zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie IHN!
VorwarnungEiner ganzen Reihe anderer Reisende, mit denen ich mich unterhalten habe, und die ebenfalls zuerst Indien und danach Thailand kennen lernten, ging es ähnlich – nach der übermächtigen indischen Kultur, die sich zwar auch in einem Wandel befindet - die aber neue Einflüsse viel stärker absorbiert - erscheint Thailand sehr westlich geprägt – was die meisten Reisenden, die von Europa nach Thailand kommen, niemals unterschreiben würden… In jedem Fall hat sich die westliche Lebensart sehr stark mit der Kultur der Thai vermischt – vor allem in Bangkok und den Tourismuszentren des Landes. In Indien wäre damit wohl noch am ehesten Goa vergleichbar. Doch auch dieser Vergleich hinkt; zudem fallen die ausländischen Touristen im Land angesichts der Gesamtbevölkerung Indiens an den wenigsten Orten ernsthaft ins Gewicht.
Thailand hat sich deutlich stärker verändert. Nun ist es so, dass viele Thai diese Veränderungen durchaus begrüßen und sich der Lebensstandard im Allgemeinen deutlich gehoben hat – doch diese Entwicklung kennt auch viele Verlierer und das Land ist zunehmend gespalten. Die einen sind begeistert vom Fortschritt und stark angezogen vom westlichen Lebensstil. Doch gerade außerhalb der großen Städte gibt es viele, die den Ausverkauf ihrer Kultur beklagen und sich von den Profiteuren des Aufschwungs, die zu einem wesentlichen Teil in Bangkok leben, übergangen fühlen. Wenn man in den Morgenstunden Bangkok mit dem Zug erreicht, sieht man die weniger bekannten Seiten der Stadt - Slums und Randexistenzen entlang der Bahngleise. Lange Zeit wollte ich Thailand auf keinen Fall bereisen, weil ich eine Befürchtung dessen hatte, was mich dort erwarten würde – Massentourismus, verstörende Auswüchse der Prostitution und ein Land, das auf dem Weg zur Konsumkultur nach und nach seine Seele verliert. Dieser Einschätzung hat sich nicht grundlegend geändert. Das soll keineswegs heißen, Thailand wäre kein schönes Land. Viele Reisende können gar nicht genug bekommen. Auch ich habe unheimliche liebenswürdige Thais kennenlernen dürfen, betörende Landschaften gesehen und viele bereichernde Impressionen in meinen Rucksack packen können. Doch die Begeisterung für Shoppingmalls und Lifestyle-Gesellschaft geht mir vollständig ab. Egal ob in Europa oder Asien.
Doch um wirklich herauszufinden, was sich dort abspielte, musste ich erst in die Hölle hinabsteigen – und meine persönliche Hölle erkunden. Dass es die gab war keine neue Erkenntnis und doch hätte ich vor meinem ersten Besuch in Bangkok gedacht, dass ich auf meinem Weg schon weitergekommen wäre.
Es war immer klar, dass ich diesen Blog nur mit einer gewissen Prise Wahnsinn schreiben konnte – und so ist dies auch ein Experiment mit gonzoesken Zügen – durchaus beeinflusst durch meine Lektüre des Großmeisters – Hunter S. Thompson. Ihn zu kopieren wäre freilich nicht mein Stil – und nicht zuletzt fehlt mir dazu das Bataillon an Drogen, die sich der Duke verfügbar machte. Im besten Falle erweitere ich mit diesem Blog mein Repertoire – im schlechtesten wird man mich nie wieder lesen. Ich hoffe das ist es wert - mir bleibt keine Wahl…
Bangkok
„Die materielle Gewalt der westlichen Weltsicht hat die östliche überrollt. Asien hat seinen Frieden verloren auf der Jagd nach dem Glück, das uns bereits unglücklich gemacht hat.“
Tiziano Terzani
Während meiner Reisen war ich meist alleine unterwegs. Lonesome Traveller. In den Monaten in Südostasien war das zumeist anders. Das Timing war perfekt: ich landete – von Bombay kommend - exakt 20 Minuten nach Chris auf dem Flughafen von Bangkok. Ermöglicht hatte unser sofortiges Zusammentreffen die beispiellose Dekadenz der Scheichs von Abu Dhabi. Denn aufgrund einer schweren Infektion und meiner geradezu legendären Planlosigkeit, hatte ich Chris erst im letzten Moment eine Mail zukommen lassen – sinnigerweise als er sich bereits in der Luft befand – um ihn wissen zu lassen, das ich wirklich kommen und ich ihn nicht hängen lassen würde. Am Flughafen von Abu Dhabi hatte er bei der Zwischenlandung dank eines kostenlosen Internetzugangs meine Nachricht erhalten. Mit Chris und zwei anderen Mädels hatte ich vor meinem Aufbruch in den Wahnsinn zwei Jahre lang in einer WG gewohnt. Der Wahnsinn vor dem Wahnsinn.
Bevor Chris mich erblickte, war er damit beschäftigt, wie ein Irrwisch zwischen zwei Gepäckbändern hin und her zu springen, die jeweils Flüge aus Bombay abwickelten. Es fühlte sich fast ein wenig unwirklich an, endlich einmal ein aus der Heimat bekanntes Gesicht zu sehen. Schließlich lag mein Aufbruch anderthalb Jahre zurück und den zwischenzeitlichen Aufenthalt in good old germany war nach einer kurzen Phase der Euphorie von einer kolossalen Umnachtung geprägt. Wir tranken ein paar Kaffee in einer ekelhaft-stylischen Kaschemme, die man nur als Teil der Wirklichkeit ignorieren konnte. Dabei suchten mich böse Backflashs heim – ich hatte den Flughafen bei meinem ersten Kurzbesuch in der Stadt besser kennen gelernt, als mir lieb gewesen wäre:
Backflash
Nach einer katastrophalen Nacht, die eigentlich nur dazu hatte dienen sollen, einen Anschlussflug zu erreichen und stattdessen einige Charakterzüge an mir zu Tage gefördert hatte, die man unverzüglich amputieren sollte, hatte ich meinen Flug verpasst. Und das völlig zu Recht! Seitdem weiß ich, wie es sich anfühlt, vor einer Servicekraft von Air Berlin zu stehen, die den armen Irren vor ihr geflissentlich ignoriert, wirre Kommandos in ein Walkie-Talkie bellt und ihn mit Todesverachtung straft, weil er sich die Blöße gibt, in seinem verlotterten Zustand zum verzweifelten Bittsteller zu werden, um doch noch an Bord der Maschine zu kommen.. Die letzte Fassade meiner Würde bröckelte bedenklich. Air Berlin kannte keine Gnade - irgendwann werde ich mich fürchterlich rächen – wobei die mit ihrem neuen Flughafen genug gestraft sind. Außerdem war ich selbst schuld; oder die Typen im Hotel, die mich nicht geweckt hatten; und das nur weil sie der Überzeugung waren, dass ich bereits wach war, als ich nach einer schlaflosen Nacht zur besten Frühstückszeit hereingeschneit kam – nur um kurze Zeit später gewahr zu werden, was für einen Bockmist ich in der Nacht fabriziert hatte und bei dem Versuch einzelne Passagen - vor dem Einschlagen des unweigerlich folgenden Holzhammers - schriftlich zu fixieren, bevor sie auf ewig in den Orkus der Bedeutungslosigkeit hinabsinken würden, in einen Sekundenschlaf geriet, der eben nicht einige Sekunden anhielt, sondern zu meinem Entsetzen zu einem Kurzzeitkoma von zwei Stunden geführt hatte. Das realisierte ich, als ich mich unter die Dusche begeben wollte und notgedrungen eine Unterhaltung mithörte. Der folgende Taumel, das eilig zusammengeraffte Gepäck, hastiges Auschecken sowie das Chartern eines Taxis, das sich trotz meiner emsigen Bemühungen nicht in einen Düsenjet verwandeln wollte, hatte nichts genützt. Ich stand vor dem Nichts.
