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Bei dem folgenden Kapitel meines Lebens darf man sicher nicht vergessen, dass ich mittlerweile 32 Jahre alt war und mich seit 8 Jahren alleine mit meinen Kindern durchs Leben schlug.Ich hatte keinen Partner an meiner Seite, der mich in meiner Trauer um meinen Vater und meinem schlechten Gewissen ihm gegenüber hätte auffangen und stützen können.
Ich war alleine mit diesem Schmerz.
Ich kam aber alleine nicht damit zurecht. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ließ mich nicht mehr los. Es war einfach zu trostlos, davon ausgehen zu müssen, dass mit dem Tod alles vorbei sein würde.
Gott kam mir dadurch wieder sehr nahe. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod war eine Perspektive, war tröstlich, mit diesem Glauben im Hintergrund war der Tod plötzlich gar nicht mehr so tragisch. Es ging ja weiter. An diesen Gedanken klammerte ich mich. Dieser Gedanke gab mir in dieser Zeit Halt. Und dieser Gedanke war es auch, der mich dazu brachte, dass ich die neuapostolische Kirche wieder besuchte. Dieser Glaube war mir bekannt, er war mir vertraut seit meiner Kindheit an, daher entschied ich mich dafür.
Als ich das erste Mal wieder einem neuapostolischen Gottesdienst beiwohnte - mein letzter war immerhin 15 Jahre her - da war ich so empfänglich für die Predigt, die davon handelte, dass wir uns einmal alle wiedersehen und "im Himmel" zusammen sein werden. Es war genau das, was ich brauchte, um nicht am Tod meines Vaters zu verzweifeln. Ich entschied mich, wieder regelmäßiger die Gottesdienste zu besuchen. Sogar im Kirchenchor sang ich wieder mit.
Auch meine Mutter ging nach dem Tod meines Vaters wieder in die Gottesdienste, obwohl sie sich bereits vor mehr als 30 Jahren von dieser Kirche verabschiedet hatte.
Ich nahm meine Kinder mit in die Kinderkirche und auch sie fühlten sich einigermaßen wohl, es war sehr ungewohnt für sie, denn bis dato war ich mit ihnen nur selten in die Kirche gegangen. Auch sie nahmen den Halt der Gemeinschaft gerne an und integrierten sich schnell.
Doch irgendwie war alles anders wie früher. Ich war 15 Jahr älter, hatte viel in dieser Zeit erlebt, war nicht mehr das naive 17-jährige Mädchen von damals und sah viele Dinge kritischer. So ganz konnte ich mich nicht mehr in diesem Glauben fallen lassen, trotzdem entschied ich mich, dabei zu bleiben.
Zu dieser Zeit trug ich Kleidergröße 56. Auf einmal störte mich mein Gewicht. Bis dato waren meine Pfunde mein Schutzschild gewesen, hinter dem ich mich sehr gut verstecken konnte. Dieses Schutzschild konnte mich aber vor den Schmerzen, die der Tod meines Vaters mir zufügte, nicht schützen. Und so machte dieser Schutzschild keinen Sinn mehr. Ich begann abzunehmen. In den nächsten 18 Monaten verlor ich 49kg an Gewicht.
Plötzlich trug ich Kleidergröße 42 und war schlank. Das war ein tolles Gefühl. Ich begann, mich zu schminken, mir tolle Klamotten zu kaufen. Noch nie vorher hatte ich einen Minirock getragen, jetzt konnte ich das. Und ich tat es. Mit Stolz und mit dem Bewusstsein, dass ich gut drin aussah. Das zeigten mir die interessierten Blicke der Männer und auch die Pfiffe, die ich schon ab und zu mal zu hören bekam.
Das war ein ganz neues Lebensgefühl. Mein ganzes Umfeld war erstaunt über die Verwandlung, die mit mir vorging. Viele Komplimente bekam ich, viel Anerkennung wurde mir gegenüber ausgesprochen.
Jetzt, da ich wieder von meiner Umwelt wahrgenommen wurde, wollte ich auch wieder ausgehen. Bianca war nun 13 Jahre alt, Marco war 10 Jahre alt und ging mittlerweile auch aufs Gymnasium.
Eine Kollegin, die auch alleinerziehende Mutter einer bereits 17-jährigen Tochter war, lud mich ein, an einem Samstag abend mit ihr auszugehen. Sie kannte da ein Tanzlokal, in das sie ab und zu ging. Dort hatte sie schon die ein oder andere Männerbekanntschaft gemacht. Sie meinte, es würde mir dort bestimmt auch gefallen.
Nach 9 Jahren alleinerziehend und so gut wie keiner Möglichkeit, abends auszugehen, war dies ein Voschlag, den ich nicht ausschlagen konnte und wollte. Ich war ausgehungert. Ich wollte mich amüsieren, wollte Spaß haben, wollte Komplimente bekommen, wollte das erleben, auf was ich die ganzen Jahre verzichtet hatte. Das Leben spüren, das war mir so wichtig. Vor allem auch im Hinblick auf den Tod meines Vaters.
So ließ ich meine Kinder das erste Mal abends alleine und ging nach langer, langer Zeit wieder zum Tanzen. Ich zog mich schick an, schminkte mich und war unendlich aufgeregt. Was würde dieser Abend für mich bereit halten?
Das Tanzcafe war eine einzige Enttäuschung. Die Musik gefiel mir nicht und das Publikum auch nicht. Ich fühlte mich fehl am Platz und unwohl. Das bemerkte auch meine Kollegin und so nahm sie mich mit in eine Discothek in Stuttgart.
