Tag 11 – 23.07.2011
Es ist dicht bewölkt heute morgen! Nicht kalt, aber eben auch nicht spanisch-heiß. Heute wollten wir wieder einen Badetag einlegen; doch ein Blick in den Himmel sagt uns, dass der heutige Samstag wohl eher ein Stadtbummeltag werden wird.
Durch die Straßen fährt wieder ein Auto, aus dem entweder Werbung tönt oder aber ein Wahlaufruf. „Attention, Attention…“ schallt es durch die Stadt.
Ich meine: es ist Werbung für einen Möbelladen und ein Aufruf, sein ehrlich verdientes Geld nicht zur Konkurrenz zu tragen. Erstaunlicherweise richtet sich die Rede der Lautsprecherstimme nur an Frauen.
Dieses mal ist es mir gelungen, das Auto und das Geschrei zu filmen: wer also des Spanischen mächtig ist…
Da wir uns eh langsam damit abfinden müssen, bald wieder nach Hause zu fahren können wir ja schon immer mal damit beginnen, darüber nachzudenken, worauf wir uns dort freuen. Also ich auf chlorfreies Leitungswasser. Ich finde das, was hier aus dem Hahn kommt, selbst beim Zähneputzen nach mehr als einer Woche noch immer widerlich. Was noch? Eine Zeitung, die ich lesen kann. Mein eigenes Bett.
Die Liste meines Sohnes liest sich ähnlich; nur, dass darin noch die Worte „Computer“ und „Internet“ vorkommen.
Wenn ich jedoch darüber nachdenke, dass ich in einer guten Woche wieder ins Büro muss… dann nehme doch lieber das Chlorwasser und ein nicht so bequemes Bett in Kauf. Da schwitz ich doch lieber hier in Spanien als in meinem Büro.
Weil ich mir gerade eine Zigarette gedreht habe: gestern habe ich hier den Drehtabak entdeckt, den ich auch zuhause rauche: Pueblo. Allerdings hat dieser Name hier sicherlich einen anderen Klang, bedeutet das Wort doch „Dorf“. Ob dem Geisenhausener Hersteller klar ist, dass man mit „Dorftabak“ nicht unbedingt punktet. Das klingt dann doch eher nach ganz einfachem Kraut.
Das das hier ein „Live-Schreiben“ ist: Inzwischen hat sich zu dem einen Auto mit der Möbelwerbung noch ein weiteres gefunden, das noch schwieriger zu verstehen hier rumtönt. Vielleicht der Mitbewerber des ersten Möbelladens…
Eine Beschallung aus dem Osten der Stadt, eine aus dem Westen. Sehr nervend.
***
Markt war in der Stadt. Allerdings waren viele Händler bereits am Wiedereinpacken, als wir dort waren. Vor allem gab es Kleidung und frisches Obst. Was auf den Berliner Märkten die vietnamesischen Kleiderverkäufer sind, sind hier Schwarzafrikaner; die Qualität der Ware ist entsprechend.
Gegenüber der Stadt thront auf einem Berg die Figur irgend einer Heiligen. Mein Sohn meinte, dass das ein Abklatsch von Rio de Janeiro sei. Die Stadt ist auf Sand(stein) gebaut; es gibt viele Keller, die in den Boden gebaut sind; einige davon verfallen und verlassen, was uns die Möglichkeit gab, hineinzusehen. Einen Granatapfelbaum voller Früchte sahen wir. Das war der erste meines Lebens. Hier also ist das Paradies
Allerdings ein sehr trockenes. In den Bergen, die wir sonst immer nur von unten sahen, fehlte der Wind vom Meer, der das Leben hier so angenehm macht. Knapp 40 Grad zeigt dort das Thermometer. Und wenn man über die Landschaft schaut (und sich die allgegenwärtigen Stromleitungen wegdenkt) versteht man, weshalb viele Western hier gedreht wurden. Das Grillenzirpen ist ohrenbetäubend, die Luft flimmert über der Steppenlandschaft und es gibt einige aufgegebene Häuser, die in ihrem strahlenden Weiß leuchten. Die kleinen Ortschaften (besser: Ansammlung von Häusern) gefallen mir wegen ihrer schattigen Alleen – wobei Allee hier bedeutet, dass die knapp drei Meter breite Straße baumgesäumt ist und der gärtnerischen Anpflanzung von Kakteen, die 20 Meter davon entfernt wild wuchern.