Vielleicht spürt die Dame am Service-Schalter, dass ich dabei bin, mich in eine tickende Zeitbombe zu verwandeln und sie verkündet mir großmütig, man könne mir aus Kulanzgründen eine Umbuchung für den nächsten Tag gegen die Gebühr des halben Flugpreises zugestehen - vielleicht konnte man ja an dem Irren nochmal verdienen, wenn er wieder klar im Kopf war und man erspart sich eine Randexistenz voreilig zu vernichten. Jetzt musste ich nur noch Geld stehlen. Am Abend zuvor hatte ich schließlich bei einer unglücklichen Transaktion infolge der zu raschen Abfolge verschiedener Währungen in den letzten Monaten um eine Null vertan und anstatt der verbliebenen 10 Euro mehr abgehoben als mir noch zustand. Nicht ganz unmaßgeblich dürfte auch der einsetzende Hirnfick gewesen sein, der aufgrund der herrschenden 40 Grad, einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von 99% und einer aufkommenden Euphorie, das ich auch diese Reise gemeistert hatte, rasant an Fahrt gewann. Auch der Genuss eines süffigen Weißweins, den ein gewiefter Schweineficker in Form einer Bierflasche verkaufte (womit er mich gekriegt hatte; denn an jedem Ort probierte ich die exotischsten Biere) war nicht hilfreich. Diesen Fehler hatte ich zu allem Überfluss auch noch als Wink des Schicksals verstanden und das hatte eine neue Stufe der Eskalation eingeleitet. In den wirren und schwer zu entziffernden Aufzeichnungen dieses Abends, prangt eine Bemerkung zu dieser Erleuchtung: it`s a coconutyoga`s world. Armer Irrer!
Eigentlich müsste meine Bank doch kooperativ sein und der Automat erneut ein wenig Geld ausspucken. Schließlich tut sie auch als Immobilienspekulant im neuen Herz Europas hervor, bei der Stützung von Nahrungsmittelpreisen (…) und bei Geschäften mit hirnamputierten Arschlöchern (Zitat eines Lehrers auf einem humanistischen Gymnasium über den Autor dieses Text, der damals zehn Jahre alt war…), die mit Wasserwerfern Wahlkampf machen.Doch der Bankautomat lachte mich höhnisch an: Hier hast Du keinen Kredit mehr, Du asozialer Herumstreicher! Wärst nicht auf Reisen gegangen und hättest wie jeder anständige Mensch weitergearbeitet, dann hätten wir Dir den Dispo nicht gestrichen – „dämlicher Arsch!“, murmelte ich, doch der nächste Automat ist nicht besser erzogen. So muss ich anerkennen, welch trostlose Bedeutung ein seelenloses Flughafengebäude für einen Gestrandeten in solch einer Stunde gewinnen kann. Lost in Transition! Würde mich eine Fabrik in Bangkok anstellen? Panik kommt in mir auf – ja, ich hatte es endgültig zu weit getrieben. Ich war doch ein hoffnungsloser Fall! In einem Anfall von Wahnsinn muss ich mir verkneifen, als Belohnung für meine Heldentaten der vergangenen Nacht meinen Kopf an der nächsten Scheibe blutig zu schlagen oder durch wütendes Gebrüll die Aufmerksamkeit der Security auf mich zu lenken. Was war ich nur für ein erbärmlicher Idiot! Doch so schnell der Wahnsinn angeflutet war – so schnell verebbte er wieder. Ich erinnerte mich an all die schönen Erlebnisse der letzten Monate und beschloss meine Reise nicht auf solch unwürdige Weise zu beenden. Ich atmete tief durch und eine lässige Ruhe, die der Situation seltsam unangemessen erschien und meinerseits zu einem dümmlichen Grinsen führte, kehrte zurück. Wenn bipolare Menschen auf Reisen gehen, gibt es eben viel zu erzählen. Das würde wohl nicht der letzte Fehler in meinem Leben sein. Dafür war ich Erfahrungsmillionär. Nun hieß es durch den massiven Konsum von Koffein und Nikotin wieder einen klaren Kopf zu kriegen und einen Weg zu finden, um wieder aufzustehen. Dafür würde ich Hilfe brauchen.
Den höllischen Kater in meinem Schädel hatte ich zwischenzeitlich vergessen. Das Adrenalin, das sich während der Taxifahrt zum Flughafen in mir aufgestaut hatte, hätte sicher gereicht, um mit einem Jagdbomber einmal um die Welt zu fliegen - mit einem debilen Lächeln im Gesicht. Da musste ich nun wieder anknüpfen.
Infolge einiger Telefonate, die ich von einem Internetcafe führte, konnte ich dankbar registrieren, dass es im weit entfernten Europa Menschen gibt, die mich trotz meiner Allüren noch immer mögen und mir beispringen würden. Schon während der Gespräche war ich wieder zum Scherzen aufgelegt, schließlich wurde ich als Überraschungsgast auf einer Geburtstagsparty im schweizerischen Jura erwartet, für die ich aus Bali anreiste.
