Review: AUGEN OHNE GESICHT - Gesichtsloser Klassiker

Erstellt am 23. März 2013 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln
  
Fakten:
Augen ohne Gesicht (Les yeux sans visage)
F, IT, 1960. Regie: Georges Franju. Buch: Pierre Boilau, Thomas Narcejac, Jean Redon, Claude Sautet, Pierre Gascar. Mit: Pierre Brasseur, Alida Valli, Edith Scob, Juliette Mayniel, Francois Guérin, Alexandre Rignault, Béatrice Altariba, René Génin u.a. Länge: 86 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.
Story:
Das Gesicht von Christiane, die Tochter des genialen Chirurgen Génessier, ist nach einem Autounfall grausam entstellt. Nachdem sie aus der Klinik spurlos verschwindet, wird eine Frauenleiche entdeckt, die ähnliche Verletzungen aufweißt. Doktor Génessier identifiziert die Leiche als Christiane, sie wird für tot erklärt. Tatsächlich hält Génessier sie in seiner Villa versteckt. Er und seine Assistentin Louise entführen junge, hübsche Frauen, um Christiane deren Gesicht zu transplantieren. Bisher ist der Eingriff jedesmal fehlgeschlagen, so das immer mehr "Spenderinnen" erforderlich werden.
 


 Meinung:
In Deutschland seinerzeit als "Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff" erschienen (Doktor Génessier wurde in Rasanoff umbenannt, sollte wohl gruseliger klingen). Keine rein deutsche Unsinnserfindung, auch in Großbritannien lief er als "House of Dr. Rasanoff" in den Kinos, in den USA als "The Horror Chamber of Dr. Faustus". Inzwischen ist er unter dem sinnvolleren, da wortwörtlich übersetzten Namen "Augen ohne Gesicht" auf DVD erhältlich.
 

"Schau mir in die Augen, Kleines." Wohin auch sonst?

Der Film gilt als Klassiker des Horrorfilms, vollkommen zu recht. Georges Franjus Werk zitiert mit seiner Böser-Wissenschaftler-Thematik und den schauerlichen Katakomben des Herrenhauses frühere Genrefilme, diente darüber hinaus unübersehbar für viele Nachfolgende. Die für die damalige Zeit ziemlich befremdlich-erschreckende Story hat bis heute kaum etwas davon verloren. Noch immer dürfte die Grundidee für einen eiskalten Schauer sorgen. Das es dazu auch noch dementsprechend inszeniert ist, rundet das Gesamtbild eines zeitlosen Klassiker ab.
Franju erzeugt eine enorm stimmige Atmosphäre. Seine Bilder sind düster und erstklassig ausgeleuchtet, die Kulisse der Chirurgen-Villa und dessen unterirdischen Operationssaals furchteinflößend. Besonders intensiv wirkt es, wenn Christiane mit ihrer gespenstisch anmutenden Maske durch die Zimmer und Flure schreitet. Selbst der kurze Moment, in dem der Zuschauer einen Blick auf ihr fürchterlich entstelltes Gesicht werfen kann, wirkt nicht so beängstigend. Es ist diese starre, bleiche Visage, die wahren Eindruck schindet.
Für seine Zeit recht heftig wirkt die ausführlich dargestellte Gesichts-OP-Szene, die in der deutschen Kinoversion entfernt wurde. Mit heutigen Ekelexzessen ist das natürlich nicht vergleichbar, ist aber immer noch effektiv, zudem wirklich gut gemacht.  


 

Die Frau ohne Gesicht und die ohne Gewissen

Die Hauptdarsteller wissen ihre Rollen exakt auszufüllen, speziell Pierre Brasseur als genialer, aber eiskalter Todesengel spielt hervorragend. Seine, wie die Rolle von Alida Valli als seine Assistentin, wurde an den Wissenschaftlern des NS-Regimes angelehnt, die sich als gottesgleiche Übermenschen verstehen, die das Recht über Leben und Tod zu entscheiden für sich beanspruchen. Menschen dienen lediglich als Versuchsobjekte und Ersatzteillager, ihr Handeln erscheint ihnen keinerlei Gewissensbisse zu verursachen.
Was "Les yeux sans visage" noch auszeichnet, ist das dramatische Potenzial seiner Geschichte, was sich in der Figur der Christiane manifestiert. Ihre tragisches Schicksal ist die Ursache für die schrecklichen Morde ihres Vaters, die sie aber nicht befürwortet. Sie wird von ihrem Vater mehr oder weniger gefangen gehalten, sogar für tot erklärt, er nimmt ihr ihre gesamte Existenz. Er gibt vor, alles aus Liebe für sich zu machen, doch erscheint es ihre so, als wäre sie nur die Rechtfertigung für seine Taten, ein Versuchskaninchen für seine Experimente. Ihre Figur ist traurig, ein Opfer, dass sich zumindest halbwegs in der Täterrolle fühlt, obwohl sie selber nicht aktiv eingreift. Im weiteren Sinne hat das etwas von der "Frankenstein"-Tragik.
Freunde des klassischen Horrorfilms, aber grundsätzlich alle Filminteressierte, sollten sich dieses Werk unbedingt ansehen. Hier gibt es essentielle Dinge zu bestaunen, die jeden Film aufwerten.
8,5 von 10 unfreiwilligen Gesichtspenden.