“Krieg ist der Vater aller Dinge” schrieb einst Heraklit. Krieg ist auf dieser Welt schreckliche Realität, wir nehmen ihn als Meldung in den Nachrichten auf, rezipieren ihn, konsumieren ihn. Gleichzeitig wird Krieg in den Medien inszeniert, um die jeweilige Öffentlichkeit für oder gegen eine Seite einzunehmen, werden Feindbilder und Helden konstruiert. Was macht Krieg mit unserer Gesellschaft und was machen wir mit dem Krieg?
von Mira Sigel
Wir verwandeln ihn in ein Stück Kultur, Alltag, Unterhaltun, in Kunst und Kultur, wir kritisieren, ästhetisieren und banalisieren. In dem Sammelband “Repräsentationen des Krieges”, herausgegeben von Sören R. Fauth, Kaspar Green Krejberg und Jan Süselbeck im Wallstein Verlag, wird auf vielschichtige und eindrückliche Weise dargestellt, wie Krieg in Theater, Film, Dichtung und Literatur und medialer Berichterstattung dargestellt, instrumentalisiert und kritisiert wird.
Die Diskussion um die mediale Inszenierung des 2. Irakkriegs von 2003 hat deutlich gemacht, wie sehr die Wahrnehmung von Krieg durch seine mediale Inszenierung geprägt wird. Welche Bilder wir zu sehen bekommen, bestimmen, wen wir als (verdienten) Sieger sehen, wen als Opfer, wer uns gleichgültig ist. Gleichzeitig gibt es ein vitales Interesse an Krieg und an seiner Darstellung, wie nicht nur die nicht abreißende Produktion von Videospielen dieses Genres zeigt. Der Kriegsdiskurs verändert sich zugleich, die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen. Waren es in den 90er Jahren noch Ost und West, so sind es heute andere Diskurse. Der Feind, so mag man uns glauben machen, ist heute mitten unter uns.
Seit George W. Bushs War on Terror in Afghanistan und im Irak gebiert diese militärische Beurteilung der Lage ganz neue, umso verstörendere Probleme: Ihre vielfältige Multiplizierung und Diskursivierung durch die Medien wird mitunter von Rechtsextremen in Europa und der ganzen Welt aufgegriffen, um gefährliche, im Ernstfall eskalierende Vorstellungen eines globalen und “totalen” Abwehrkampfs gegen den Islam zu entwickeln, der selbst terroristisch geführt und ebenfalls in die Zentren der “westlichen” Welt getragen zu werden droht. Bezeichnenderweise richten sich solche verselbständigten Terrorakte in ihrem angemaßten “Befreiungskrieg” gegen einen halluzinierten abstrakten Feind oft nach innen, gegen die eigene Gesellschaft, was wiederum ein besonders Licht auf die Affekte wirft, die hier auf tödliche Weise sichtbar werden: Es ist letztlich das “Eigene” im “Fremden”, das hier auf so mörderische Weise attackiert wird.
Der erste Teil wird durch eine Auseinandersetzung mit Kriegs- und Antikriegsfilmen gemacht. Hermann Kappelhoff zeigt, dass zum Beispiel durch die ritualisierte Verwendung des shell shocked faced, des angesichts der entfesselten Kriegsgewalt entsetzen Gesichts eines Soldaten, meistens des Protagonisten eines Kriegs- oder Antikriegsfilms, ein Gemeinschaftsgefühl der amerikanischen Gesellschaft erzeugt wird. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine “grundlegende Pathosformel”. Der einzelne Soldat, der angesichts des unbeschreiblichen Schreckens und der tödlichen Gefahr auf dem Schlachtfeld, ausgelöst durch einen gesichtslosen und deshalb so bedrohlichen Feind, trotzdem weiterkämpft, hat eine sozialintegrative Kraft für die Zuschauer. Das shell shocked face findet sich auf dem Gesicht von Tom Hanks bei “Saving Private Ryan” während dem Sturm auf die Normandie ebenso wie bei “Full Metal Jacket”.