Danach war ich wieder in der Lage, mich ganz meinen Kopfschmerzen hinzugeben. Im Flughafenbus fuhr ich erneut in die Stadt und stieg mit meinen letzten Groschen wieder im selben Hostel ab – schlimmer konnte es ohnehin nicht werden. Den Rest des Tages verbrachte ich in einem buddhistischen Tempel. Immer wieder kamen furchtbare Gedankenfetzen der letzten Nacht in mein Bewusstsein. Was war ich nur für ein grausamer Bastard! Eben hatte ich noch stundenlang mit einem taubstummen Thai über das Leben philosophiert und schon wurde ich (begünstigt durch unsere Ankunft auf der Kasoan Road) in einen finsteren Abgrund hinabgezogen. Das Schlimmste war: dort fühlte ich mich pudelwohl. Zeit, um Buße zu tun! Neben mir stimmten die Mönche ihre Mantras an und ich saß in tiefer Einkehr neben ihnen und versuchte die entsetzlichen Erinnerungen zu vertreiben, die ich aufgrund meiner massiven Zellenvernichtung bereits verloren hoffte, und entschuldigte mich ganz im Stillen für meine grenzenlose Dummheit und war schließlich dankbar, dass der zweite Teil meiner Reise nicht mit einem solchen Absturz endete, sondern ich noch in der Lage war zu bereuen und mit einem Rest von Würde heimzukehren. Irgendeinen Kredit brauchte ich schließlich…
Bangkok reloaded
Um Chris ein adäquates Bild der Stadt liefern zu können, blieb nur erneut in den Abgrund der Hölle zu steigen: die Kaosan Road. Eine Ausgeburt des Lonely Planet – dem man nur noch folgen sollte, wenn man Einsamkeit hasst. Hätten deren Autorennicht davon geschwafelt, dass diese Straße the place to be wäre, würde sich keine Sau für diese Straße interessieren. Dabei wäre es wohl besser geblieben. Doch welcher anderen Nachbarschaft wollte man dieses Schicksal wünschen?
konnte man den Zirkus nicht wenigstens konsequenter einzäunen und Warnschilder anbringen?
Um das Niveau weiter zu senken, checkten wir in eine Massenunterkunft ein, die sich Mom`s Guestouse oder ähnlich schimpfte und direkt auf die berüchtigte Straße wies. Im Gegensatz dazu, könnte die Reeperbahn jederzeit als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet werden. Auch die widerlichen Ecken.Es ist nicht gerade einfach bei ohrenbetäubender Elektro-Mucke zu schlafen und dennoch verbrachten wir drei Nächte dort. Nun hatte ich also Gelegenheit, diesen Sündenpfuhl einem Freund zu zeigen; das war immer ein Manko gewesen: zuhause konnte keiner nachvollziehen, was ich unterwegs erlebt hatte; viel lieber hätte ich mich mit ihm in Indien getroffen; seine Wahl war aber auf Thailand gefallen; immerhin hatte er bei Coconutyoga Travels gebucht – auch wenn meine Beschäftigung bei dieser ominösen Firma eine rein ehrenamtliche Beschäftigung war. Die Zeit war einfach noch nicht reif. Die Hochglanzbroschüre meiner noch zu gründenden Reiseagentur lag gedanklich schon vor mir: „should you survive, you got some great stories to tell - if not – don`t blame the guide!“
Ich will nicht verhehlen, dass es mir eine irre Freude bereitete, zu sehen, wie das unheilige Treiben in der völlig überkommerzialisierten Kasoan Road auf ihn wirken würde: mit den grellen Neonlichtern, der Kakophonie des Straßenlärms, der Einpeitscher, Verkäufer und dröhnender Bässe, dem köstlichen Straßenessen, so ziemlich allen Produkten die den wirren und weniger wirren Marketingexperten der Weltgeschichte eingefallen waren: von Kitsch aller Art, über Kleidung, Elektronik, Accessoires bis hin zu gefälschten Führerscheinen und Studentenausweisen oder Masken von Saddam Hussein oder Osama Bin Laden. Natürlich kann man sich auch vor Ort Rastas machen lassen oder Tattoos stechen und sich von Fischen anknabbern lassen. Garniert wird das Spektakel (das hier nur im Ansatz beschrieben ist) durch das Anpreisen von Flatrate-Saufen, Angeboten aller Art aus dem leichten Gewerbe und durchtriebenen Gestalten, die einem ins Ohr raunen: Ping-Pong, Sir?Die Preisliste dieser Marketinggenies bestand aus Gegenständen, die wir aussuchen sollten, woraufhin sie von einer uns nicht näher bekannten Frau in ihre Geschlechtsöffnungen gesteckt wurden. Ich will nicht ins Detail gehen. Aber das war ekelerregend. Und wie konnte man diese indiskutable Einladung mit einem Sirabschließen? Vielleicht waren die Gentlemen schlicht ausgestorben. Nachdem das nicht zog, wurde das Angebot noch wesentlich subtiler: you like Boom, Boom?Schmierig grinste uns der missratene Typ von der Seite an. Schwer zu beschreiben, wie übel einem in solche einem Moment werden kann; man ist hin und hergerissen zwischen handfestem Ekel und einer Form von morbider Faszination, das sich ein solcher Ort wirklich auf Längen- und Breitengraden materialisiert hatte.
Einmal habe ich erlebt wie ein junger Inder von einigen üblen Zuhältern unter Anfeuerungsrufen mitten in der Menge verprügelt wurde, weil er nicht zahlen wollte. Er setzte darauf, seine Peiniger mit dem Argument, er habe an ein Liebesarrangement geglaubt, zu beschwichtigen. Dummerweise konnte man in seinem Gesicht lesen, dass er dieser dümmlichen Argumentation selbst nicht glaubte. Es war einfach zu bemitleidenswert und so setzte ich mich für ihn ein. Der schmächtige Bursche war ohnehin hoffnungslos unterlegen und hatte bereits eine heftige Abreibung erhalten und er würde es ohnehin nicht lange überleben, wenn er aus dieser Episode keine Schlüsse ziehen konnte; kurze Zeit später ließen sie von ihm ab; wie ein Hund wollte er sich an meine Fersen heften und Sekunden später war ich selbst angeekelt von seiner schmierigen Unterwürfigkeit und legte ihm nahe, eine andere Richtung einzuschlagen. Dies war in jedem Fall ein Ort heimtückischer Versuchung. Kein Wunder, dass man leicht den Verstand verlieren konnte und Katastrophen eintreten konnten, wenn man sich an solch einem zwielichtigen Ort, an dem die Oberfläche des Scheins nur wenige Millimeter dick war, betrank und sich gehen ließ. Das würde mir nie wieder passieren. In gewisser Weise empfand ich das Treiben nach den Tagen in Bombay sogar entspannt, was wieder einmal zeigt, wie erheblich sich der Blickwinkel auf langen Reisen verändern kann.
Chris war zwischen Faszination und Befremden hin und hergerissen. Die extreme Ambivalenz dieses Ortes war dafür wie geschaffen. Einem Neuankömmling bietet dieser Ort einen einfachen Start: die Preise für Hotels und Essen sind deutlich ausgeschrieben und die Orientierung fällt nicht allzu schwer. Dagegen war Indien eine völlig fremde Welt.
Ich muss sogar zugeben, dass ich zu dieser Stadt mehr Verbindung aufgebaut habe als zu den anderen asiatischen Metropolen, denen ich einen Besuch abgestattet habe; das ist im Übrigen eine überschaubare Zahl; mich zieht es nicht unbedingt in Großstädte.In Bangkok fühlte ich mich zwar auch fremd, aber weit weniger verloren, als das stellenweise in Delhi, Bombay oder Kathmandu der Fall gewesen war.
