Religiöse Toleranz weltweit

Wie steht es mit der religösen Toleranz weltweit? Ein Index der globalen religösen Toleranz gibt Antworten, lässt aber auch viele Fragen offen.

Eigentlich befasse ich mich ja meistens bewusst nicht mit tagesaktuellen Themen. Ich habe auch das Lesen von Zeitungen weitgehend eingestellt und investiere meine Zeit verstärkt in Bücher. Denn vieles von dem was heute in der Zeitung steht ist morgen schon überholt. Diese Zeit ist besser in Hintergrundwissen investiert. Und schließlich erlauben Bücher es auch, verschiedene Positionen kennenzulernen - wenn man sich darauf einlässt.

Trotzdem ist das heutige Thema einigermaßen aktuell, es geht nämlich um religiöse Toleranz und religiös motivierten Hass. Stimmt es, dass der Islam böse ist? Oder ist das alles nur ein Verschwörung des Westens? Nun, die erste Frage ist falsch gestellt und Verschwörungstheorien finde ich generell dämlich. Alte Religionen bieten viel Platz für unterschiedliche Interpretationen, die Frage müsste eher lauten: Ist der Islam anfälliger für Extremismus. Aber auch diese Frage kann ich leider nicht beantworten. Dazu bräuchte man sehr, sehr lange Zeitreihen und viel mehr Daten. Warum ich Verschwörungstheorien wie in der zweiten Frage dumm finde muss ich, glaube ich, nicht weiter ausführen.

Was ich beantworten kann ist die Frage nach der religösen Toleranz in unterschiedlichen Ländern. Allerdings auch das nur teilweise, denn ich halte den von Dr. Arno Tausch entwickelten Index für verbesserungswürdig.

Arno Tausch ist Gastprofessor der Wirtschaftswissenschaften an der Corvinus-Universität in Budapest und Universitätsdozent für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Sein Index basiert auf Fragen aus dem World Values Survey, einem von Wissenschaftlern verschiedener Univestiäten getragen Forschungsprojekt zu Werten und Einstellungen weltweit. Dafür hat er fünf verschiedene Fragen zum Thema Religion genommen und aus den Ergebnissen den Mittelwert genommen.

Die Befragten konnten fünf Thesen entweder zustimmen oder ablehnen. Die Skala wurde so gestaltet, dass ein hoher Wert stets für Toleranz spricht. Sie lauten:

  1. Meine Religion ist die einzig akzeptable (hier wurde die Ablehnung der These gemessen).
  2. Alle Religionen sollen im Unterricht berücksichtigt werden.
  3. Auch Menschen mit anderer Religion als der eigenen können moralisch sein.
  4. Vertrauen in Menschen mit einer anderen Religion als der eigenen.
  5. Statt Normen und Zeremonien ist es in der Religion am wichtigsten, anderen Menschen Gutes zu tun.

Das Ergebnis ist überraschend. Ganz oben befindet sich natürlich das Musterland Schweden, auch die USA und Polen, also sehr religöse Staaten, befinden sich ganz oben. Wobei beim Vereinigte Staaten mir als Europäer vielleicht auch der Blick durch den hierzlande üblichen Antiamerikanismus etwas verstellt ist. Immerhin haben die USA eine lange Tradition religöser Toleranz.

Weniger überraschend ist der Blick auf das Ende der Skala. Hier finden sich die üblichen Verdächtigen, vor allem nordafrikanische und arabische Staaten. Neun von zehn Staaten sind überwiegend muslimisch. Dazwischen gibt es aber auch ein überwiegend christliches Land, nämlich Armenien. Und für viele vielleicht noch überraschender: Auch reiche Länder sind mit dabei, Kuwait und Katar sind deutlich reicher als Deutschland oder Schweden, allerdings trotzdem sehr intolerant.

Viele Länder haben außerdem eine "Unterdrückungsgeschichte", Algerien war in einen blutigen Krieg mit der damaligen Kolonialmacht Frankreich verwickelt, Armenien leidet bis heute unter der immer noch geleugneten Verfolgung und Ermordung von Armenien in der Türkei. Allerdings ist auch die Türkei, obwohl selbst ehemalige Kolonialmacht, nicht besonders tolerant, sie schneidet mit einem Wert von 0,403 schlechter ab als ihre ehemligen Kolonien Zypern (0,532) und Rumänien (0,585).