Es setzt die moralische Empörung in eins mit dem andachtsvollen Erinnern, die Anklage mit dem Pathos des Gedenkens an die Gefallenen, die sich für den Erhalt der politischen Gemeinschaft opferten. Es bringt den grundlegenden dramatischen Konflikt zum Ausdruck, der die Poetik des Kriegsfilmgenres Hollywoods strukturiert: Das ist die Differenz zwischen dem sinnreichen Opfertod für und dem sinnlosen Sterben Einzelner durch die Handlungen der Nation, die Differenz zwischen Sacrifice und Victim.
Weitere Figuren und Geschichten entwickeln die Suggestivkraft dieses vereinenden Narrativs, so zum Beispiel in “Windtalkers” mit Nicolas Cage, wo weiße Militärs zwei Navajo beschützen müssen, weil deren Muttersprache eine militärisch unbedingt zu schützenden Code darstellt, der auf keinen Fall den Japanern in die Hände fallen darf. Die Message ist klar: Am Ende sind wir alle Amerikaner. Dieses Narrativ wird in der Geschichte von “Saving Private Ryan” noch vertieft, weil dieser durch das Opfer von vielen nach Hause zurückkehren darf und sein ganz persönliches “Pursuit of happiness”, sein verfassungsgarantiertes Recht nach dem Streben nach Glück aufnehmen darf.
Auch Manuel Köppen beschäftigt sich mit dem Kino, allerdings mehr mit der dort inszenierten Gewalt und welchen Zweck sie verfolgt. Die bereits bei Kappelhoff angesprochene Landung an der Normandie in “Saving Private Ryan” stellt eine für den Zuschauer nur schwer aushaltbare Gewaltorgie dar, ein Sterben in so rascher und brutaler Folge, dass einem selbst im Kinosessel schwindlig wurde. Er orientierte sich dabei an Filmaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg. Später stellte er zum Beispiel den Kampf zwischen dem jüdischen Soldaten Mellish und dem zuvor begnadigten deutschen Willie besonders detailreich dar. Auch hier die Erzählung deutlich: Die Nationalsozialisten haben keine Gnade verdient, sie sind zur Besserung nicht fähig. Ridley Scotts “Black Hawk Down” wurde für seine namenlosen schwarzen Opfer und Gegner schon oft kritisiert. Das Setting gleicht einem Videospiel – das nur kurze Zeit nach dem Film erschien. Tarantinos “Inglorious Bastards” wurde in den Kritiken als “Katharsis” gefeiert – die von ihm gezeigte Vergeltung an den Nazis mit zahlreichen Anspielungen auf andere Filme traf auch beim deutschen Publikum einen Nerv.
Lars Koch beschäftigt sich mit dem “Post-9/11-Cinema”, einem eigenen Genre, das sich nach dem 11. September 2001 entwickelte. Stets geht es um eine diffuse Bedrohung, die das Schicksal der Menschheit dauerhaft verändert, nicht selten mit New York als Kulisse. In “The Happening” stürzen sogar um 08:59 Uhr Menschen aus Hochhäusern – mehr als nur eine Anspielung. Doch das Genre ist vielfältig. Auch “The Brave One” mit Jodie Foster spielt auf diese Angst an. Ein Paar wird überfallen, er stirbt, sie überlebt, doch von nun an ist die Stadt für sie eine bedrohliche Welt, der sie nur mit Selbstjustiz und Gewalt begegnen kann. Koch nennt das eine “Proto-Paranoia”, einen Zustand der kollektiven Verunsicherung, mit dem das Kino zugleich spielt und den es verschärft.
Gerhard Jens Lüdeker stellt sich die Frage, ob es Antikriegsfilme überhaupt geben kann, oder ob nicht jeder Film, der Krieg darstellt, auch potenziell zur Kriegsverherrlichung taugt. Das zeigt jene Szene aus “Jarhead” von 2007, in der eine Gruppe von Rekruten in Jubel ausbrechen, als der als dezidierter Antikriegsfilm bekannte “Apokalypse Now” von 1979 läuft und jene Szene gezeigt wird, in der ein vietnamesisches Dorf bombardiert wird. Kriegskritik entsteht immer aus ihrem jeweiligen Kontext, geht dieser verloren, geht auch die Kritik unter.