Als ich den Bericht Tiziano Terzanis über die rasante Veränderung in Krung Thep, der Stadt der Engel las, verstand ich warum es mir in Bangkok so schwer fiel, mich wirklich wohl zu fühlen, wenn nicht gerade der Mythos des Orients meine Gedanken umnebelte. Durch den rasanten „Fortschritt“ hatte sich das Stadtbild innerhalb kürzester Zeit komplett verändert. Die alte Bausubstanz verschwand zum großen Teil und wurde durch eine Skyline ersetzt, mit der auch die Frischluftschneisen wegfielen, die das Klima in der tropischen Stadt erträglich hielten. Daraus assoziierte Terzani den Fall der Engel. Ich frage mich, was Terzani wohl sagen würde, wenn er das heutige Stadtbild sehen könnte und die Ausprägung des toxischen Verkehrs, der einem den Atem raubt. Von den Hochstraßen, der unglaublichen Kommerzialisierung und den Auswüchsen der Prostitution ganz zu schweigen. Die Kaosan Road mit den Pools auf den Dächern der Hotels, der Dauerbeschallung mit ohrenbetäubender Technomusik bis in die Morgenstunden und einer Eimer-„kultur“, die alles was ich zuvor gesehen hatte in den Schatten stellte, hätte bei ihm wohl Assoziationen mit der Hölle wachgerufen. Mir ging es so – obgleich ich wusste, dass sich dieser künstliche Ort auch bei vielen Thais steigender Beliebtheit erfreut.
Erst am dritten Tag unseres Aufenthalts gelang es uns angesichts der reizüberflutenden Umgebung etwas Anständiges zu tun. Wir besichtigten den Königspalast mit dem Emerald Buddha Temple. Die Anlage ist zweifellos beeindruckend – zeugt aber mit seinen vergoldeten Fassaden von einem Prunksucht, die uns schwer auf den Magen schlug.
Nach einem Curry überredete mich Chris zu einem Ausflug zum Muay Thai-Boxen im Lumbini-Stadium. Wir charterten ein Tuk-Tuk und fuhren durch die halbe Stadt – die letzten Kilometer präsentierten sich uns endlose und glitzernde Shoppingmeilen. Hier war der Tigersprungvollendet. Wir waren spät dran und mussten einen geradezu unverschämten Eintritt bezahlen. Keiner von uns hatte jemals einen Boxkampf beigewohnt und besonders einer der Kämpfe war wirklich packend und ausgeglichen. Die beiden Kämpfer sahen nicht mal übermäßig kräftig aus. Aber jeder ihrer Kicks mit ihren Füßen und ihren Knien hätte bei uns für unbestimmte Zeit das Licht ausgeblasen. Sie besaßen unglaubliche Nehmerqualitäten. Wir wagten kaum, uns das dazugehörige Training auszumalen.
Als wir das Boxstadium verließen, wollten uns die Tuk-Tuk-Fahrer nur für völlig überteuerte Preise zurück zum Hotel bringen. Darauf wollte ich mich keinesfalls einlassen. So nahm ich kurzerhand das günstige Angebot eines Scooterfahrers an, uns beide auf dem Rücksitz mitzunehmen. Chris hielt das für einen schlechten Scherz, was ihm angesichts des mickrigen Gefährts kaum zu verdenken war. Da musste er nun durch. Ich war der Reiseleiter. Es war eine durchaus lustige Fahrt, was wir durch das lautstarke Singen von eisgekühlter Bombulunder von den Toten Hosenunterstreichen wollten, was zu einiger Irritation unter den anderen Verkehrsteilnehmern führte. Doch die Menschen in Bangkok waren schlimmeres gewöhnt und zu unserer Ehrenrettung muss ich sagen, dass wir das auch zuhause getan hätten…Zurück in der Kasoan Road tranken wir noch ein paar Bierchen und beobachteten ein paar mutige jugendliche Thais, die Breakdance auf dem harten Asphalt zelebrierten.Doch schließlich ließ sich ein weiterer Aufenthalt auch unter soziologischen Gründen nicht mehr rechtfertigen und so beschlossen wir unser Karma endgültig zu versauen und nach Ko Samui zu reisen. Wie hatte ich nur Chris die Wahl lassen können? Vielleicht hätte ich als Reiseleiter eine gemäßigte Diktatur durchsetzen sollen….
Jedenfalls waren wir froh, das Treiben endlich hinter uns zu lassen und bestiegen einen Nachtbus gen Süden. Wie nicht anders zu erwarten war, bot diese Art des Transports wenig Erholung – um es vorsichtig auszudrücken. Um die weiteren Abgründe auszuloten, bietet sich immer der Kauf einer Package-Tour an – einer Rundum-sorglos-Versorgung. Der Nachteil? Bei solchen Dumpingpreisen konnte man nichts anderes erwarten als wie ein Stück Vieh behandelt zu werden. Zudem kam man in den Genuss von bunten Bändchen, dummem Rumstehen und noch dämlicheren Ansprachen über das Procedere – immer untermalt von einer grenzdebilen Kindergartenstimmung. Ein wenig kam ich mir vor wie auf einer Fahrt nach Mallorca, die ich nie angetreten hatte, weil ich zu klug war, um mich in der Schule verdummen zu lassen. Viele der Mitreisenden schienen mir überdrehte, pubertäre Beautyköniginnen und picklige Schweden zu sein, die ein Praktikum beim Abenteuer machten und sich als die schlitzohrigste Typen des ganzen Erdballs feierten. Doch das sollte mich nicht weiter stören; schließlich waren wir zu zweit und ich musste keine Kontakte knüpfen, die ich doch nur bereut hätte. Unterwegs gab der Bus seinen Geist auf. Das war insofern verwunderlich als es sich um ein relativ modernes Modell handelte und nicht mal die elendsten Möhren auf dem indischen Subkontinent jemals aufgegeben hatten. Wenigstens ließ sich die unbestimmt andauernde Pause zum Konsum eines Joints nutzen. Das Gras hatten wir auf etwas obskurem Weg in einer Harley-Bar erstanden.
In den Morgenstunden warteten weitere sinnlose Buswechsel und dummes Warten auf uns und wir wurden mit Splatterfilmen und hirnrissigen Agentenfilmen mit kalter-Krieg-Rhetorik gequält. Der ohrenbetäubende Lärm bildete einen extremen Kontrast zu der friedlichen Landschaft mit ihren Karstfelsen die aus nebligen Tropenlandschaften herausragten. Nicht unweit war auch der Film the beach gedreht worden – wie naheliegend die Wahl dieses Orts für den Roman gewesen war, wird sich dem geneigten Leser möglicherweise in diesem Artikel erschließen. Faszinierend, dass viele junge Leute den Film sehen, ohne zu begreifen, was er ihnen eigentlich sagen sollte.
