Das 14. und letzte Rennen der 2019er XTERRA European Tour stand an im fernen Ameland, einer spektakulär schönen Insel im westfriesischen Wattenmeer. Nachdem ich dieses Jahr etwas spät und holprig in die Saison startete und erst im August bei der XTERRA EM und DM meinen Jahreshöhepunkt geplant hatte, sollte die Form auch noch für ein Rennen Mitte September an der Nordsee reichen. So dachte ich…
Und so machte ich mich mit meinem Engele auf die lange Fahrt, die aber ruck-zuck und ohne Komplikationen verlief. Verhältnismäßig rasch standen wir an der Fähre nach Ameland, die in einer kurvigen Fahrrinne das Wattenmeer durchkreuzt. Am kleinen Hafen dann sogleich ein Eindruck, was uns in der Auftakt-Disziplin erwarten sollte (die in eben jenem Hafen – nach Westen geschützt vom Wind – abgehalten werden sollte).
Auf der Überfahrt gesellt sich schon gleich Dirk Pauling zu uns, der dieselbe Fähre genommen hat. Er war bereits 2008 hier am Start, als die Europameisterschaft hier ausgetragen wurde. Auch er hat die Sandreifen aufgezogen und berichtet, dass es einen Unterschied macht. Tobi & Nadine sind auch auf dem gleichen Schiff. Sie nehmen dann netterweise S’Engele und unsere Taschen mit ins Hotel, während ich gemütlich mit dem Bike rüber fahre. Das Westcord Hotel Noordsee empfängt uns mit einem äußerst gemütlichen Ambiente und prasselndem Kaminfeuer.
Erstmal alles auspacken und dann seelenruhig die paar Meter rüber spazieren in den Ort Nes, wo einem die Adjektive wie gemütlich, behaglich, cozy, anheimelnd, behaglich, lauschig und dergleichen in den Sinn kommen. Sehr lekker zu Abend essen und dann früh ins Bettchen. Der Tag war doch lang und wir sind rechtschaffend müde durch die lange Fahrt.
Am Morgen sind wir dann schon recht früh wach und das Frühstück beginnt erst ab acht. Also los zu einem ersten, lockeren Erkundungslauf über die Insel. Den Sonnenaufgang am Strand zu erleben ist schon gleich ein erstes (von vielen) Highlights dieses Trips. Unfassbar schön!
Das Frühstücks-Buffet ist ein Traum und lässt keine Wünsche offen. Wir genießen es in aller Ruhe, bevor ich mich zum obligatorischen Streckencheck aufmache. Zum Glück war die XTERRA Europe-Crew auch beim Frühstück und Nico Lebrun empfiehlt mir, nur den ersten, kurvenreichen Teil im Wald abzufahren, da der westliche, out-and-back-Teil sehr klar und einfach wäre und es nichts zu lernen gäbe. Und wenn der Großmeister (mehrfacher XTERRA-Weltmeister) das sagt, hört klein Onkel Jörgi zu und macht es genau so!
Der Radkurs ist – zumindest am Freitagmorgen – ganz ordentlich markiert (wenn auch nicht perfekt). Sofort bekomme ich einen Eindruck der Insel und der Besonderheit dieser Strecke, die fast ausschließlich auf Sand verläuft. In meinem Vorbericht habe ich ja bereits die last-minute-Aktion beschrieben, noch schnell die Schwalbe G-ONE Speed in der extra-breiten Variante aufzuziehen. Das sollte sich nun bezahlt machen. Leider hatte ich nun sehr wenig Zeit (im Grunde gar keine), um mich mit diesem Reifen anzufreunden. Was sich Straßenradler kaum vorstellen können: So ein Reifen kann einen Höllen-Unterschied machen. Außerdem habe ich nur heute, um mit dem Luftdruck ein wenig rumzuspielen. Ich entscheide mich schließlich für die extreme Form und fahre ihn im Rennen mit nur einem Bar (in Zahlen: 1,0 bar). Uiuiui! Das ist ein zweischneidiges Schwert: Auf dem mehr oder weniger losen, weichen Sand ist es das einzig Wahre, in der Twisty-Section ist es der blanke Horror, mit diesen schwammigen Pneus um die Kurve zu kommen. Am Ende werde ich konstatieren, dass es netto immer noch die bessere Option war und ich es wieder so tun würde.