Weiter wird in Filmen durch die Darstellung der Protagonisten, ihrer Handlungen, ihrer Erzählzeit subtil für Verständnis geworben, während die Gegner namen- und charakterlos bleiben, ihre Handlungen undurchsichtig und schließlich auch ihre Ermordung nachvollziehbar, wie zum Beispiel in “The Hurt Locker”. Als echte Antikriegsdramen kommen daher für Lüdeker daher nur solche Filme in Frage, die das Kriegsgeschehen gar nicht abbilden, sondern nur das, was es mit den Familien, den Daheimgebliebenen macht, wie in “The Valley of Elah”, in der ein Vater das Rätsel um die Ermordung seines Sohnes, eines Soldaten aufklären will und dabei verstörende Entdeckungen macht.
Linda Maria Kolda untersucht in einem weiteren Beitrag, warum U-Boote so beliebte Settings für Kriegsfilme sind.
Klaus Theweleit hat sich einen der erfolgsreichten Filme der letzten Jahre vorgenommen – “Avatar” von James Cameron und ihn auf seine Kriegsbotschaften untersucht. Die “Neo-Sci-Fi-Indians”, wie er sie nennt, sind für ihn nicht nur Pocahontas-Allegorien, sie sind vielmehr auch Botschafter für eine Zukunftsvision:
Was Cameron also faktisch tut: er steckt die gesamte moderne Kriegselektronik in “Avatar” ins Gewand von Greenpeace. “Botschaft”: Der böse rohstoffraubende Amerikaner wird vom Erdboden verschwinden, wenn die Unterdrückten und Unterentwickelten dieser Erde sich weiterentwickelt haben zum Ur-Indianer, in dessen Seele allerdings die neuesten Computer ticken. Computer, die natürlicherweise an Gott glauben, die keine Umweltschäden anrichten und auch sonst nichts zerstören: fundamentalistische Friedenscomputer. Das potentiell Tötende modernster Technologien tritt uns entgegen in Gestalt betender blaugefärbter Naturmenschen aus dem All, die Frieden für ihren Planeten fordern. Cameron steuert tatsächlich – eine Art ökologisch-elektronische Weltaufsicht an (wie der Superschurke im Superheldencomic die Weltherrschaft ansteuert).
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der Kriegsberichterstattung in den Medien.
Thomes F. Schneider untersucht die Emotionalisierung, Reduktion und Ikonisierung von Kriegsfotografisierung, die im kollektiven Gedächtnis sozusagen stelltvertretend für einen Krieg stehen, mit der Realität eines Krieges jedoch wenig zu tun haben, so zum Beispiel das Bild des vietnamesischen Mädchens Kim Phuc von 1972 nach der Bombardierung ihres Dorfes.
Mikkel Bruun Zangenberg setzt sich mit der Rolle der military blogger auseinander. Auf der einen Seite sind sie ein Gegengewicht zu der Berichterstattung der Mainstreammedien, die, wie im Fall des 2. Irakkriegs deutlich wurden, oft versagen, auf der anderen Seite zeigt er deutlich die Gefahr von sogenanntem “warporn”. Es gibt eine Klientel, die bereit ist, für Bilder von Gewalt, Vergewaltigung, Mord und Verstümmelung im Internet zu bezahlen.
Teil drei widmet sich den Mischformen visueller und textueller Kriegsdarstellungen. Jürgen Brokoff analysiert, wie ein Bild angeblicher inhaftierter Lagerinsassen in Bosnien 1992 zum Kriegsausruf werden konnte. Vergleiche mit Konzentrationslagern wurden laut, ein Eingreifen der Nato im Jugoslawienkrieg wurde sofort verlangt. Die Serben wurden mit den Nazis verglichen. Der Journalist Deichmann deckte auf, dass das Foto falsch interpretiert wurde, nicht die Bosnier waren inhaftiert, der Fotograf stand auf einem eingezäunten Grundstück. Der Schriftsteller Peter Handke erklärte sich solidarisch mit den Serben – und sprach den Bosniern das Recht auf Leiden ab. Sie würden ihre Leidensposen nur “inszenieren”.
