Review: ALL IS LOST – Ein Kammerspiel auf hoher See

Erstellt am 21. Januar 2014 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln


Fakten:
All Is Lost
USA. 2013. Regie und Buch: J. C. Chandor. Mit: Robert Redford. Länge: 106 Minuten. FSK: Ab 6 Jahren freigegeben. Im Kino.
Story:
Nach einer Kollision mit einem umhertreibenden Güter-Containers wird das Boot eines einsamen Seglers (Robert Redford) beschädigt. Er kann zwar das Boot notdürftig flicken, allerdings werden Funkgerät und Bordtechnik durch eintretendes Wasser zerstört. Unser Skipper segelt also weiter und gerät in einen unglaublichen Sturm, dem das Boot nicht mehr lange Stand halten kann. Und so treibt er sehr schnell orientierungslos mit seinem halb zerstörten Schiff über das Meer und die Hoffnung auf Rettung schwindet von Stunde zu Stunde.

Meinung:
Vor etwa einem Jahr hat mit „Life of Pi” ein Film für Furore gesorgt, in dem ein junger Mann die meiste Zeit des Films völlig alleine in einem kleinen Boot auf dem Meer trieb. Einziger Begleiter war ein Tiger. Ein Jahr später wird dieser Minimalismus auf die Spitze getrieben. In „All Is Lost“, dem zweiten Spielfilm von Regisseur und Drehbuchautor J. C. Chandor, gibt es mit dem von Robert Redford gespielten Charakter nämlich nur eine namenlose Person, die auf dem Meer nun völlig alleine herumtreibt, nachdem er mit einem Container kollidiert ist. Das Boot kaputt und nur notdürftig geflickt und die technischen Geräte durch das Wasser unbrauchbar geworden kommt schon die nächste große Gefahr auf den Segler zu – ein unglaublicher Gewittersturm.

Wasser an Bord? Irgendwas stimmt hier nicht.

Natürlich konzentriert sich bei einem Film, in dem nur ein Schauspieler auftritt, alles auf eben diese Person. Mit Robert Redford hat man genau den richtigen gefunden. Er darf zwar kaum sprechen, wenn es hoch kommt sind es im ganzen Film vielleicht hundert Wörter, doch was er verbal nicht ausdrücken darf, das zeigt er mit seinem Gesicht. Besonders im späteren Verlauf des Films zeigt Redford mit den leichtesten Veränderungen seiner Mimik den Gemütszustand seiner Figur, die zunehmende Verzweiflung. Er weiß genau, wann er seinen Blick starr lässt, wann er an der unmenschlichen Belastung zu zerbrechen droht, aber am besten wird seine Leistung deutlich, wenn er eine Emotion oder eine Handlung hinauszögert. Das sind nur ganz kleine Pausen, ein Abstoppen oder Verharren, aber sie haben eine außerordentliche Wirkung.

Lieber mal an Deck nachsehen...

Allerdings wirkt seine Figur besonders anfangs zu cool. Er hat für jedes neue Problem sofort eine gute Lösung parat. Gut, Redford ist mit 77 Jahren natürlich ziemlich erfahren, aber dass er mit seiner Figur alles so schnell meistern kann, das überrascht und stört mich. Zu schnell und zu einfach. Allerdings wird dadurch der Schnitt hin zu diesem „Alles-ist-verloren“-Moment noch deutlicher. Irgendwann ist der Moment erreicht, an dem Redford trotzdem die Kontrolle über die Situation entgleitet. Der Moment, an dem Hoffnung zu Verzweiflung wird, an dem das Aufgeben über das Kämpfen triumphiert. Das passiert sogar öfter, denn, wie es der Zufall so will, werden unserem Skipper immer wieder neue Brocken Hoffnung zugeworfen, durch die er neuen Enthusiasmus und Lebensmut schöpft. Und auch das bildet Redford mit seiner unterschiedlichen Körpersprache toll ab.
„All Is Lost“ wird fast schon wie ein Kammerspiel aufgezogen. Obwohl man auf dem großen, weiten Meer ist, ist die Situation und der Handlungsspielraum sehr eingeengt und wird im Verlauf immer enger. Was viele bereits bei „Gravity“ empfunden haben, das tritt auch hier auf: Beklemmung, eine fast schon klaustrophobische Angst. Nur dass statt des unendlichen Weltalls das (beinahe) unendliche Weltmeer herhalten muss – eine Gefahr, die viel näher aus unserem Leben gegriffen ist und darum noch bedrohlicher erscheint. An ein Entkommen ist zumindest in beiden Fällen nicht zu denken. Dies wird auch durch die gute Kameraleistung von Frank G. DeMarco und Peter Zuccarini unterstrichen, die immer wieder die Weite des Meeres der Enge des kleinen Bootes gegenüberstellen. Die Unterwasseraufnahmen sehen wie auch die actionreichen Szenen ebenfalls hervorragend aus.

Oh verdammt, hier ist ja noch mehr Wasser!

Dass eine bedrohliche Gesamtstimmung erzeugt wird, das liegt auch zu großen Teilen am starken Score von Alex Ebert, der zu jeder Zeit mit seiner Musik die richtigen Gefühle unterstützt. Nur zum Schluss hin, da scheint er es etwas zu gut zu meinen – wie übrigens auch die Story. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Einerseits scheint das Ende, ohne zu viel verraten zu wollen, kitschig und prätentiös zu sein, nachdem sich der Film doch erfreulicherweise bisher so zurückgehalten hat, mit ein bisschen Überlegung und Interpretationsleistung könnte es auf einer symbolischen Ebene doch ein passendes Ende sein. So oder so, es wirkt für mich zu unausgegoren. Neben dem Ende sind die zu superheldenhafte erste Hälfte und der immer wieder zu stark eingreifende Zufall die Hauptgründe, die eine höhere Wertung verhindern. Aber dennoch ist „All Is Lost“ eine emotionale, beklemmende und spannende One-Man-Show eines starken Robert Redford geworden.
7,5 von 10 schwimmende Last-Container