Leider fehlt auch der obligatorische Golfplatz nicht inmitten dieser trockenen Steppenlandschaft. Für mich hat das irgendwie etwas wirklich Dekadentes an sich: in einer Landschaft, in der jeder Tropfen Wasser zählt, wird kurzgehaltender Rasen gepflegt und gehegt, bewässert und geschnitten.
Allerdings: es golft dort niemand.
Tag 12 – 24.07.2011
Sonntagsruhe liegt über der kochenden Stadt. Sogar das Abwaschen artet zu einer schweißtreibenden Arbeit aus bei geschätzten 35 Grad draußen und nicht viel weniger innen. Eigentlich kann man nur still sitzen und warten, dass das vorüber geht. Und die Zeit kommt, da man ans beziehungsweise ins Meer gehen kann. Genau das haben wir heute noch vor.
Das Urlaubsende kommt nun mit riesigen Schritten drohend näher. Übermorgen Abend beginnt die Heimreise. Und dabei habe ich das Gefühl, noch längst nicht alles gesehen zu haben, gerochen und gehört zu haben, das nötig wäre, um den Eindruck bleibend zu machen. Doch vielleicht kehre ich hierher wieder. Ich wünsche es mir bereits jetzt, da ich noch hier sitze und aus dem Fenster auf das Meer blicke.
Wir waren schwimmen, Wasser von der Quelle holen und haben Nachrichten geschaut. Das hätten wir nicht sollen tun. Denn nun ist der Urlaub befleckt von der Ereignissen in Oslo.
Es war zu erwarten. Die Saat ist aufgegangen. Die Saat der rechtsgerichteten Populisten hat mit einem Schlag der Welt klargemacht, dass von ihr eine ähnliche Gefahr ausgeht wie von den permanent als Feindbild beschworenen Islamisten. Die Saat eines Sarrazin, eines Wilders ist aufgegangen. Wäre das ein irrer Moslem gewesen: ich vermute, das Geschrei des Hasses wäre riesig. In diesem Falle jedoch werden von den Reportern Entschuldigungen dafür gesucht, dass der Mann knapp 100 Menschen getötet und mehr noch verletzt hat.
Schaut verdammt noch mal genauer hin! Auch Herr Friedrich! – und versucht zu verstehen, dass diese rechtsgerichteten Christen um keinen Deut besser sind als die Extremisten der anderen Seite. Neben dem Schock, dass der Mann es wagte, in der Hauptstadt Norwegens eine Bombe zu zünden, klang in den Nachrichten das Bedauern über das Massaker an den Jugendlichen auf der Insel regelrecht verhalten. Und nur in einem Nebensatz wurde klargemacht, dass es sich um ein Zeltlager einer linken Organisation handelt.
Der Herr Mörder möchte nun also – nach getaner Arbeit – mit der Polizei zusammenarbeiten. Es bleibt genau zu beobachten, ob wir, ob die Öffentlichkeit tatsächlich erfahren wird, was die Beweggründe des Mörders waren, dieses Massaker anzurichten. Oder ob irgendwann die lapidare Mitteilung kommt, der Mann sei geistesgestört (das ist er sowieso). Doch ob wir wirklich erfahren, aufgrund welcher Ideologie, aufgrund welcher „Vordenker“ er handelte?
In Dänemark schließt man die Grenzen „wegen der islamistischen Ausländer“ und in Norwegen sprengt ein blond-blauäugig-Weißer die Stadt in die Luft und tötet hundertfach.
Hinter jedem Stein und in den Elektronen jeder Mail sieht Friedrich einen Islamisten; hält 300 Linksextremisten für bedeutend gefährlicher als 1600 Neonazis; Sarrazin bleibt Mitglied der SPD und es formieren sich die „Pro“-Rechtspopulisten und die Partei „Die Freiheit“…
Deutschlands Innenminister waren schon immer auf dem rechten Auge blind. Es ist wohl ein vergebliches Hoffen, dass Oslo dieses Auge öffnet.
Nic
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