Michael Schmidt-Salomon ist neben Karlheinz Deschner der derzeit bekannteste Religionskritiker Deutschlands. Der Trierer ist Mitgründer der “Giordano-Bruno-Stiftung”, die sich seit 2004 für die Interessen der Konfessionslosen einsetzt. Zuletzt sorgte er für Aufsehen mit seinem 2009 publizierten Werk “Jenseits von Gut und Böse – Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind”. 16vor sprach mit dem 43-Jährigen über Religion, sein am Donnerstag erscheinendes Buch “Leibniz war kein Butterkeks” und seine Zeit an der Universität Trier.
16vor: Herr Schmidt-Salomon, gibt es einen Gott?
Michael Schmidt-Salomon: Tut mir Leid, auf diese Frage kann ich keine klare Antwort geben, da der Begriff “Gott” nicht hinreichend definiert ist.
16vor: Die Frage zielt vor allem auf eine Titulierung des Spiegels ab, der Sie mal zu “Deutschlands Chef-Atheisten” gemacht hat. Würden Sie sich überhaupt selbst als Atheisten bezeichnen?
Schmidt-Salomon: Das kommt ganz drauf an. Tatsächlich halte ich “Gott” für eine “unelegante Hypothese”, die das Verständnis des Universums eher erschwert als erleichtert. Dessen ungeachtet könnte es aber durchaus einen “unvorstellbaren Gott” geben, ja sogar ganze Heerscharen “unvorstellbarer Götter”. Die Idee eines “unvorstellbaren Gottes” habe ich nie kritisiert. Das wäre ja auch sinnlos, da man über Unvorstellbares per definitionem keine vernünftigen Aussagen machen kann. Was ich kritisiere, sind die Vorstellungen, die sich Menschen von “Gott” gemacht haben. Die Religionen haben ihren Gottes-Konstrukten bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, die einfach nicht in Einklang zu bringen sind mit dem, was wir über die Welt wissen. Die christliche Vorstellung eines allgütigen, allmächtigen, allwissenden Gottes passt beispielsweise nicht zu dem, was wir in der Natur sehen. Denken Sie nur an all die Tiere, die im Verlauf der Evolution gefressen wurden, die kläglich verhungerten, verdursteten, erstickten, ertranken, verbrannten, innerlich verfaulten! Das Leid der Lebewesen schreit seit Jahrmillionen zum Himmel, ohne dass wir jemals irgendwelche göttliche Maßnahmen zur Linderung dieses Elends haben feststellen können.
16vor: Das ist das alte Theodizee-Problem nach Gottfried Wilhelm Leibniz. Aber könnte der Mensch nicht trotzdem von einem Wesen planvoll geschaffen worden sein, das seitdem nicht mehr eingegriffen hat nach dem Motto: “Ich bin dann mal weg – schaut mal selbst, wie ihr zurechtkommt”?
Schmidt-Salomon: Realistischerweise sollten wir davon ausgehen, dass sich hinter dem Auf und Ab der Evolution kein göttlicher Heilsplan verbirgt, sondern nur das blinde Walten von Zufall und Notwendigkeit. Wenn der Mensch tatsächlich von Anfang an von Gott als “Krone der Schöpfung” geplant gewesen wäre, wie der Papst meint, so müsste man sich doch fragen, warum “Gott” zum Erreichen dieses Ziels einen so verrückten Weg eingeschlagen hat: Warum, bitteschön, erschuf er zunächst a.) eine unglaubliche Vielfalt an Dinosauriern, die über Jahrmillionen die Erde beherrschten, dann b.) einen Riesen-Asteroiden, den er vor 65 Millionen Jahren auf der Erde einschlagen ließ, damit c.) die Dinosaurier wieder aussterben, um so d.) einigen rattengroßen Säugetieren Platz zu machen, aus denen sich e.) einige Millionen Jahre später die aufrecht gehende Affenart Homo sapiens entwickeln konnte? Ein Gott, der sich so seltsam verhalten würde, würde eher einem intergalaktischen Mister Bean gleichen als einem allmächtigen, allwissenden, allgütigen Wesen. Kein Unternehmen dieser Welt würde einen Designer mit einer solch verheerenden Kosten-Nutzen-Bilanz einstellen.
16vor: Die Weltanschauung, auf die Sie sich positiv beziehen, erläutern Sie in Ihrem 2005 erschienenen “Manifest des evolutionären Humanismus.” Was hat es damit auf sich?
Schmidt-Salomon: Da will ich zunächst einmal den berühmtesten Trierer zu Wort kommen lassen: Karl Marx zufolge besteht der kategorische Imperativ des Humanismus darin, “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”. Das heißt: Als Humanisten müssen wir daran arbeiten, die Lebensverhältnisse so zu verbessern, dass jeder Mensch die Chance hat, ein lebenswertes Leben zu führen. Der evolutionäre Humanismus unterscheidet sich vom traditionellen Humanismus nun darin, dass er nicht mehr “speziezistisch” argumentiert. Speziezismus ist eine Haltung, die einem Lebewesen allein deshalb mehr Rechte beimisst, weil es zufälligerweise der gleichen Spezies angehört wie wir. Als evolutionäre Humanisten müssen wir jedoch von den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie ausgehen. Somit müssen wir annehmen, dass es zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren keine prinzipiellen, sondern nur graduelle Unterschiede in Bezug auf Bewusstsein und Leidensfähigkeit gibt. Ethisch bedeutet dies, dass wir die Interessen nichtmenschlicher Lebewesen stärker berücksichtigen müssen, als dies gemeinhin geschieht.
16vor: Wie grenzen Sie sich dabei konkret von den ethischen Grundlagen der Religionen ab?
Schmidt-Salomon: Im Unterschied zu traditionellen humanistischen Konzepten geht der evolutionäre Humanismus nicht mehr von “absoluten Wahrheiten” oder “absoluten Werten” aus. Vielmehr denken wir auch in dieser Hinsicht evolutionär: Wir versuchen, falsche Ideen sterben zu lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen. Gegen diesen Grundsatz der kritischen Rationalität haben die Religionen regelmäßig verstoßen – und sie tun es leider auch heute noch. Vor allem außerhalb Europas richten die Religionen noch immer ungeheuren Schaden an. Denken Sie etwa an den islamischen Fundamentalismus oder an die Hexenverfolgungen, die in den letzten Jahren in Afrika stattgefunden haben. Angestachelt von evangelikalen christlichen Predigern sind in Nigeria in den letzten Jahren viele Tausend Kinder einem neuen Hexenwahn zum Opfer gefallen. Damit sich derartige Formen des Wahns nicht noch weiter ausbreiten, ist Religionskritik unerlässlich. Fakt ist jedenfalls: Wer Wissenschaft, Kunst und Philosophie besitzt, der braucht keine Religion.
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