Schließlich erreichten wir den Pier. Die Fähre war mit einer wahnsinnigen Anzahl von Touristen beladen, die sie auf drei Inseln im Golf von Thailand ausspucken würde. Ohne Interesse für die Belastungskapazität wurden unzählige Koffer auf den Kahn geworfen – als wollte man ihn vorsätzlich zum Absaufen bringen. Unser Untergang aufgrund des übermäßigen Gewichts, das wir bei uns trugen, wäre eine schöne Metapher gewesen – aber für den Fortgang der Geschichte unglücklich.
Ko SamuiNach der Ankunft ließen wir uns Zeit um den Massen einen fairen Vorsprung zu geben und fanden uns kurze Zeit später in einem Cafe am Pier wieder – wir wollten es langsam angehen lassen. Als die Anlegestelle wieder in dem Dämmerschlaf befand, in dem sie wohl meist lag, wenn sie nicht gerade von einer Horde glückssüchtiger Ritter heimgesucht wurde, machten wir uns auf, um einen der Pick-Ups zu erwischen, die mit zwei Bänken als Aufbauten als Massentaxis eingesetzt wurden. Wir hatten dem Fahrer den Strand genannt, auf den Chris und ich uns geeinigt hatten -doch das schien ihn wenig zu kümmern und so zwang ich ihn zum Halt, als wir unseren Zielort definitiv passiert hatten. Wir befanden uns bereits am nächsten Strand, der durch eine Landzunge von dem gewünschten getrennt wurde. Ich hielt es für eine ausgezeichnete Idee, mit den Rucksäcken die paar Kilometer zurückzulaufen. Chris nicht. Doch dann hätten wir eine Begegnung der besonderen Art verpasst. Als wir auf verschlungenen Wegen die Landzunge erreichten, mussten wir feststellen, dass wir offensichtlich auf einem Privatstrand eines tödlich schicken Resorts befanden, bei dem die Preise dreistellig waren (und ich meine nicht Baht…). Ich glaube, dass wir selten in unserem Leben so unerwünscht waren; In den Liegestühlen lümmelte die Schickeria vor ihren Lifestyle-Cocktails und genoss ihr sorgenloses Leben. Irgendwann muss man sich ja auch von Golf und Tennis erholen. FREAKS unserer Coleur ernteten von der Mischung aus Neureichen und Geldadel böse Blicke, dass wir gewagt hatten, in ihre heile Welt einzubrechen. Mit den schweren Rucksäcken auf dem Rücken, nicht ihrem Stand entsprechenden und allgemein indiskutablen Hippieklammotten und den dämlichen Hüten auf dem Kopf, stammten wir aus einer anderen Welt. Um nicht von heimtückischen Securitytypen zusammengedroschen zu werden, beschlossen wir auf ein provokatives Bad vor ihren Augen zu verzichten und setzten unseren Weg fort und warfen unseren unfreiwilligen Gastgebern verschwörerische Blicke zu. Die stummen Antworten waren eisig. Es gab lediglich einen Typen in der Strandbar, der uns freudig zuwinkte. Er war aufgrund der offensichtlichen Langweile an diesem Ort wohl dankbar für jede Abwechslung und ohnehin betrunken.
Schließlich erreichten wir unseren Strand und der Kontrast hätte kaum größer sein können; waren wir eben noch durch ein Reich der Dekadenz gestolpert, prägten nun verfallende Holzhütten das Bild. Nachdem wir das zweite postapokalyptische Hütten-Ensemble passiert hatten, schien es dort doch so etwas wie Leben zu geben. Ich hatte die Schnauze von der ewigen Hotelsuche voll und bat Chris den Job zu übernehmen. Wenig später kam er zurück und hatte eine Hütte klar gemacht. Es gab zwar keinen Strom – aber wer brauchte das schon. Dennoch war ich zunächst wenig begeistert. Das hatte weniger mit dem Ort selbst zu tun, als vielmehr mit dem deutschen Lokalkolorit, der uns entgegenschlug. Normalerweise meide ich solche Enklaven wie der Teufel das Weihwasser. Aber der einzige Weg, um auf dieser Insel Landsleuten zu entgehen, war, nicht hinzureisen. Noch heute frage ich mich, warum ich zugestimmt hatte, hierher zu kommen, aber aus Gonzo-journalistischen Gründen war das wohl notwendig gewesen. Die mündliche Überlieferung aus der Mythologie der Aussteiger stützte die These des Reiseführers, dass es sich hierbei um einen Flecken Land handelte, der sich etwas vom ursprünglichen Charme der Insel bewahrt hatte. Unsere Hütte war geräumig und die Betten gemütlich. Wir bekamen eine Gaslampe, um nicht völlig in Dunklen da zu stehen. Ein Sternenhimmel an einem Ort ohne Lichtverschmutzung ist keineswegs zu verachten. Und wer kann schon behaupten, dass in seiner Unterkunft Fledermäuse hausen? Das Morning Glory. Ausnahmsweise nenne ich mal einen Ort, an dem ich abgestiegen bin - denn es gibt ihn nicht mehr und der Name passt bestens zu der Geschichte. Denn neben der Bezeichnung für Wasserspinat und ein Musik-Album von Oasis handelt es sich um den Szenenamen einer rituellen Droge, die schon von den Maya und mexikanischen Indianer genutzt wurde. Wohingegen ich inständig bete, dass der Slangausdruck für die Morgenlatte nicht Vater des Gedankens war!
Das Morning Glory besaß eine gemütliche Terrasse direkt am Meer und dieser Strandabschnitt war komplett ausgestorben. Da wir die alleinigen Gäste waren, hatten wir nun ebenfalls einen Privatstrand. Nach dem turbulenten Bangkok war das für uns genau das Richtige. Fortan waren wir von einer paradiesischen Ruhe umgeben, in der das Rauschen des Meeres noch eines der lauteren Geräusche war. Einzig ungünstig war die Tatsache, dass es keine Küche gab. Offensichtlich lag der Ort in seinen letzten Zügen. Erst ein 15-minütiger Fußmarsch brachte einen zur Hauptstraße, an der sich einige Restaurants befanden. An dieser Stelle eine Warnung: esst nie tausendjährigen Eiersalat – er schmeckt auch so!
Die Insel war überentwickelt und die offensichtliche Ausprägung der Prostitution fanden wir abstoßend. An der Hauptstraße liefen wir an unzähligen Bars vorbei, die nur von Frauen bevölkert waren, die auf ein dürftiges Einkommen hofften. Wenn ich manche der Typen sah, die offensichtlich zur Stammkundschaft gehörten, wollte ich spontan kotzen. Ebenfalls verstörend waren die zahlreichen Fische in Aquarien, die mit einem speziellen Mega-Head-Granulat gefüttert wurden; meine Frage, warum man den armen Kreaturen (denn das Zeug wirkte vorzüglich und die Fische konnten aufgrund mangelnder Koordination infolge ihres überdimensionalen Kopfes oft nicht vor der Kehrtwende am Ende ihrer Bahn im Schwimmbecken stoppen und knallten mit einem für Fische beunruhigenden Lärm gegen den Glasscheibe) wurde mit einem vagen for the good luck beantwortet. Irgendwann werden die noch weiter mutieren und blutige Rache nehmen! Unseren Segen hatten sie jedenfalls.