Dort fand ich es sehr interessant. Es gab Menschen in vielen verschiedenen Altersstufen dort, von 18 bis ca. 60 Jahren war dort alles vertreten. Es gab einige wenige Legere in Jeans und Schlabberhemd, aber auch die, die sich ganz fein herausgeputzt hatten. Viele Männer hatten einen Anzug an, viele Frauen sahen aus, als wären sie einem Modejournal entstiegen. Und mittendrin ich. Mein neu gewonnenes Selbstwertgefühl fiel auf einen Schlag in sich zusammen. Ich sah nur noch diese wunderschön aussehenden Frauen, mit denen konnte ich nicht mithalten. Mein Kleid hatte keine schimmernden Pailletten und war auch nicht so extrem kurz. Ich hatte keine Highheels an, nur einfache, etwas flachere Pumps. Ich trug keinen auffälligen Ohrschmuck und mein Dekolleté war auch nicht bis zum Bauchnabel ausgeschnitten. Ich trug eine Röhrenhose in beige, eine passende Bluse und einen schicken Blazer dazu. Zwischen all den kleinen schwarzen Etuikleidchen fiel das richtig auf - aber eher negativ. Ich passte einfach allein vom Äußeren nicht dazu. Meine Kollegin auch nicht, sie trug Jeans und eine Bluse. Sie war öfters hier und scherte sich nicht darum, wie die anderen aussahen. Sie wollte einfach Spaß haben und zog mich durch die Menschenmasse, es war unglaublich voll, man musste sich seinen Weg regelrecht bahnen. In der Nähe der Tanzfläche waren mehrere Stehtische, an einem war noch etwas Platz und wir drückten uns einfach in die Lücke hinein.
Die Musik war sehr, sehr laut. Der Bass durchfuhr mich bei jedem Schlag, selbst die Gläser auf den Tischen tanzten zum Rhythmus des Basses. Wir bestellten uns etwas zu trinken. Meine Kollegin trank einen Schluck, da kam ein junger Mann auf sie zu und forderte sie zum Tanzen auf. Sie übergab mir ihre Handtasche und... schwupps... war sie weg und ich stand alleine und verlassen an diesem Stehtisch und passte auf, dass unsere Gläser durch den starken Bass nicht vom Tisch hopsten. Verschüchtert schaute ich mich um. Da erst fiel mir auf, dass ich nicht alleine am Tisch stand. Am anderen Ende stand ein Afrikaner in buntem Hemd, schicker Hose, er hatte eine topmodische Baskenmütze im Stil von Che Guevara auf. Er war etwas größer als ich, auf seiner Nase saß eine teure Brille und um den Hals trug er eine dicke Goldkette. Er hatte große, schwarze Augen, eine für Afrikaner kleine Nase und einen unendlich sinnlichen Mund mit weichen, vollen Lippen. Wenn er lachte, dann entblößte er strahlend weiße Zähne. Ich schätzte ihn jünger als mich, auf höchstens 30. Ich weiß nicht genau, was mich so an ihm faszinierte, aber ich fand, dass er ein sehr schöner Mann war, fast schon wieder zu schön. Er bemerkte, dass ich ihn musterte und er lächelte mich an. Wow! "Tief durchatmen, Elke!" Sein Lächeln war einfach umwerfend! Charmant, aufmerksam, überhaupt nicht aufdringlich, unendlich angenehm! Dass er eine schwarze Hautfarbe hatte, störte mich nicht im Geringsten. Für mich waren seit meiner Kindheit alle Menschen gleich, egal wo sie herkommen, welche Religion sie haben und wie sie aussehen, denn niemand kann etwas für seine Herkunft und seine Abstammung. Jeder bekommt bei mir seine Chance... auch dieser Mann bekam sie.
Immer wieder schaute ich verstohlen zu ihm hin, und immer wieder bemerkte er es und lächelte mich an. Irgendwann lächelte ich zurück. Durch den unglaublich starken Bass wanderten unsere Gläser auf der Tischplatte unweigerlich in Richtung Tischkante und kurz bevor sie herunterfielen - im gleichen Augenblick - streckten ich und dieser faszinierende Mann unsere Hände aus, um die Gläser am Herunterstürzen zu hindern.
Unsere Hände trafen sich.
Es durchfuhr mich wie ein Stromschlag, als seine Hand die meine berührte. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Zuerst konnte ich meine Hand nicht zurückziehen. Sie lag wie gelähmt auf der Tischkante, auf ihr lag seine Hand. Die Zeit schien in diesem Augenblick still zu stehen. Alles um mich herum verschwand.
Nur dieses elektrifizierende Gefühl und unsere Hände waren noch da.
Dann drang der Bass langsam wieder in mein Bewusstsein, ich tauchte wieder in die Realität ein und entzog ihm verlegen lächelnd meine Hand.
Auch er musste das gespürt haben. Sein Interesse an mir schien plötzlich gewachsen zu sein, nun war er es, der immer wieder zu mir herüber schaute. Ich fühlte mich wie ein Teenager und schaute immer wieder verlegen lächelnd weg, wenn er meinen Blick suchte
Da stand mir ein Mann gegenüber, dessen Name ich nicht einmal wusste, ich wusste gar nichts von ihm, hatte ihn vor ein paar Minuten das erste Mal in meinem Leben gesehen... und war hoffnungslos in ihn verliebt, soviel war sicher.
Verwirrt und hilflos stand ich da. Wie sollte ich mich jetzt verhalten? Ich hatte verlernt, ungezwungen zu flirten, den Moment zu genießen, ich stand einfach nur da und wusste nicht weiter.
Da lächelte er mich an...und drehte sich um und ging.
"Ok. Das war's! Wie konntest Du auch nur so dumm sein und denken, dass dieser tolle Mann an Dir interessiert sein könnte!" schimpfte ich im Stillen mit mir selbst und versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen.
Still und traurig stand ich nun alleine an dem Tisch. Der Abend schien für mich vorbei zu sein.