Kurz bevor ich zur T2 zurückrolle, fahre ich an drei älteren Herrschaften mit Hund vorbei und denke mir nichts dabei. Als ich schon weit vorbei bin, spüre ich plötzlich einen stechenden Schmerz, der dadurch verursacht wurde, dass da an meiner rechten Wade ein Hund dran hing. Sowas aber auch! Klar, dass meine Waden extrem sexy sind, war mir schon bewusst. Und dass das feinstes, zartestes Fleisch ist – eh klar! Aber in meinen ganzen 51 Jahren hat mich tatsächlich noch nie ein Hund gebissen. Und das direkt vor dem Rennen – na toll! Hinterher sind Herrchen und Frauchen natürlich „very sorry“ und versichern mir, dass er das „noch nie gemacht hat“. 😉 Aber nun ist es passiert, das Blut läuft mir die Wade runter und es macht ziemlich aua. Als ich den Hund darauf anspreche, guckt er mich mit diesen süßen Augen an, die sagen „Okay, ich weiß, dass ich scheiße gebaut habe. Tut mir echt leid. Wird nicht wieder vorkommen.“ Wem will man da noch böse sein…
Am Ende meiner Runde treffe ich noch die anderen beiden J’s: Jens (Roth) und Jonas (Held). Der Dialog spielte sich angeblich so ab:
„Schau mal, sieht aus wie ein PRO!“
„Nee, das ist doch nur der Jörg…“ 😉
Jens‘ Freundin Linda ist auch dabei und macht natürlich gleich mal einen netten Schnappschuss mit den nun drei J’s und ihren identischen Pferdchen. Das SCOTT Spark RC ist nach wie vor das meist-gesehene und beste Bike für den Cross-Triathlon-Einsatz.
Der Rest des Tages fliegt nur so dahin. Noch ein wenig chillen mit meinem Engele an der Strandbar in herrlichstem, sonnigen Sommerwetter, dann eine sehr leckere Pasta-Party direkt bei uns im Hotel, dann noch die Pressekonferenz und das Race Briefing. Bei der PK sitzt neben den üblichen Verdächtigen (Elite-Starter) auch ein ehemaliger Bekannter und gleichzeitig eine LEGENDE unseres Sports: Rob Barel. Inzwischen 61 Jahre jung, prägte er in den Anfangsjahren unseres geliebten Sports die europäische Szene wie praktisch kein Anderer. Und noch vor wenigen Jahren war er bis zur Hälfte der Laufstrecke bei den 2012 Den Haag ETU Cross Triathlon European Championships noch in Führung, um schließlich das Rennen als Vierter der Elite zu beenden (mit 55 Jahren!). Ich erstarre vor Ehrfurcht.
Samstag – Race Day! Wieder begrüßt uns Friesland mit strahlendem Sonnenschein und heute sogar mal fast gar keinem Wind. Sensationell! Ich nutze, die Strecke zum Start als kleine Einroll-Runde, checke dann mein Rad ein und laufe mich etwas ein. Das ganze Setting ist ein einziger Traum. Dabei geht es gleichzeitig so tiefenentspannt zu, wie man es bei einem Straßen-Triathlon nie erleben kann. Kollege Dirk hat die Startnummer 336 und steht wieder fast direkt neben mir (#341). Er wirkt etwas nervös und ich lasse ihn lieber in Ruhe. Ich denke nur: „Heute will er’s wissen!“
Schließlich ist es Zeit, in den Neo zu schlüpfen (offizielle Wassertemperatur: lauschige 16,2°C). Die PROs dürfen direkt am Strand starten, während wir Agegrouper (300 Männer + hinter uns weitere 62 Frauen im Ziel) die ersten ca. 80 Meter vom Red Bull-ZIelbogen zum Wasser sprinten müssen, dann delfinieren und schließlich im dunkelbraunen Wattwasser mit gleichmäßigen Schwimmbewegungen beginnen. Zuerst denke ich: „Was ’ne blöde Idee!“, aber als es dann wirklich los geht, entpuppt sich das als eine der entspanntesten Startmethoden. Wir haben vorne einfach viel mehr Platz, da nicht 60 Leute breit alle loskeulen wie die Irren.