Auch der Ausflug an den angeblich schönsten Strand der Insel, ließ uns ein wenig verstört zurück. Hier waren die Leiber dicht auf dicht gedrängt und selbst die Palmen machten es schwer, zu realisieren, dass dies eine Insel war, die in Thailand lag und vor dem massenhaften Zuzug von Auswanderern und den einsetzenden Touristenströmen ein kleines Paradies gewesen sein muss. Inzwischen hatte sie ihren eigenen Flughafen. Es erschien uns alles so austauschbar. Wir hätten genauso gut in Antalya oder an der Costa Brava sein können – wenn ich das Klientel, die verfügbaren Waren, die Musik und den Lifestyle betrachtete. Schlagen sie zu - die Kultur ist im Winterschlussverkauf! Wir liefen den gesamten Strandabschnitt ab, ohne irgendwo einzukehren. Schließlich verirrten wir und in einem Touristenghetto, das so weitläufig war, das wir kaum mehr herausfanden. Aufgrund der Dekadenz der Ressorts, die wir durchstreiften, wurden wir von einem Schub spontaner Hoffnungslosigkeit für die Zukunft unserer Spezies heimgesucht. So war es eine Wohltat an den Strandabschnitt zurückzukehren, an dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Sollten doch die angesagten Typen an den angesagten Orten die Liegeplätze unter sich ausmachen!
Full Moon mit Vollhorst
Wir hatten schon fast beschlossen, die berühmt-berüchtigte Full-Moon-Party auf der Nachbarinsel Ko Pha Ngan sausen zu lassen, als wir einen Nachbar bekamen – Dirk. Er plante unbedingt dorthin zu fahren und wir beschlossen, uns mit ihm zusammen zu tun. Wir buchten ein Kombiticket, so dass wir am Morgen nach der Party wieder nach Ko Samui zurückkehren würden.
Mit einer beachtlichen Menge Partygängern fuhren wir zum Sonnenuntergang auf einem Schnellboot nach Ko Pha Ngan. Das Gleiten über dem Wasser und die Reflexion der untergehenden Sonne auf den Wellen des Meers war eine schöne Einstimmung und als die einladende Silhouette der bewaldeten Nachbarinsel auftauchte, waren wir ein wenig euphorisch. Das legte sich nach der Ankunft am Pier schnell wieder. Wir waren keine Idioten und wussten, dass die Party zu einem großen Event geworden war, doch die Ausprägung und die Stromlinienförmigkeit des Eventswaren durchaus verstörend. Um an den Hat-Rin-Strand zu gelangen, mussten wir die engen Gassen des mäßig einladenden Ortes passieren, in dem es so ziemlich jedes erdenkliche Souvenir zu erstehen war. Kleidung, Accessoires, Leuchtfarben und Tattoos warteten auf ihren neuen Besitzer. Viele Gäste waren in einem Kaufrausch, was die Massen an Konsumgütern durchaus rechtfertigte und sahen dank Leucht-Tattoos und Körperfarben aus, als seien sie direkt vom Mars eingeflogen. Dazu waren riesige Büffets mit allen erdenklichen Speisen aufgefahren. Alleine um die Fischvariationen bis hin zum Babyhai aufzutischen, hatte man wohl das ganze Meer um die Insel leergefischt. Glücklicherweise hatten wir uns auf dem Hinweg mit ephedrinhaltigem Whiskey-Cola und Energydrinks gestärkt - sonst wären wir noch mehr abgeturnt gewesen.
Bis zum nächsten Morgen würden uns 12 Stunden bleiben, um das Treiben anzusehen und Teil davon zu werden. Auch hier hatte die „Eimer-Kultur“ eingezogen. Whiskey, Wodka und Gin bis zum Abwinken. Als wüsste ich nicht, warum ich nie nach Mallorca wollte, jetzt holte mich diese ekelhafte Sitte in Thailand ein…
Wir erkundeten das Gelände und waren ein wenig überrascht, wie überschaubar der Strand war, an dem die eigentliche Party stieg. Noch war nicht viel los, was gut war, um uns ein Bild der ganzen Location zu machen. Da wir keinen Platz fanden, an dem wir uns häuslich niederlassen wollten, zogen wir streunend durch die Gegend.
Zwischen 22:00 und Mitternacht füllte sich das Gelände und um 2 Uhr war es extrem überlaufen - an einem Ende des Strandes konnte man sich kaum noch bewegen. Hierher zog es uns ohnehin nicht – die Party schien oberflächlich betrachtet eine gewisse Zweiteilung aufzuweisen: der eine Teil wurde von Hippies und Goafreaks bevölkert, der andere von aggressiven, durchgeknallten Typen, von denen sich eine ganze Reihe den falschen Drogenmix gegönnt hatte. Wir waren schließlich nicht bei einer Satanisten-Sekte. Angesichts der Unübersichtlichkeit brauchte es einfache Weltbilder…
Ich hatte den Eindruck, dass die Party zu viele junge Leute anzog, zu deren Pflichten es einfach gehörte auf ihrer travel on a shoestring auch hier vorbeizukommen – eine Frage der Ehre. Ob es wirklich der Knüller ist, beim Seilhüpfen ein brennendes Seil zu verwenden, sei mal dahingestellt. Sich trotz heftiger Verbrennungen immer wieder hinein zu begeben, erschien mir pathologisch. Weit und breit war kein Fight club zu sehen. Also konnte es sich nur um Retardierungen in Kombination mit abgestorbenen Sinneszellen handeln. Destruktives Gesindel!Da es an einzelnen Stellen auch Magic-Mushroom-Shakes im Angebot gab, war es nur eine Frage der Zeit bis wir schwach wurden. Die Effekte sollten nicht unbemerkt bleiben. Wie gewöhnlich nach der Einnahme von psychedelischen Drogen, brauchte ich ein wenig, um auf den richtigen Pfad zu finden. So suchte ich mir den (nur im Verhältnis) ruhigsten Ort am Strand und beobachtete erst mal die Szenerie: An mir schritten wild bemalte Menschen vorbei. Sie trugen überdimensionierte Brillen und merkwürdige Kopfbedeckungen. Manche hatten sich in Tiger verwandelt, andere waren wohl auf dem Weg zu einem Gottesdienst der Gothic-Jünger; es gab Hippies, die direkt aus den 60`ern eingeflogen waren und manche waren so unkontrolliert in den Farbtopf gefallen, dass jegliche Spekulationen über ihre Herkunft sinnfrei bleiben musste. Die Pilze verstärkten diese Eindrücke. Fasziniert beobachteten wir den Felsen, der am Ende des Strandes wie ein Raumschiff illuminiert war. Auf ihm thronten unwirklich erscheinende Bars, die Chis als eine Plattform im Videospiel Donkey-Kong-Island wiedererkannte. Auch die Affen fehlten nicht.
