Religiöses Fasten V: Judentum

Gastbeitragsreihe von Daniela Liebscher

Heute wird dieses Jahr der wichtigste Fastentag des jüdischen Glaubens begangen.

In der Tora, dem „geschriebenen Gesetz“ des jüdischen Glaubens (Brooks 2004), ist dieser eine Tag, genannt Jom Kippur, als vierundzwanzigstündiger Fastentag verankert (Lev 23, 27-29, 32 zitiert in: Klöcker und Tworuschka 2005, S. 98).

Religiöses Fasten V: Judentum

Im Talmud jedoch, dem im Gegensatz zur Tora „mündlichen Gesetz“, einer umfangreichen Auslegung der Gesetze der Tora durch berühmte Rabbiner, sind noch weitere Fastentage vorgesehen (Brooks 2004). Je nach Glaubensrichtung werden daher entweder nur der Jom Kippur einmal jährlich im Herbst oder auch weitere Fastentage im Jahr begangen. Am häufigsten wird davon auch von liberalen Juden der Tisch’a be-’Av begangen. Traditionell geprägte Juden halten zusätzlich das „Fasten der Erstgeborenen“ (Ta’anit bechorim) am 14. Nissan (Ex 12-13).

Andererseits gibt es auch Fasten, die aus persönlichen Gründen abgehalten werden, wie zum Beispiel zur Hochzeit oder zur Beerdigung eines Elternteils. Obwohl die Geistlichkeit von extremen Fasten abrät, fasten einige fromme Juden auch in der restlichen Zeit des Jahres jeden Montag und Donnerstag (Klöcker und Tworuschka 2005, S. 99).

Die Dauer und das Ausmaß des Fastens hängen vom jeweiligen Anlass ab. Zu den großen Fasten, Jom Kippur und Tisch’a be-’Av, wird vom Sonnenuntergang des Vortages bis zum Sonnenuntergang des nächsten Tages (Mosek und Korczyn 1999) auf Nahrung, Trinken, Rauchen, Geschlechtsverkehr und das Tragen von Lederschuhen verzichtet. Alle anderen Fasten beginnen erst in der Morgendämmerung und enden am Abend.

Im Allgemeinen gilt das Fasten (hebräisch: ta’anit) für alle Gläubigen ab dem Alter von zwölf Jahren für Mädchen beziehungsweise dreizehn Jahren für Jungen (Klöcker und Tworuschka 2005, S. 98). Man darf jedoch laut jüdischem Gesetz seine Gesundheit nicht gefährden (Gesundheit 2009), so dass Kranke und Schwache nicht an das Fasten gebunden sind (Johnson 2004). Jedoch sollten gesunde Mütter mit Kindern, die älter als eine Woche alt sind, alle großen Fasten wahrnehmen (Zimmerman et al. 2009).

Der Grund für das Fasten ist ebenso je nach Anlass unterschiedlich.

Zu Jom Kippur, dem Versöhnungstag, steht im 3. Buch Mose: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimischer noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem HERRN.“ (3. Mose 16,2-30 aus: Luther 1984) Es ist ein Trauertag, ein Tag der Sühne und Reue.

Andere Fasttage, wie das Fasten der Erstgeborenen, das Fasten an Zom Gedalja und das Ester-Fasten (Ta’anit Ester) erinnern an historische Gegebenheiten, wieder andere, wie zum Beispiel das Fasten vor der Eheschließung, befreien den Fastenden für den neuen Lebensabschnitt von Fehlern der Vergangenheit (Klöcker und Tworuschka 2005, S. 99). Außerdem gibt es noch Fasten, die aus traditionellen Erntefeiern stammen (Johnson 2004).

Die medizinische Forschung zum Jom Kippur Fasten ist recht dürftig.

Es gibt immer wieder Gläubige, die an diesem Tag über Kopfschmerzen klagen, bisher konnte die Ursache jedoch nicht gefunden werden. Es scheint nicht an einem Flüssigkeitsmangel oder zu niedriger Kalorienzufuhr zu liegen, sondern am ehesten am Koffein-Entzug oder anderen, noch unbekannten Faktoren (Torelli et al. 2009). Was die Mahlzeit vor dem Fasten anbelangt konnte die Arbeitsgruppe um Blondheim et al an einer kleinen Gruppe von Probanden feststellen, dass sich eine proteinreiche Mahlzeit zu Ungunsten des Wohlbefindens während des Fastens auswirkt (Blondheim et al. 2001).

Anmerkung: Die Texte dieses Artikels sind größtenteils wörtliche Auszüge oder Zusammenfassungen von Ergebnissen aus meiner Doktorarbeit, welche im Laufe des Jahres 2012 veröffentlicht werden wird.  Betreuer: Prof. C.A. May von der Medizischen Fakultät Carl Gustav Carus aus Dresden. Weitere Unterstützung und Stipendium von der Karl-Veronika-Carstens-Stiftung (Essen).

Literaturangaben:

  • Blondheim, D. S., Blondheim, O. und Blondheim, S. H. (2001). “The dietary composition of pre-fast meals and its effect on 24 hour food and water fasting.” Isr Med Assoc J 3(9): 657-662.
  • Brooks, N. (2004). “Overview of religions.” Clin Cornerstone 6(1): 7-16.
  • Gesundheit, B. (2009). “[Medicine and Judaism--a patient is forbidden to endanger his life in order to fast on Yom Kippur].” Harefuah 148(9): 583-585, 659.
  • Johnson, M. R. (2004). “Faith, prayer, and religious observances.” Clin Cornerstone 6(1): 17-24.
  • Klöcker, M. und Tworuschka, U., Eds. (2005). Ethik der Weltreligionen. Ein Handbuch. Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
  • Luther, M. (1984). Die Bibel: nach der Übersetzung Martin Luthers. Deutsche Bibelgesellschaft
  • Mosek, A. und Korczyn, A. D. (1999). “Fasting headache, weight loss, and dehydration.” Headache 39(3): 225-227.
  • Torelli, P., Evangelista, A., Bini, A., Castellini, P., Lambru, G. und Manzoni, G. C. (2009). “Fasting headache: a review of the literature and new hypotheses.” Headache 49(5): 744-752.
  • Zimmerman, D. R., Goldstein, L., Lahat, E., Braunstein, R., Stahi, D., Bar-Haim, A. und Berkovitch, M. (2009). “Effect of a 24+ hour fast on breast milk composition.” J Hum Lact 25(2): 194-198.

 



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