Tag 3 – 15.07.2011
Das Meer ist heute von einem tieftintigen Blau. Bis zum Horizont, über den sich eine weitere Linie Blau zu erheben scheint, die in ein gleißendendes Himmelsblau übergeht.
Das könnte ein Lebenwerk sein: jeden Tag aufs Meer zu schauen und die Nuancen beschreiben zu versuchen. Und täglich daran zu scheitern.
An den Ufern brechen sich heute stärkere Wellen als all die Tage zuvor. Weissgischtig im azurnen Blau des nahen Strandes. Langsam fängt die Sonne an, der Haut wehzutun: Die Schultern sind gerötet von der senkrechten Sonne des Mittags. Wir schlenderten über den Markt der nächstnahen Stadt, kauften Pfirsiche und riesige Oliven; einen Kamm und Cheddar-Käse; eine Hommage an die dort doch noch lebenden Engländer.
Die Freunde unseres Gastgebers waren heute kurz zu einem Besuch. Wir kennen uns nicht und es wurde ein vorsichtiges Abtasten und -testen das mit einer Einladung endete. So also werden wir in den kommenden Tagen Deutsche besuchen, die sich vor einigen Jahren entschlossen, hier zu leben. Von meinen vorherigen Besuchen kenne ich einige dieser Exilanten; nicht wenige unter ihnen, die erst spät bemerkten, dass „Urlaub machen“ und „hier leben“ einen großen Unterschied ausmacht. Die unter der Einsamkeit des fast unbewohnten Landes leiden. Einige unter ihnen, die alles verkaufen und zurück gehen werden in das wetterlich unwirtlichere, aber sprachlich verständigere Deutschland.
Wie mag es sich anfühlen? Wie ein Scheitern? Oder wie ein (zu) langer Besuch in der Fremde. Vielleicht traue ich mich, diese Frage zu stellen.
Wenn die Baumaschine, die in der engen Gasse steht und krawallt, einmal kurz still ist, höre ich das Meer an das Ufer schlagen. Überhaupt: die engen Gassen. Als ich heute mit dem Auto wegfahren wollte, ging das nur, indem ich in der Einbahnstraße (und hier sind alle Straßen Einbahnstraßen!) wendete. Und mich irgendwie durch das Labyrinth schleuste, ein Absperrgitter umfuhr und an einer anderen, rechtwinklig-engen Kreuzung über den Bürgersteig fuhr. Ich kam mir regelrecht revolutionär vor.
Letztes schrieb ich davon, wie vorschriftsmäßig die Autos hier fahren. Für die Fußgänger gilt das im Übrigen nicht. Denn in den engen Gassen der Stadt haben Fußgänger immer Vorrang. Alle paar hundert Meter gibt es einen Zebrastreifen. Es scheint jedoch offensichtlich ein Nationalsport, genau diese beim Überqueren der Straßen zu meiden.
Sprach ich schon vom Essen? Davon, dass es mir genügt, Brot, Oliven, Zwiebeln und Tomaten zu haben? Dass ich gestern zum Salat eine Scheibe getoastetes Brot bekam, dass dünn mit Allioli bestrichen war – einer Art Mayonnaise mit Knoblauch? Und dass das wichtigste beim heutigen Einkauf genau diese Spezialität war? Und dass ich – vermutlich – genau so rieche wie man riecht, nach einem Tag Knoblauchessen?
Aber es geht ein (fast zu) kühler Wind vom Meer ins Landesinnere. Ich sitze leicht fröstelnd auf der Terrasse über den Dächern der Stadt im Schatten und überlege seit nunmehr eine Stunde, ob ich mir etwas überziehen sollte oder vielleicht doch noch eine Runde Richtung Berge wandern. Da ist es sonnig und warm.
Und sprach ich davon, dass ich zu wenig Lesestoff mitgenommen habe? Mein erstes Buch ist ausgelesen… Ein weiteres fand ich hier. Und was mache ich am Montag und den darauf folgenden Tagen?
Ich werde berichten…
Nic
Anderswo ist es üblich, am Sonntag gegen zehn die Gläubigen durch die Glocken zur Kirche zu rufen. In dieser kleinen, südspanischen Hafenstadt bedient man sich dazu Böllerschüsse, die die Vögel nervös machen und mich wach. Am Samstag.
Inzwischen höre ich in der Ferne traurige Klänge von Trommeln und Trompeten. Vermutlich geht irgendwo in der Stadt eine Prozession.
Ich selbst werde heute nur sehr kurz draußen sein können; ich brauche heute einen schattigen Tag; das heißt: meine rote Haut braucht das. Trotz Sonnencreme sind einige Stellen am meiner Körperaußenseite reichlich rot geworden. Auch die Kopfhaut unter meinem kurzen Haar. Und das ist ziemlich unangenehm.
Aber raus müssen wir: wieder Brot holen (es verwundert selbst meinen Sohn, wie viel wir hier essen in der jodhaltigen Luft), vielleicht ein Basecap für meinen geschundenen Kopf, Sonnencreme mit noch höherem Lichtschutzfaktor, spanische Zigaretten.
Gestern Abend, als die Sonne schon an Kraft verloren hatte, sind wir noch einmal losgezogen, um die Stadt zu erkunden. Doch anders als sonst haben wir die meerabgewandte Seite der Stadt besucht. Und Felsen gefunden (und bestiegen) die aus Granit und Basalt sowie aus junger, noch nicht fertiger Kreide bestehen (sehr gefährlich, weil sehr bröckelig). Diese Berge sind vermutlich erdgeschichtlich noch jung, die Ablagerungen der Muscheln hatten keine Zeit mehr, fest zu werden. Sie wurden über das Meer gehoben, ehe sie „reifen“ konnten.
Überall in diesem harten und bröckeligen Umfeld versuchen Pflanzen Wurzel zu fassen. In jeder Ritze zwischen zwei Steinen, in die der Wind etwas Sand wehte, krallen sich Wurzeln. Es hat etwas berührendes an sich, diese kleinen Leben zu sehen und zu wissen, dass es in spätestens einem Monat, wenn es es richtig heiß und trocken ist, damit vorbei ist.
Einen Strauch sah ich, der an jedem Ende seiner vielen Zweige zwei, drei winzige Blätter trug. Optimismus pur.
Von einer Plattform, die dort oben über der Stadt gebaut wurde, bekommt man einen ehrlichen Blick über die Landschaft Andalusiens: im Norden, an den Hängen der Berge und in der Ebene ziehen staubtrockene Fahnen über das braungedörrte Land. Dreht man sich um, sieht man die weiße Küstenstadt in ihrer ganzen leuchtenden Pracht.Es sind nur wenige Kilometer und doch eine wie anders wirkende Welt.
Und man kann auch sehen, was „Krise“ konkret bedeutet: Bauruinen. Nicht fertiggestellte Häuser, die an einer Seite bereits gemalert sind und an der anderen liegen noch die Steine, die für die Außenwand geplant waren, in zerfallenen Haufen. Es erinnerte mich an die KdF-Bauten auf Rügen. Nur, dass dort die Ausmaßen extremer sind. Neben der Bauruine stehen noch vergessene Zementsilos, die in der Hitze dahinrosten.
Ein roter Mond ging über dem Meer auf, als wir auf einer Bank an der Standpromenade saßen.