Einen wunderschönen Guten Abend aus dem Mutantenstadl!
Der Trip kam ihn Wellen. Chris verwandelte sich in einen grinsenden Gummiball. Seine Kinn- und Mundpartie verzog sich zu einer Herzform; genau diese Energie strahlte auch aus seinem Innern durch seine Augen. Gepaart mit Wahnsinn. Ein wildfremder Typ kam dahergelaufen und freundete sich in Sekundenbruchteilen mit Chris an. Höhepunkt dieser Hochgeschwindigkeitsfreundschaft war die rituelle Übergabe eines gelb leuchtenden Neonhalsbandes, das Chris feierlich annahm.Offensichtlich erfüllte ihn diese Geste mit Euphorie und irrer Freude. Da hatten sich zwei gefunden, um sich kurz darauf wieder auf ewig zu entfremden. Dirk und ich lachten Tränen angesichts der bizarren und auf eine seltsame Weise rührende Szene. Was sich darin spiegelte müsste in einem eigenen Roman erörtert werden, der leider nie geschrieben würde. Dies war das FREAK-Königreich.
Ich kam mit einem Kroaten ins Gespräch. Als ich ihn das erste Mal an diesem Abend gesehen hatte, war er von grenzenloser Euphorie und kannte nur eine Richtung: direkt geradeaus. Er war so vollgestopft mit Drogen, das es fast physisch weh tat, ihn anzusehen. Er wollte unablässig auf die deutsch-kroatische Freundschaft trinken und erzählte Wirres Zeug von seinen Drogenexzessen mit einem bekannten deutschen DJ und seiner Crew. Er hatte einen Bungalow direkt am Strand gemietet und war von einer Anzahl von Schönheiten umgeben. Inzwischen war es mit ihm rasant bergab gegangen und er schwitzte wie ein Schwein. Er faselte irgendetwas von seiner Freundin, die ihm seinen Geldbeutel geklaut hatte und tatsächlich rannte da eine bescheuert grinsende Dame mit dem begehrten Stück in den freien Raum. Probleme musste man haben!
der Autor möchts sich an dieser Stelle noch einmal prophylaktisch von jeglichen von ihm geäußerten Aussagen distazieren
Ich beschränkte mich auf kurze Ausflüge, um die Bars auf dem Felsen zu erkunden und hatte mehr und mehr genug von dem ganzen Treiben. Ich flüchtete mich in philosophische Gedankenspiele. Was waren unsere Motive, die wir hier gelandet waren als wären wir ein Volk von Aliens. Eigentlich ging es noch immer um das Gleiche: Love, Peace und Happiness - so abgedroschen das auch klingen mag.Die eineParty gab es nicht mehr. Der Individualismus hatte sich längst in einen Fluch verwandelt; die Individualisten fanden einfach nicht mehr zueinander. An verschiedenen Strandabschnitten herrschten andere Subkulturen. Der amerikanische Traum war zur Konkurrenz aller gegen aller verkommen und die Wahrhaftigen mit Toleranz sind zu einer aussterbenden Spezies geworden. Das Mantra: „One world – one love“ machte keinen zum besseren Menschen. Es war hohl geworden.
Die Mythendie sich um dieses Event ranken, sind zu banal um niedergeschrieben zu werden; war die erste Party wirklich eine spontane Geburtstagsfeier gewesen – oder nicht doch eine ausgeklügelte Marketingidee von den Typen, die uns in den ganzen Schlamassel eingebrockt hatten?
Viele Goaner waren jedenfalls froh, nicht mehr ganze Nächte lang der abartigen Musik und den nackten Freaks ohne nennenswerte Devisen ausgeliefert zu sein. Sie hatten die Full Moon Partys im Jahr 2000 verbannt und in Thailand hatte man sich begeistert die Hände gerieben. Wenn die Party auf Ko Pha Ngan jemals ein Geheimtipp gewesen sein sollte, hatte sie sich in einen Alptraum verwandelt; würde sie nicht einen Batzen Geld abwerfen, würde man uns ekelhaften Typen wohl alle im Meer ersäufen. Heute dürfen sich die Wertkonservativen auf der Insel über Full, Half, Blackund Shiva Moon freuen; und wenn sie immer noch nicht genug haben, können sie bei jungle experience parties dabei zusehen, wie die letzten Vögel von den Bäumen geblasen werden.
Und wir?
Die einen tanzten sich in Ektase ihre Seele aus dem Leib; die anderen fielen wie die Fliegen zu Boden. Dazwischen hielten sich viele aufrecht. War dies ein Spiegel unserer Zeit? Ich fürchte; die Hinterlassenschaften sprachen eine deutliche Sprache; obwohl unermüdliche Helfer den Strand rund um die Uhr von Müll befreiten, sah es aus, als hätte die Müllabfuhr den Dreck einer Kleinstadt auf den Strand gekippt. Dazwischen lag eine beachtliche Anzahl von Drogenleichen. Das Meer hatte sich in eine Kloake verwandelt. War dies unser Erbe?
An dieser Stelle möchte ich den König der Freaks zitieren:
“Strange memories on this nervous night in Las Vegas. Five years later? Six? It seems like a lifetime, or at least a Main Era—the kind of peak that never comes again. San Francisco in the middle sixties was a very special time and place to be a part of. Maybe it meant something. Maybe not, in the long run . . . but no explanation, no mix of words or music or memories can touch that sense of knowing that you were there and alive in that corner of time and the world. Whatever it meant. . . .
History is hard to know, because of all the hired bullshit, but even without being sure of “history” it seems entirely reasonable to think that every now and then the energy of a whole generation comes to a head in a long fine flash, for reasons that nobody really understands at the time—and which never explain, in retrospect, what actually happened.
(…) but being absolutely certain that no matter which way I went I would come to a place where people were just as high and wild as I was: No doubt at all about that. . .
There was madness in any direction, at any hour. If not across the Bay, then up the Golden Gate or down 101 to Los Altos or La Honda. . . . You could strike sparks anywhere. There was a fantastic universal sense that whatever we were doing was right, that we were winning. . . .
And that, I think, was the handle—that sense of inevitable victory over the forces of Old and Evil. Not in any mean or military sense; we didn’t need that. Our energy would simply prevail. There was no point in fighting—on our side or theirs. We had all the momentum; we were riding the crest of a high and beautiful wave. . . .
So now, less than five years later, you can go up on a steep hill in Las Vegas and look West, and with the right kind of eyes you can almost see the high-water mark—that place where the wave finally broke and rolled back.”
