R.E.M. „Collapse Into Now“

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R.E.M. „Collapse Into Now“ (Warner)
Auch wenn man R.E.M. grundsätzlich mit Respekt und aller gebotenen Hochachtung begegnet, darf man die vollmundigen Ankündigungen von Band und Plattenfirma ruhig mit einer gesunden Skepsis betrachten. Bis zu ihrem letzten wirklich großen Werk „Up“ aus dem Jahr 1998 haben die Mannen um Michael Stipe einen schier unerschöpflichen Vorrat an bravourösen Songs angehäuft, mit dem sie getrost mehrere Tage am Stück konzertieren könnten, ohne dass sie Gefahr liefen sich zu wiederholen oder hörbar an Qualität einzubüßen. Seltsamerweise wirken ihre Platten aber seit der Jahrtausendwende wie unsichere Gehversuche auf unbekanntem Terrain, etwas orientierungslos die Songs und manchmal auch beliebig, was erstaunlich ist für eine Formation, die wie kaum eine andere die 80er und 90er Jahre geprägt hat und vor Selbstvertrauen eigentlich nur so strotzen sollte.
Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Möglicherweise ist der klassische R.E.M.-Song ihnen ein wenig zum Gefängnis geworden, denn so gut sie diese gefühlvollen und zu Herzen gehenden Midtempo-Nummern wie die aktuellen „Überlin“, „Everyday Is Yours To Win“ und „Walk It Back“ noch immer hinbekommen, es bleibt ihnen offenkundig nicht mehr als sie immer wieder aufs Neue zu perfektionieren und selbst bei den treuesten Anhängern sollte nach einiger Zeit ein gewisses Sättigungsgefühl eintreten. Versuchen sie andererseits, aus dem selbst verordneten Korsett auszubrechen – das Paradebeispiel „Monster“ liegt nun schon einige Jahre zurück – dann klingt das nicht selten bemüht und steif. Die beiden ersten Stücke, „Discoverer“ und „All The Best“, sind sicher als muntere Aufwecker gedacht, leider klingt bei Feingeistern wie Michael Stipe das rockige manchmal eine Spur ordinär. Auch das krachige „Alligator Aviator ...“ macht da keine Ausnahme – spaßig gemeint, klingt es doch eher hölzern und sperrig und steht wohl für das, was R.E.M. schon bei besagtem „Monster“ unter „Punk“ (miss)verstanden.
Wie es gelingen kann, zeigt das Trio am Ende der Platte: „That Someone Is You“ erinnert mit seiner forschen Unbekümmertheit an die großen Zeiten von „Murmur“ und „Reckoning“, anschließend setzt sich Stipe mit Marlon Brando zum Pow-Wow an das Feuer, an dem auch Bob Dylan und Johnny Cash schon miteinander klönten. Ganz zum Schluss noch das obligatorische Duett mit Patti Smith („Blue“), ein feiner Song, unterlegt mit elektrischem Gitarrenfeedback, das so ebenfalls beim grandiosen „Leave“ vom 96er Album „New Adventures in Hi-Fi“ eine passende Veredelung war.
Übrigens: Sollte sich die musikalische Untermalung bei R.E.M. dauerhaft als wenig erbaulich erweisen, dann würde ich die Lyrics von Michael Stipe immer noch ungesehen in Buchform kaufen, denn wenigstens da hat der Popwelt größter Melancholiker noch meilenweit die Nase vorn. Wer schreibt schon noch so schöne Zeilen wie „The winners write the rulebooks, the histories and lullabies“ (Marlon Brando) oder „With the restraint of New Order covers, young marble giants, I sat quietly waiting ... and with the fury lock of Sharon Stone Casino, Scarface, Al Pacino, '74 Torino, waiting for someone else to make the first move,..“ (That Someone Is You). Deshalb und weil sie sich noch immer rührend am Weltschmerz abarbeiten und trotzdem grundsympathische Kerle geblieben sind – deshalb ist auch diese Platte keine schlechte.


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