Review: BOYHOOD - 12 Years a Life

Review: BOYHOOD - 12 Years a Life
Fakten:
Boyhood
USA. 2002 – 2014. Regie und Buch: Richard Linklater. Mit: Ellar Coltrane, Patricia Arquette, Ethan Hawke, Lorelei Linklater, Tamara Jolaine, Nick Krause, Zoe Graham, Jordan Howard, Mona Lee Fultz, Jenni Tooley, Tess Allen, Richard Robichaux u.a. Länge: 165 Minuten. FSK: freigegeben ab 6 Jahren. Im Kino.

Story:
Mason ist ein ganz normaler Junge, der nach der Scheidung seiner Eltern die Schule überstehen muss. Seine Mutter hat zwar immer wieder Pech mit ihren Partnern, aber findet eine berufliche Erfüllung, als sie beginnt, am College Psychologie zu unterrichten. Sein Vater ist ein Taugenichts, der immer wieder versucht auf die Beine zu kommen, nur um im nächsten Moment die alten Fehler zu wiederholen. Doch mit der Zeit findet auch er halt in einer neuen Familie und beginnt als Versicherungsmakler Verantwortung für sich seine Lieben zu übernehmen.
In all diesem Chaos versucht Mason eine normale Kindheit zu erleben: Er muss Freunde finden trotz häufiger Umzüge, die enge Beziehung zu seinem Vater immer wieder neu erkämpfen, die erste Liebe genießen, die erste Trennung verkraften. Aus all diesen Ereignissen formt sich ein erwachsener Charakter, der bereit ist, im Leben seinen eigenen Weg zu gehen.

Meinung:
Das Schöne an dieser Zeitkapsel, die Richard Linklaters langjähriges Projekt repräsentiert, ist im stärksten Sinne die Verbundenheit und Identifikation, die sie zu den Generationen pflegt, welche darin ungefähr, plus minus einige Jahre, aufgewachsen sind. Da findet man schnell universelle Verbindungsstücke zum eigenen, kindlich-jugendlichen Werdegang, die nicht nur unfassbar gut bei Laune halten, sondern auch eine gewisse Reflexion erwirken, über Höhen und Tiefen, je nachdem wie viel auf einen selber zutrifft und wie nostalgisch man veranlagt ist. Das ist nun mal die beste Funktion von BOYHOOD: er verpackt in kurzweiligen Segmenten die Auffassungen eines Kindes im Verlauf der Jahre, macht es beinahe ebenso zum objektiven Beobachter wie wir und stellt Veränderungen, Wiederholungen, Erlebnisse und Einsichten fest, dass alle zwischen Kinositz und Leinwand auf Augenhöhe liegen - und das auch noch zusätzlich auf einer Meta-Ebene der Persönlichkeitsformung und Beobachtung am echten Wachstum seiner Darsteller.

 

Review: BOYHOOD - 12 Years a Life

Mason und sein Dad während einer glücklichen Zeit?

Als Filmerfahrung entpuppt sich dieser Grundgedanke als meist locker-unaufgeregte und äußerst kurzweilige Studie - die Frage, welche sich unweigerlich stellen mag, What's the point?, wird durch Linklaters (offensichtliches) Sprachrohr Ethan Hawke als Slacker-Dad kategorisch relativiert, so alà "Die Reise war das Ziel". Das ist keine unbedingt profunde Lebensweisheit und vom Inszenatorischen her auch gar nicht mal so zielgerichtet aufgefangen. Wie in den meisten Linklater-Filmen spielt eben einfach auch das alltägliche Abhängen eine große Rolle - lockeres Quatschen, Musikhören, vorallem Videospielen, Freizeit verbringen, im Verlauf der Jugend natürlich in Verbindung mit Booze, Babes & Responsibility. Die daraus folgende Mentalität, nicht wirklich Bock aufs Erwachsenwerden zu haben, zieht sich nicht nur in der Entwicklung des Protagonisten durch, der irgendwie verschlossen, bescheiden und doch smart (oder eben ein Semi-Hipster) wird, sondern auch bei der Mutter (Patricia Arquette), die zwar dem geregelten Leben hinterherjagt und dennoch immer an die falschen Kerle gerät und dem (Wochenend-)Vater an sich, der jahrelang dieselbe Karre fährt, brotlose Musik verstrahlt und mit den Jahren zwar ein kleiner Spießer wird, aber zumindest eher zufrieden sein kann - sein freier Einfluss von außen zeigt jedenfalls eher Wirkung in der Erbauung seiner Kinder als der aller Anderen.

