Rena Rossner – The Sisters of the Winter Wood

Von Elli @xWortmagiex

„The Sisters of the Winter Wood" wird als Märchen vermarktet. Tatsächlich wurde die US-Amerikanerin Rena Rossner beim Schreiben von vielen alten Märchen und anderen Geschichten inspiriert. Für sie ist das Buch jedoch auch äußerst persönlich. Als Schauplatz dient das kleine Städtchen Dubăsari auf der Grenze zwischen der Ukraine und der Republik Moldau, aus dem ein Teil ihrer Familie stammt. Ihre Vorfahr_innen verließen Dubăsari ab 1905, als die antijüdische Stimmung im Russischen Reich sie zwang, auszuwandern. Ohne diese mutige Entscheidung wäre Rena Rossner wohl nie geboren worden. 1940 wurde alle Juden und Jüdinnen in Dubăsari von den Nazis ermordet. Unter den Opfern waren auch Mitglieder ihrer Familie. „The Sisters of the Winter Wood" spielt 1903 und ist demnach gleichermaßen ein Märchen wie eine Aufarbeitung ihrer Wurzeln.

Es waren einmal zwei Schwestern, die allein in einem Winterwald lebten: Liba, die Ältere, groß und kräftig mit dunklem Haar dick wie Bärenfell, und Laya, die Jüngere, schlank und grazil mit schneeblondem Haar fein wie Schwanenfedern. Ihre Eltern gingen fort, um ihren todkranken Großvater zu besuchen. Doch zuvor offenbarten sie Liba und Laya das wohlgehütete Geheimnis ihrer Familie. Die Mädchen mussten versprechen, einander zu beschützen. Ihre Mutter warnte sie vor dem Erbe ihres Blutes und den tiefen Schatten des Waldes. Sie beschwor sie, sich von Fremden fernzuhalten. Liba leistete ihren Worten gehorsam Folge, aber Laya sehnte sich nach Freiheit und Abenteuern. Als im nahegelegenen Dorf Dubăsari ein Clan mysteriöser Händler wundersame Waren feilbot, konnte sie nicht widerstehen. Sie ließ sich verführen und verschwand. Liba wusste, dass ihre Schwester in großer Gefahr schwebt und sie sie als Einzige retten konnte. Musste sie ihr eigenes Schicksal opfern, damit Laya das ihre erfüllen konnte?

Herrje. Die am schwierigsten zu bewertenden und rezensierenden Bücher sind diejenigen, die verschiedene Aspekte beinhalten, deren Qualität ganz unterschiedlich ausfällt. Ich bin hin und hergerissen bezüglich „The Sisters of the Winter Wood". Einerseits ist dieser atmosphärische, märchenähnliche Roman eine großartige, anschauliche und nachvollziehbare Beschreibung jüdischen Lebens am Anfang des 20. Jahrhunderts. Rena Rossner gelingt es hervorragend, ihren Leser_innen die Kultur und Glaubenssätze ihrer Religion näherzubringen. Die Lektüre half mir ungemein, zu verstehen, was es damals bedeutete - und wahrscheinlich bis heute bedeutet - jüdisch zu sein. Sie konzentriert sich dabei überwiegend auf die Selbstwahrnehmung und das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinde in Dubăsari. Authentisch involviert sie sowohl in Dialogen als auch in Introspektiven jiddischen sowie hebräischen Sprachgebrauch und verbindet jüdische Mythologie eingängig mit osteuropäischen bzw. russischen Sagen. Ebenso thematisiert sie die Konflikte mit der nicht-jüdischen Bevölkerung, die noch im Laufe ihrer Geschichte in Gewalt eskalieren. Die Verfolgung der Juden und Jüdinnen wurde in dieser Epoche das erste Mal mit dem Begriff „Pogrom" bezeichnet. Es ist ungeheuerlich, welcher Unsinn über die jüdische Religion verbreitet wurde. Ich war schockiert, dass man zu dieser Zeit wirklich glaubte, jüdische Menschen würden Blutrituale abhalten und dafür wehrlose Kinder opfern. Kein Wunder, dass den beiden Protagonistinnen Liba und Laya als Töchtern eines Rabbis spürbar Feindseligkeit und Misstrauen entgegenschlagen. Leider enthält „The Sisters of the Winter Wood" aber noch eine weitere Facette, die mich andererseits überhaupt nicht überzeugte: Die Geschichte selbst. Wie eingangs erwähnt, borgt sich Rossner zahlreiche Elemente aus Märchen und anderen Erzählungen, darunter Christina Rosettis Gedicht „Goblin Market". Ich weiß nicht, ob sie vielleicht ein bisschen viel unter einen Hut zu bringen versuchte, doch ich empfand das Ergebnis als lahm und zäh. Ich fand nie richtig in die Handlung, konnte mich mit dem gemäßigten Tempo nicht anfreunden und war genervt von der tränenreichen Melodramatik vieler Szenen. Mit den demonstrativ gegensätzlichen Schwestern konnte ich kaum etwas anfangen und wurde weder mit Liba noch mit Laya je wirklich warm. Tatsächlich fand ich, dass sich viele Ereignisse in „The Sisters of the Winter Wood" nur aufgrund der ominösen Warnungen ihrer Mutter entwickeln, denn dadurch beginnen sie, einander Dinge zu verschweigen. Besonders Liba verhält sich paranoid und hat plötzlich vor allem Angst. Das war anstrengend und stellte meine Geduld auf eine harte Probe, weil ich nicht erkennen konnte, welche ihrer zahllosen Befürchtungen nun gerechtfertigt und welche Einbildung sind. Die wahre Bedrohung des Buches enthüllt sich hingegen erst spät - zu diesem Punkt sehnte ich das Ende der Lektüre längst herbei und war nicht mehr wirklich an ihr interessiert.

Ich habe „The Sisters of the Winter Wood" als zutiefst jüdische Erzählung wahrgenommen. Das Motiv des Überlebens ist allgegenwärtig und prägt sowohl Rena Rossners Darstellung ihrer Glaubensgemeinschaft als auch die Handlung. Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie mich in ihre Kultur einlud und an der Historie ihrer Familie teilhaben ließ. Diesen Part der Lektüre empfand ich als herzlich, intim und sehr erhellend. Die übernatürlich aufgeladene Inhaltsebene war für mich hingegen unbefriedigend. Die Geschichte entwickelte keine Zugkraft, schlich dahin und konfrontierte mich immer wieder mit irritierenden Verhaltensweisen der Figuren. Darüber hinaus störte ich mich an einigen losen Enden, die Rossner meiner Meinung nach problemlos hätte beseitigen können. Insgesamt habe ich „The Sisters of the Winter Wood" daher leider weniger genossen, als ich erwartet hatte. Ich weiß allerdings, dass viele andere Leser_innen begeistert waren - wenn euch die Aussicht eines jüdischen Märchens also anzieht, solltet ihr es trotzdem mit diesem Buch versuchen.