und auf eine merkwürdige Art auch wieder nicht. So etwas gab es vorher nicht und wird es wohl auch nie wieder geben. Eine bombastische Orgie, der „Ben Hur“ des Schundfilms, verschwenderisch riesig aufgeblasen und mit seinem grenzüberschreitenden, vor nichts und niemanden haltmachend Spektakel vielleicht näher dran an dem von Intrigen, Machthunger, Größenwahn und heute nur noch als viehisch zu betrachtenden Zustände jener Zeit als jeder andere Film. Hier wird nicht nur mit der Tür ins Haus gefallen, die ganze Bude wird mit phallischem Gigantismus eingerissen. Zwischen epischem Müll und unter den Trümmern vergrabener Kunst präsentiert sich „Caligula“ als schonungslose, politisch-historische Satire, die mit Ejakulat und Blut kleckert und gleichzeitig mit seinem Pomp und Mut zum Unzeigbaren klotzt. So trieben es die alten Römer wahrscheinlich wirklich, auch wenn der Film es natürlich genießt, mit voller Absicht und ohne Rücksicht auf Verlust die Nadel des guten Geschmacks bis zum Anschlag in den roten Bereich zu penetrieren.
Faszinierend mit beizuwohnen, wie in teilweise verschwenderisch tollkühnen Sets mitunter völlig sinnlose Szenen runtergehobelt werden, während einige in ihrem opulenten Amoklauf einfach nur beeindruckend sind (die gewaltige Enthauptungsmaschine: „Was würde ich mir nur für einen Aufwand sparen, wenn ganz Rom nur einen einzigen Hals hätte.“ Sagenhaft!), wieder andere tatsächlich aus einem großen, wichtigen Werk entsprungen scheinen und sich Weltstars neben Pornosternchen tummeln. Der große, langsam vor sich hin schimmelnde Peter O’Toole vollbringt bereits eine unangemessen hervorragende Leistung, doch nichts geht über einen Malcolm McDowell, der sich voller Inbrunst, sichtlich ungebremst und einmal heiß gelaufen in Rage spielen darf, da wackeln die Wände. Kaum zu übersehen wie hier zu viele Köche den Brei mit immer neuen Stilrichtungen geschmacklich komplett verdorben haben, aber die in den Futtertrog geworfenen Pampe ist definitiv einzigartig. Es ist kein verkanntes Meisterwerk wie Passolini’s auf den ersten Blick grob vergleichbares Scheusal „Salò – Die 120 Tage von Sodom“, vielleicht wollte er es gerne sein. Trotzdem ein Unsittengemälde, dass sich in seinem radikalen, selbstbewussten und natürlich auch fehlgelenkten Auftreten ein sehr merkwürdige Form von tiefen Respekt verdient. Kann man mögen oder nicht, beides aus guten Gründen, aber ein Bild davon machen erweitert definitiv den Horizont. 
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