Kaspar Green Kreijberg plädiert in seinem Beitrag dafür, auch Romane, die gar nicht direkt den Krieg thematisieren, wohl aber seine Auswirkungen auf die Gesellschaft, auch zu den Kriegsdarstellungen zu zählen, so zum Beispiel “Das weiße Band”, das in der Zwischenkriegszeit spielt. Er nennt das die “Ästhetik des Indirekten”.
Anders Engberg-Petersen beschäftigt sich mit den beiden Kriegstheoretikern des 19. Jahrhunderts, Georg Heinrich von Berenhorst und Carl von Clausewitz, der einst sagte, Politik sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Beide fragten sich, ob Krieg eine Wahrscheinlichkeit habe, ob er zu berechnen, zu erlernen sei – oder am Ende nur durch Erfahrung und “Takt” siegreich zu führen?
Im vierten Teil geht es um Emotionalisierungsstrategien und -effekte in der Kriegsliteratur. Debra Kelly Living vergleicht zwei Texte aus dem französischen Widerstand und stellt fest, dass autobiografische Texte die Bereitschaft zu Identifikation und zur kritischen Reflektion erhöhen. Jan Süsselbeck analysiert “Emotionale Strategien der filmischen Schnitt- und Überwältigungsästhetik in Christian Krachts Kriegsroman “Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten” von 2008.
Teil fünf widmet sich der Kriegsliteratur zwischen Satire und Slapstick. Bernd Blaschke betrachtet Elfriede Jelineks “Bambiland”, in dem sie in Gedanken- und Bilderströmen die mediale Darstellung des Irakkriegs ironisch verzerrt. In Falk Richters Werk erscheint die Medienwelt ohnmächtig und überfordert angesichts von Krieg und Politik.
Andrea Schütte beschäftigt sich mit der slapstickhaften Darstellung in Sasa Stanisic Roman über den Bosnienkrieg und Fußball.
In Teil sechs schließlich geht es um die Heroisierung und Gewaltverherrlichung in der Kriegsliteratur. Christoph Jürgensens beschäftigt sich in “Der Dichter im Feld oder Dichtung als Kriegsdienst” mit Ernst Moritz Arendt und Theodor Körner, die beide leidenschaftliche Kriegslyriker im Dienste der deutsch-nationalen Mobilmachung gegen Napoleon waren.
Mareen von Marwyck untersucht “Gewalt und Helden” der Romantik. Schiller, Goethe und von Kleist haben in ihren Werken Helden geschaffen, ästhetisiert, Gewalt romantisiert, im Geiste ihrer Zeit, doch ihre Kunst wirkt bis heute.
Teil sieben schließt mit der Erzeugung von Hass und Empathie in der Kriegsliteratur. Thomas Anz zeigt auf, wie in der Literatur Feindbilder geschaffen werden. Wir leiden längst nicht mit jedem mit, das stellte bereits die Feindbildforschung in den 1960ern fest. Die Einteilung in “Freund und Feind” hat zugleich auch einen integrativen Effekt: Bei einer äußeren Bedrohung wächst der innere Zusammenhalt. Zuletzt fragt Svend Erik Larsen, welchen Beitrag Literatur zur Versöhnung nach dem Krieg leisten kann.
Der Sammelband ist eine höchst lesenswerte, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Wirkung von Krieg auf unsere Kultur und unsere Rezeption von Krieg. Wir alle gehen mit Kriegsbildern, mit Kriegsdarstellungen um, tagtäglich in den Nachrichten, im Kino, in Büchern. Eine kritische Beschäftigung mit dem Thema tut angesichts von einer wachsenden Zahl von Filmen und Computerspielen, aber vor allem von tatsächlichen kriegerischen Ereignissen dringend Not.
[Übernahme von Die Freiheitsliebe]