Review: BLUTIGE SEIDE - Geburt eines Genres


Review: BLUTIGE SEIDE - Geburt eines Genres
                                                                           
Fakten:Blutige Seide (Sei donne per l’assassino)IT, FR, MC, BRD, 1964. Regie: Mario Bava. Buch: Marcello Fondato, Giuseppe Barilla, Mario Bava. Mit: Cameron Mitchell, Eva Bartok, Thomas Reiner, Ariana Gorini, Dante DiPaolo, Mary Arden, Franco Ressel, Claude Dantes, Luciano Pigozzi, Lea Krugher u.a. Länge: 86 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:Model Isabella wird brutal ermordet. Kurz darauf fällt ihrer Kollegin Nicole ihr Tagebuch in die Hände. Der Täter hat es darauf abgesehen, was zu weiteren Morden führt. Was versucht er zu verbergen? Inspektor Silvestri vermutet den Killer im engsten Kreis der Agentur von Contessa Cristina Como. Verdächtige und mögliche Motive gibt es genug, nur die Beweise fehlen und je länger die Ermittlungen dauern, desto mehr Leben stehen auf dem Spiel.
  
Meinung:Mit „Blutige Seide“ hat Mario Bava ein Stück Geschichte geschrieben, legte er doch den Grundstein für das Giallo-Kino, welches die europäische – speziell die italienische – Filmlandschaft in den Folgejahren maßgeblich prägen sollte. Im Schatten des anspruchsvollen Autorenfilms entstand ein eigenes, ganz spezielles Sub-Genre, das in dieser Form heute praktisch (mit wenigen Ausnahmen und wenn nur selten von guter Qualität) ausgestorben ist. Dafür ebnete es einigen B-Movie-Glanzstücken und deren Schöpfern den Weg, in erster Linie natürlich einem Dario Argento, der Bava’s Stil wie kein Zweiter aufgriff und sogar perfektionierte. Allein als dieser Eckpfeiler und Büchsenöffner ist „Blutige Seide“ schon ein ganz besonderer Film, was ihn 50 Jahre nach seiner Entstehung jedoch nicht als einziges Merkmal hervorheben soll.

Review: BLUTIGE SEIDE - Geburt eines Genres

Besser rot als tot.

Schon der Vorspann macht deutlich, dass Bava hier keinen handelsüblichen Krimi erzählen wird, der sich ganz profan in den damaligen Gepflogen- und Sehgewohnheiten einordnen wird. Ein verführerischer, hypnotisierender Flirt von Rot und Grün, musikalisch sexy und leicht verrucht unterlegt. Die Richtung wird vorgegeben für das, was in den nächsten 1 ½ Stunden an teils magischen Momenten für Verzückung sorgen wird. Wobei klar festzustellen ist: „Blutige Seide“ ist – aber wie könnte er es jetzt schon sein – noch nicht das Maß der Dinge im Genre. Er etabliert allerdings Elemente, die später zu dessen Dogma werden sollten. Der unbekannte Killer, die schwarzen Handschuhe, seine weibliche Opfer und ein, für damalige Verhältnisse, recht direkter Härtegrat, welcher heute niemanden mehr schockieren wird und schon kurze Zeit später um ein Vielfaches überboten wurde. Nicht die explizite, wahnsinnig blutrünstige Zurschaustellung brutaler Gewalt war hier so radikal, eher wie zentral und unmissverständlich sie als künstlerischer Höhepunkt arrangiert wird, deutlich vor der eigentlichen Handlung. Gestorben wird nicht im Off, Mord ist nicht Mittel zum Zweck, es ist das Highlight, wird zelebriert, ausgereizt. Den Opfern ist kein schnelles Ableben beschert, sie sollen leiden, flüchten, zur Strecke gebracht werden. Wie Bava dies inszeniert, war einzigartig und wurde fester Bestandteil, Erkennungsmerkmal und Gütesiegel. In diesen Momenten ist „Blutige Seide“ immer noch bestechend. Die Szene in Franco’s Atelier ist ein feuchter Traum aus Beleuchtung, Schattenspiel und Farbenrausch, ohne den es Argento’s „Suspiria“ in dieser Form womöglich nie gegeben hätte.

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Das Model und der Freak.

In diesen Einstellungen glänzt Mario Bava mit einer ästhetischen Raffinesse und einem wahnsinnig stimmigen Set-Design, das dem kaum ein Wort ernsthaft gerecht wird. Dass es sich hier noch um eine Findungsphase bzw. einen Übergang vom klassischen Krimi zum eigenständigen Genre handelt, lässt sich – mit Blick auf folgende Werke – im Detail festmachen. Dem konsequenten Sleaze frönt Bava noch nicht, baut noch deutlicher auf eine zumindest sinnvolle, nachvollziehbare Handlung, die sich nicht endgültig in seinen eigentlichen Stärken verliert und dem alles andere unterordnet. Später wurde darauf oft dezent gepfiffen, lieber widmete man sich voll und ganz dem, was zum Wesentlichen und Identität des Giallos wurde. Es mag verrückt klingen, einem Film als Vorwurf zu machen, sich zu sehr auf (zumindest halbwegs) plausible Motive und Handlungsverläufe zu konzentrieren, nur das ist es eben nicht, warum man sich diesen oder jeden anderen Vertreter seiner Gattung ansieht. Konnte damals noch nicht geahnt werden, zumindest in dem Ausmaß. Partiell wirkt „Blutige Seide“ daher noch viel konservativer als die meisten seiner „Nachahmer“, kann dies allerdings mühelos durch seine mitunter atemberaubende Schönheit in symbolisch-betörenden Rot locker auffangen. Wie man eine Geschichte effizienter den markanten Stilmitteln opfert, bewies – um den Namen ein letztes Mal ins Spiel zu bringen – Dario Argento gut zehn Jahre später mit „Profondo Rosso – Die Farbe des Todes“. Dort knallte er einem durchgehend dieser bemerkenswerte Bildsprache um die Ohren, die Bava hier „nur“ als Schmankerl serviert, ging es surrealer und genau genommen sogar konfuser an, um damit den hier noch zu übertreffen.
Noch kein perfekter Giallo, in seinem selbstbewussten, riskanten und dann eben so grandiosen Bruch mit dem Status Quo allerdings ein Meilenstein, zum Teil absolut famos, von seiner Relevanz ganz zu schweigen. 
7,5 von 10 roten Modelpuppen

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