Vermutlich also gibt es nicht nur die eine Ursache. Viele Wege führen zur religiösen Intoleranz, zumindest aktuell sind islamische Staaten aber davon deutlich häufiger betroffen als christliche oder buddhistische. Ein Beweis, dass der Islam generell böse ist, ist das aber nicht.Das sage ich jetzt keineswegs aus Gründen der politischen Korrektheit. Die Daten geben es einfach nicht her.

Immerhin gab es auch Zeiten in denen die Deutschen als kriegslüstern galten, heute stehen sie dagegen oft in dem Ruf naiv-pazifisitsche Weicheier zu sein.Wenn ich mir eine ganz persönliche, statistisch nicht belegte Aussage erlauben darf: In meinen Augen werden bei fast allen Diskussionen zwei Themen gerne vergessen: Pfadabhängigkeit und Herdenverhalten (siehe Kommentar).

Ohnehin kann man gegen den Index aber einige Vorbehalte anbringen. 400.000 Menschen wurden weltweit befragt, das hört sich nach viel an, ist es aber nicht. Die Studie umfasst Länder mit insgesamt mehr als 6,5 Milliarden Einwohnern.

Hinzu kommt, dass der Index das reine arithmetische Mittel aus allen fünf Fragen ist. Außerdem fehlen Informationen zu der Frage nach Atheismus und Agnostizismus. Denkbar ist ja, dass die Schweden nur deshalb so tolerant sind, weil sie kaum noch religiös sind. Der Unterschied würde dann nur scheinbar zwischen Islam auf der einen und Buddhismus und Christentum auf der anderen Seite verlaufen, sondern eigentlich zwischen Ländern mit hoher und solchen mit niedriger Bedeutung der Religion. Wobei dann Polen und die USA nicht so weit oben stehen dürften.

Kritisch ist hier vor allem die Frage 5: "Statt Normen und Zeremonien ist es in der Religion am wichtigsten, anderen Menschen Gutes zu tun." Ein Atheist mag hier mit "Nein" antworten, nicht weil er Normen und Zeremonien so schätzt, sondern weil er den Religionen unterstellt sich nur darum zu kümmern. Tatsächlich schneidet das kirschenkritische Deutschland hier schlecht ab, nur 22,6 Prozent stimmen der Aussage zu. Auch insgesamt ist der Wert der Bundesrepublik mit 0,476 nicht besonders gut, auch weil hierzulande die Mehrheit Religionsunterricht für alle Glaubensrichtungen ablehnt (nur 28,9 Prozent finden, dass alle Religionen in öffentlichen Schulen gelehrt werden sollten).

Religiöse Toleranz weltweit

Völlig unbrauchbar ist der Index nicht. Das Gesamtergebnis korreliert mit allen Teilergebnissen relativ gut, den niedrigsten Wert gibt es bei der Frage nach dem Unterricht für alle Religionen. Hier spielt womöglich der Status quo ein große Rolle. Gibt es bereits Unterricht für alle Religionen? Oder wird gerade darüber diskutiert? Oder ist es ohnehin ein abwegiges Thema? Überraschungsstar ist hier Ägypten. In kaum einem Land sind so viele Menschen für Religionsunterricht für alle Glaubensrichtungen (82,1 Prozent).

Und auch wenn wir die Frage nicht beanworten können, ob der Islam leichter zu Intoleranz neigt als andere Religionen können wir doch feststellen, dass aktuell islamische Staaten besonders oft ein religiös intolerante Bevölkerung haben. Warum das so ist, sagen die Daten leider nicht. Aber wir sollten uns ohnehin von der Vorstellung verabschieden, dass es hier nur einen Einflussfaktor gibt. Auch der Nationalsozialismus in Deutschland wurde ja erst durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren so mächtig, beispielsweise Selbstüberschätzung, Heldenkult, Demütigung durch die Nachbarn, wirtschaftliche Probleme und die richtigen Personen am richtigen Ort (beziehungsweise in diesem Fall die falschen Personen). Siehe dazu auch meinen Kommentar.


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