Im aktuellen Freitag gibt es einen kleinen Beitrag von mir zu lesen: Rette die Stadt. Thema ist die mediale Berichterstattung über die aktuellen Stadtproteste in Hamburg und Berlin:
Rette die Stadt
von Andrej Holm
Ob in den Städten die Logik des Geldes herrscht, sollten nicht nur Anwälte und Künstler unter sich ausmachen. Denn die Debatte darf nicht kulturalisiert werden
Vor einem Jahr war die Welt des städtischen Protestes noch in Ordnung. Vielerorts gründeten sich Initiativen und mobilisierten gegen Großprojekte und den Ausverkauf der Städte. Begleitet wurden die Kampagnen von einem regelrechten Boom an Artikeln über steigende Mieten und Verdrängungsprozesse in den Innenstädten. Die überregionale Presse berichtete über unternehmerische Stadtentwicklungsleitbilder und die sozialen Auswirkungen der Immobilienwirtschaft. „Bionade-Biedermeier“ wurde zum geflügelten Wort für die dominant-spießigen Lebensstile im Prenzlauer Berg, die Süddeutsche Zeitung befürchtete die „Vertreibung aus dem reichen Herz der Städte“, und beim Axel-Springer-Verlag notierte man: „Praktisch jede deutsche Metropole hat heute ihre Gentrifizierungsdebatte“.
Der kritisch gefasste Begriff der Gentrification hat sich von einer Fachvokabel in die Überschriften emporgearbeitet. Selbst der Zusatz „Soziologen nennen das Phänomen“ ist verschwunden. Die Kampagne gegen das MediaSpree-Investorenprojekt in Berlin oder die Aktivitäten des Recht-auf-Stadt-Bündnisses in Hamburg surften auf der populären Welle von Stadtkritik.
Doch die Zeiten der freundlichen Protestporträts sind vorbei. In der Berliner Zeitung schwadronierte Harald Jähner unlängst: „In den frühen 30er Jahren terrorisierten SA-Truppen ,undeutsche‘ Kinos und Kaufhäuser. Heute ist unkreuzbergerisches Schickimicki an der Reihe.“ Hintergrund waren als Fahndungsposter gestaltete Plakate, die sich kritisch mit dem Umzug der Biennale-Kunstausstellung aus Berlin-Mitte nach Kreuzberg auseinandersetzten. Auch in der Süddeutschen Zeitung ist wenig Sympathie geblieben. Jan Füchtjohann malte dort das „Gespenst der Gentrifizierung“ an die Wand. Die Hamburger Künstler der „Not In Our Name“-Kampagne hätten als „Mächte des deutschen Indie-Pop zur Hetzjagd auf die Gentrifizierung geblasen“.
Gefahr der Banalisierung
Das Problem ist für ihn die soziale Position der Aktivisten. Seine Analyse: Es gehe gar nicht mehr um die Verdrängung von Arbeitern oder Ausgegrenzten, sondern um einen Kampf innerhalb des Bildungsbürgertums. „Angeführt von gut vernetzten Künstlern und Aktivisten, verteidigen Freiberufler und Kreative ‚ihr‘ Viertel gegen den Zuzug von Rechtsanwälten und Unternehmensberatern. Beide verfügen über Bildung, aber die einen haben mehr Zeit, die anderen mehr Geld.“ So werden Anti-Gentrification-Kämpfe kulturalisiert, Gentrifizierung wird zu einer Auseinandersetzung verschiedener Lebensweisen banalisiert.
In dieser Perspektive haben städtische Proteste einen intoleranten und konservativen Gehalt, und Stadtentwicklung erscheint als offener Wettbewerb verschiedener Wohnkulturen und Lebensvorstellungen. Übersehen wird dabei, dass es in den Protesten nicht um den Kampf verschiedener Lebensstile, sondern um wirtschaftliche Verwertungszusammenhänge geht. Modernisierungsarbeiten, Neubauten und Umnutzungen folgen dabei dem Gesetz der Ertragslücken: Übersteigen die potenziell zu erwartenden Einnahmen eines Grundstückes die momentane Ertragslage, wird investiert. Als Gentrification bezeichnet werden all jene Investitionsstrategien, für deren Erfolg der Austausch der Bewohner und Nutzungen Voraussetzung ist. Lassen sich mit Eigentumswohnungen höhere Gewinne erzielen als mit Mietwohnungen, trifft es die Mieterinnen und Mieter. Sollten sich die aktuell verbreiteten Nachrichten bestätigen, wonach Hartz-IV-Empfänger zum Umzug in kleine Wohnungen genötigt werden sollen, werden Verdrängungsprozesse – staatlich unterstützt – noch rasant an Fahrt aufnehmen. Dort, wo Bürobauten und Einkaufszentren gewinnversprechend realisiert werden können, müssen selbst solche etablierten Kulturstandorte wie das Tacheles in Berlin weichen.
Im Juli riefen in Berlin dutzende Clubs und Bars, etliche Bürgerinitiativen und Politgruppen, aber leider nur wenige Mieterinitiativen und Stadtteilgruppen zu einem Protestmarsch auf. Obwohl auch wohnungspolitische Forderungen formuliert wurden, spiegelt diese Zusammensetzung den aktuellen Stand der städtischen Proteste wider. Es scheinen vor allem die Künstler und Kreativen zu sein, die eine andere Stadtentwicklung einfordern. Anders als die Hamburger Gängeviertelbesetzer, die sich noch deutlich gegen die Vereinnahmung ihrer Kreativität in unternehmerische Stadtentwicklungskonzepte wehrten, bleiben die Berliner Initiativen zumindest mit ihrem Slogan – „Rette Deine Stadt“ – der Standortlogik verhaftet.
Immer öfter wird auch der Vorwurf erhoben, diejenigen, die vorgeben, die ganze Stadt retten zu wollen, hätten letztlich nur ihre eigenen Galerien, Clubs und Spielwiesen im Sinn. Doch auch die selbst ernannten Retter Berlins sind in erster Linie durch Aktivitäten des Immobilienmarktes bedroht. Ihr Protest ist gerade deswegen hochgradig anschlussfähig für die Mobilisierungen von Mietern. Bleibt zu hoffen, dass diese Verbindungen in künftigen Protesten stärker betont werden – und nicht auch noch die Proteste selbst in die Falle der Kulturalisierung tappen.
(erschienen in: Freitag, 31/10, S. 1)