Im Grunde komme ich ganz gut rein und finde meinen Rhythmus, aber wieder verpenne ich irgendwann die erste Gruppe. So schwimme ich einmal mehr die ganze zweite Runde allein vor mich hin und verliere die entscheidenden 1,5 Minuten auf meine Vergleichsgruppe (Dirk). Argghh!
Ansonsten spürt man bei dem tollen Wetter null-komma-null, dass das Wasser irgendwie kalt wäre. Also raus, durch das Spalier der vielen Zuschauer hoch auf den Deich, wo unsere Pferdchen warten. Raus aus dem Neo, Helm auf, Schuhe an. Und los geht’s…
Auf den ersten Metern Schuhe fest ziehen, Helm fest ziehen, Handschuhe anziehen. Ich merke sofort, wie ich mit meinen 1 Bar-Reifen in jeder Kurve vorsichtiger fahren muss und Zeit verliere auf die Konkurrenz. Hm. Ob das so das Gelbe vom Ei ist? Anyway, jetzt gibt’s kein Zurück mehr…
Irgendwann sind wir dann ja auch durch den „Twisty Forest“ durch und es geht durch wunderschöne, weite Dünen-Landschaft bis zum Leuchtturm am Westende der Insel. Ich hole gerade zwei Kollegen vor mir ein, da braust die „Zittauer Maschine“ in Form von Dani Helbig vorbei. „Da schließe ich mich doch direkt mal an – genau mein Tempo!“, denke ich mir. So geht’s in wildem Ritt über unzählige Hügel und durch tiefe „Sand-Pfützen“. Während ich wieder die Führung übernehme, geht es irgendwann in weitem Bogen wieder zurück an den Strand. Jetzt geht das wilde Geballere los. Dani schaut sich um…“schon wieder wechseln?“. Nein eine Dreier-Gruppe kommt mit noch mehr Druck von hinten. Eine rennentscheidende Situation. Denn ich sehe bei dem gerade Führenden auf seinen S-Works Epic (Kostenpunkt 9.300 €) den Aufdruck „Ameland“ auf seinem Triathlon-Einteiler. „Ein sehr gutes Zeichen“, sage ich zu mir selbt, „der Typ weiß wahrscheinlich, was er tut und kennt jedes Sandkorn mit Vornamen“. Er zieht radikal direkt über den dort extrem breiten Strand in Richtung Wasser. Das sieht erstmal nach einem deutlichen Mehrweg aus, aber wie gesagt, er wird schon wissen, was er da tut. Ich fahre erstmal allein zwischen beiden Gruppen, bevor ich mich für die Wasser-Gruppe entscheide. In diesem Abschnitt fahren wir beständig zwischen 35 und 40 km/h und überholen so einige Leute, die sich für die Route näher an den Dünen entschieden haben (u.a. Dirk).
Matthieu hängt sich auch an uns ran und gemeinsam erklimmen wir wieder die Dünen. Zurück im Wald versuche ich dann, ihn nicht mehr entkommen zu lassen und da zeigen sich die Schwächen meiner Reifen. Etwas zu schnell in die Kurve…und während Matthieu das locker schafft, streife ich mit der rechten Schulter einen Baum und mich haut’s vom Rad. Aua! Kurz schütteln, Krönchen richten und weiter geht’s!
In T2 laufe ich dann eine Reihe zu weit, weil ich einfach nicht glauben kann, dass NOCH KEIN EINIGES Rad in meiner Reihe steht. Und tatsächlich: Als ich gerade loslaufe, kommt erst Kollege Dirk Pauling rein. Da weiß ich, dass ich offenbar ganz gut liege (um nicht zu sagen: fantastisch!).
Und welch ein unglaublicher Zufall: Mit mir geht „THE LEGEND“ Rob Barel auf die abschließenden 10 Kilometer. Während ich meine übliche Minute brauche, um meinem Rhythmus zu finden, läuft er gleich mal ein 20 Meter-Loch auf (genau in diesem Moment entstand das Foto vom unglaublich tollen Carel du Plessis). Aber in dem Moment, wo wir in den „Spooky Forest“ liefen und es ein einziges Auf und Ab, Links und Rechts wurde, überholte ich ihn dann schon und gab ihm noch 4 Minuten mit. Am Ende reichte es aber dennoch zu Platz 17 (mit 61 Jahren!) und natürlich dem Gewinn seiner Altersklasse.