Review: BOYHOOD - 12 Years a Life

Mom erzählt eine Geschichte, vielleicht über Nicolas Cage?

Das Erwachsenwerden fällt aber auch dem Film schwer, der sich anfangs eher in die aufregenden Umstände und Popkulturen seiner Zeit reinstürzt, sich zum Ende hin aber ernsthaft mal überlegen muss, wohin er überhaupt will. Ist auf jeden Fall eher ungeil und ehrlich gesagt auch gar nicht mal so spannend wie zuvor - und das, obwohl man trotzdem noch soviel vor sich hat! Kann ich nicht wirklich mit konform gehen. Der Grund für dieses Empfinden liegt aber ganz klar in meinem persönlichen Vergleich zum eigentlich alles beherrschenden Protagonisten, mit dem ich mich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr so ganz anfreunden konnte - sein (zugegebenermaßen doch zaghafter) Zynismus und seine Weltsicht passen eher zu der Generation, der er entwachsen ist (also nicht meiner), die Entwicklung dorthin macht schon wirklich Sinn, von meiner Sicht aus hätte er aber ein enthusiastischer Kumpel werden können, eben einer, der zu seinem Äußeren passt, das zum Schluss erschreckend starke Ähnlichkeiten mit Filmvater Ethan Hawke hat.

Review: BOYHOOD - 12 Years a Life

Irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsenwerden: Mason

Aber da wird sich Linklater eben sicherlich auch nicht komplett an seinen Charakteren, sondern an seinen Darstellern orientiert, improvisiert haben - anders, mit einem festen Plan versehen, hätte die Geschichte wohl weniger, höchstens prätentiöser funktioniert, das kann man einsehen. Schließlich bleibt man innerhalb von 12 Jahren Drehzeit auch nicht ein und derselbe Regisseur (Ausnahmen bestätigen die Regel). Aber man kann ebenso verstehen, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt aufhören musste, da die Geschichte einfach nicht mehr hergab, ohne vollkommen aus dem Ruder des Realismus zu laufen. Da denkt er sich in eine Sackgasse, wie das im Leben leider öfter der Fall ist, als man zugeben möchte. Dennoch will man sich diesen Umstand ja nicht in den Fokus des Lebenswillen setzen, wie es BOYHOOD zunehmend versucht, aber im Herzen eher davon abweichen möchte. Allerdings, so wie er diesen Zwiespalt - ebenso wie die Bindungskraft der (ab und an dysfunktionalen) Familie - narrativ und seelisch verinnerlicht, das ganz normale Leben in den Mittelpunkt setzt und so durchgehend zur persönlichen Vereinnahmung ermuntert: das ist schon eine beachtliche Leistung und in seiner hochgradig-nachvollziehbar aufgezogenen Konkretisierung und Luftigkeit aufregend und einladend - so ziemlich auch ein Gimmick-Film, aber wenigstens einer, der mächtig Spaß und Elan darin hineinstecken will, sogar die unaufhaltbare Ernüchterung darauf mit Stolz durchzieht und sich folgerichtig nimmer ins filmische Regelwerk forcieren muss.

Ob das der beste Weg war, sei mal dahingestellt, aber so unterschiedlich wie sich das Leben mit nur geringem Jahresabstand entwickelt, kann man das eh nicht mit Bestimmtheit festlegen. Es ist nun mal doch eine individuelle Zeitkapsel geworden - take what you like and go with it.

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vom Witte

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