Hunter S. Thompson
Die Neunmalklugen unter uns wussten genau, dass wir diese einmalige Zeit nicht miterlebt hatten; und wir teilten mit denen, die seit damals durch die Welt irrten, um den Traum doch noch irgendwo aufzuspüren, das Wissen was diese zurückrollende Welle angerichtet hatte.
Wann würden wir endlich unsere eigenen Funken erzeugen und unsere Welle lostreten, die eine neue Vision erzeugen könnte nach der die Welt so lechzte? Es war höchste Eisenbahn, um den Ökonomen, den Lobbyisten, den PR-Heinis und den Großkonzernen mächtig in den Arsch zu treten! Niemand würde das für uns übernehmen!
don`t blame him - this guide has his own troubles...
An diesem Ort konnte ich nichts Neues finden; Sicher, ich hatte meinen Spaß; es gab Momente, in denen ich strahlend über das ganze Gesicht über den Strand schwebte und ganz im Frieden mit mir war. Nichts konnte mich daraus reißen. Aber Spaß war eben nur eine Seite der Medaille und wenn das Zusammentreffen unserer Generation keine bleibenden Fundamente gießen konnte – was war es wert?Die Erlebnisse dieser Vollmondnacht machten mich eher nachdenklich: neben den strahlenden Gesichtern, die ganze Romane von Liebe, Erfüllung und tiefem Glück erzählten, las ich in vielen Gesichtern einen desillusionierten, enttäuschten und manchmal verzweifelten Ausdruck. Unerfüllte Wünsche nach Liebe, Verbundenheit und Zärtlichkeit. Von den temporär oder dauerhaft Zerstörten ganz zu schweigen.
Ich war inzwischen ein wenig erschöpft und genervt, dass ich Chris und Dirk nicht finden konnte. Ich war kurz davor, die Insel alleine zu verlassen als sie doch noch auftauchten. Chris war reichlich daneben und faselte ein wenig paranoid davon, dass ich die bösen Menschen am anderen Ende des Strandes meiden sollte. Mit den Bestien war nicht zu spaßen. Das wusste ich schon…
Kurze Zeit später war das vergessen und er tanzte wie der Teufel zu einer Schranzmusik, die meine Eingeweide zittern ließ. Weder Dirk noch ich konnten die Musik ertragen. So ließen wir Chris tanzen und ich zeigte Dirk die Bars auf dem Felsen, von denen aus man bei chilliger Musik einen atemberaubenden Blick über den erleuchteten Strand hatte. Das war das Ende.Wir packten Chris ein. Der wollte gar nicht weg; doch es wäre unverantwortlich gewesen, ihn dazulassen; vielleicht wäre er für immer verschollen geblieben. Auf eine solche Legendenbildung konnten seine Freunde verzichten. Außerdem fällt das dann doch nur auf den Reiseleiter zurück.
Am hoffnungslos überfüllten Pier mussten wir eine Stunde unter Oberklasse-Freaks verbringen, während die Morgensonne begann uns zu blenden und unser verfaultes Fleisch auf Temperatur zu bringen. Viele von denen, die ein Nervenkleiden entwickelt hatten oder körperlich derangierter waren als ein Verlier im Kampf gegen den Riesen Walujew ließen sich von windigen Mafiosi gegen einen tüchtigen Aufschlag auf pompöse Schnellboote ziehen und entschwanden mit einem höhnischen Grinsen – hoffentlich würden ihnen die Knochen gebrochen! Zur Mittagszeit lagen wir in unseren Kojen im Morning Glory.
Abgesang
Die letzte Party auf Ko Samui fand ohne mich statt. Chris erzählte von seinem Kneipenbesuch und schilderte mir den Auftritt deutscher Rockbands, das Erscheinen von Rockern in Gardeuniform und die Auswüchse der allgegenwärtigen Prostitution auf eine Weise, das ich womöglich etwas verpasst hatte - aus rein gonzopolitischen Gesichtspunkten – doch ich hatte mein Gesicht gewahrt und in jeden Abgrund zu blicken war wohl kaum anzuraten. Mir reichen meine eigenen!
Natürlich ist es töricht von Bangkok, Ko Samui, der Full Moon Party oder noch schlimmer – dem Höllenschlund von Pattaya, den ich für kein Geld der Geld betreten werde – auf ganz Thailand zu schließen – und das werden andere Bildergeschichten noch unterstreichen. Der Kompagnon von Dirk hatte dazu eine dezidiert andere Meinung und unsere verschiedenen Ansichten führten fast zu einem interstellaren Krieg. Niemals werde ich den Bericht von Dirk vergessen: sein thailanderprobter Freund hatte ihn in ein Hotel in Bangkoks berüchtigten Stadtteil Nana geschleppt, in dem seiner Aussage nach außer den beiden ausschließlich Prostituierte wohnten; sein Compadre hatte ihm immerfort sein Mantra erklärt: „this is thailand“; Dirks Versuche auf die anderen Seiten der Stadt hinzuweisen, wurden schlicht ignoriert und die Erfahrung war entsprechend eindimensional. Er war wohl nicht ganz unglücklich uns kennen gelernt zu haben.
Schließlich verließen wir Ko Samui ohne Wiedersehen und durften auf Ko Pha Ngan eine ganz besondere Erfahrung im Dschungel des Inselinnern machen.
Wir waren froh wegzukommen und die widerlichen und gescheiterten Typen, die sich gerade erwachsende Thai-Frauen für den ganzen Urlaub buchten und sich wie Monarchen aufführten, hinter uns zu lassen. Und mit ihnen die glückssüchtigen Nachwuchsritter, die ihre Schlachten auch ohne uns grandios schlagen würden.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass ich Die Geschichte des Morning Glory nicht kenne und auch keine erhärtbaren Informationen dazu finden konnte. Jegliche Äußerung was es mit diesem Ort auf sich hatte wäre gutmeinende oder böswillige Spekulation. Er war durch seine Auflösungserscheinungen lediglich Kulisse. Wir hatten auch nicht tiefer hinter die Kulissen der Insel blicken können – und das wollten wir auch nicht unbedingt. Auch Gonzojournalismus hat seine Grenzen.
Was andere für Schlüsse aus ihren Erfahrungen auf solchen Full Moon Partys gezogen haben? Hier gibt es das ganze Spektrum – von Erfahrungen, die Einzelnen lebenslang ein Grinsen aufs Gesicht zaubern bis zu schweren Schädigungen, die ebenso memoriert werden – es ist alles dabei. Eines stand hingegen fest: Bangkok hatte Seiten an mir hervorgebracht, auf die ich nicht stolz war. Und an wenigen Orten war ich so zwischen Faszination und Abscheu hin und hergeschwankt wie an den Schauplätzen dieser Geschichte. Es war kinderleicht in einen hedonistischen Wahn epischen Ausmaßes zu verfallen. Alles ist so passiert, wie ich es berichtet habe, aber man hätte sicher auch ganz andere Geschichten daraus destillieren können.Mich hat jedenfalls der Beat gepackt; mal sehen was sich daraus noch entwickelt...
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