Ich lief dann relativ konstant ohne besonderen Druck die herrlich abwechslungsreiche Laufstrecke. Allerdings meldeten sich sogleich meine Achillessehnen – diesen weichen, schwammigen Untergrund mögen sie einfach gar nicht. Aber es lief. Am Strand in Runde 2 riefen Papa und Mama Saßerath, dass ich in den Top 20 overall bin (oh!) und dass Töchterchen Pauline mir dicht auf den Fersen sei. Sie machte in der Tat ein tolles Rennen, gewann ihre AK souverän und wäre auch auf dem Elite-Podium (Zweite) gewesen, wenn sie denn in der Elite gestartet wäre.
Genau, wie ich mich zuvor besonders auf dieses Rennen gefreut habe, so genieße ich auch jetzt auf eine besondere Art den Zieleinlauf. Ich werde sofort über meinen AK-Sieg informiert und begebe mich gleich mal zur Verpflegung. Hintenraus beim Laufen wurde es mir schon fast wieder zu warm. Ich muss dann eine halbe Ewigkeit warten, bis Dirk auch das Ziel erreicht. War wohl einfach nicht sein Tag. Dumm für ihn, dass noch zwei starke Athleten an ihm vorbeilaufen und ihm so (1) den Podiumsplatz wegschnappen und (2) er damit auch den Overall-Sieg in der Benelux Challenge an mich verliert.
Netterweise dürfen wir direkt unsere Räder auschecken und so geht’s gleich mit Sack und Pack zurück zum Hotel. Klamotten säubern, duschen, Mittagsruhe. Pünktlich zum Start der Siegerehrungen um 16:30 Uhr radle ich wieder rüber. Ein sehr nettes Gespräch mit Richie, meinem Namensvetter, der mal NICHT Letzter wurde und total happy ist mit seinem Rennen.
Dann Siegerehrungs-Marathon mit
- dem Podium des XTERRA Netherlands (Tageswertung),
- den Gewinnern der Benelux Challenge (Wertung aus den drei XTERRAs in Belgien, Luxemburg und Holland) und
- den Siegern der 2019 XTERRA European Tour (Wertung aller 14 Rennen über die gesamte Saison von Zypern Anfang April bis heute).
Heim. Kurz ausruhen. Dann nochmal ins Städtchen für eine sehr loungige After Race-Party, bei der wir Jonas‘ Eltern kennenlernen. Ein wunderbarer Tag findet ein ebensolches sehr entspanntes Ende.
Sonntag – After Race Day. Ausschlafen. Erstmal gemütlich frühstücken. Kurz Zusammenpacken. Auschecken. Locker zur Fähre rüber. Dort stehen sie jetzt alle mit ihren Bikes und Taschen. Welch ein hübscher Anblick. Die meisten haben ihre Autos auf dem Festland gelassen und haben – wie sich das auf dieser Insel gehört – alles mit dem Fahrrad gemacht.
Auf der Fähre treffen wir sie alle wieder: Jens mit Freundin Linda, Jonas mit seinen Eltern und Hund. Ein letztes Good-buy und dann geht’s zurück in den fernen Süden.
Fazit:
Eines der spektakulärsten Triathlon-Erlebnisse, die ich jemals erleben durfte. Nein, man muss nicht nach Hawaii, um ein unvergessliches Rennerlebnis zu bekommen. Und man muss auch nicht tausende von Euros ausgeben, nur mit einem M-Dot T-Shirt protzen zu können. Das hier war PERFEKT! Und hier noch ein kurzes Video, das einen recht guten Eindruck vermittelt:
Race Stats:
- Wetter: Sonne satt bei fast windstillen 18°C, Wasser 16,2°C
- Strecke: 1,5k Swim – 37k MTB – 10,5k Run
- Zeiten: 23:25 (16. Swim) – 1:30:39 (17. Bike) – 50:19 (14. Run) = 2:45:35 Gesamt
- Platzierung: 1. Platz (Top10 Amateure, Top20 overall mit PROs)
- Ausrüstung: Zone3 Goggles, Humanspeed-Einteiler, Zone3 Vanquish Wetsuit, SCOTT Spark RC MTB, SCOTT RC Ultimate MTB-Schuhe, SCOTT Centric Plus Helm, SCOTT MTB Handschuhe, Oakley Brille, Adidas Sub2 Laufschuhe
Ergebnisliste gibt’s hier! - Photo Credits: Engele, XTERRA, Carel du Plessis