Reisereportagen: Everest-Trek I: Jiri-Shurke


Reisereportagen: Everest-Trek I: Jiri-Shurke

Mani-Mauern, in die buddhistische Mantras gekerbt wurden - in der Mitte eine Stupa


Kathmandu – Jiri
Obwohl ich es auf den Tod nicht ausstehen kann, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, war es eine ungewöhnlich angenehme Erfahrung die Straßen Kathmandus in solch einem ungewohnten Frieden zu erleben. Vor den kleinen Tempeln, die als Relikt vergangener Zeiten die Plätze schmücken, saßen Gläubige und verrichteten ihr Morgengebet. Ausgehend von den brennenden Räucherstäbchen breitete sich ein intensiver Sandelholzduft in den Gassen aus. Angesichts solcher Szenen kann man nur allzu leicht vergessen, wie stark die Entwicklung die Stadt inzwischen verändert hat.
Als ich den Busbahnhof erreichte, war es mit dem Frieden vorbei. In den frühen Morgenstunden herrschte hier bereits Hochbetrieb. Eine Vielzahl von Bussen machte sich für die baldige Abfahrt bereit. Da ich weder der schriftlichen noch mündlichen Variante des Nepali mächtig bin, hatte ich nicht den geringsten Schimmer welcher Bus mich wohl nach Jiri bringen sollte. Erst mithilfe freundlicher Helfer und nachdem ich einige Zeit im falschen Bus verbrachte, saß ich in dem altersschwachen Ungetüm, das mir und den anderen Fahrgästen zugedacht war. Bei der Bezeichnung Süper Express Bus die stolz auf meinem Ticket prangte, konnte es sich bestenfalls um einen schlechten Scherz handeln.
Die Busfahrt durch die engen Serpentinen, die sich an abgrundtiefen Schluchten entlanghangelten, war nichts für schwache Nerven. Doch ich hatte den Reiz solcher Fahrten schon lange erkannt und die Tatsache, dass ich nach langer Pause wieder einmal der einzige ausländische Fahrgast in einem fremden Land war, erhöhte den Reiz. Endlich entkam ich der Stadt. Es roch nach Abenteuer.
Jiri liegt am Rande des Hochgebirges auf knapp 2000 Meter Höhe und wenn man die Landschaft mit ihren Nadelwäldern und den sanften Hügel betrachtet, deutet nichts darauf hin, dass sich der Mount Everest in relativer Nähe befindet. Er liegt in einer Entfernung von etwa 75 Kilometer Luftlinie. Angesichts der unzähligen Höhenmeter, die es zu überwinden gibt, ist dies allerdings wenig aussagekräftig. Das würde ich in den nächsten Wochen noch eindrucksvoll am eigenen Körper erleben können. 
Reisereportagen: Everest-Trek I: Jiri-Shurke
Jiri war Startpunkt der Bergsteiger-Touren zum Everest, bevor 1964 auf halber Wegstrecke zum Mount Everest in Lukla ein Flugfeld gebaut wurde. Seitdem erspart der heutige Flughafen dem Wanderer einen anstrengenden Fußmarsch bis hierher – gleichzeitig wäre der heutige Massentourismus in der Khumbu-Region ohne die tückische Landebahn kaum denkbar. Noch heute endet die asphaltierte Straße von Kathmandu im Weiler Bengkar, der nächsten Ortschaft hinter Jiri.
Nur noch wenige Touristen wählen die klassische Route. Doch ein großer Teil der Waren gelangt weiterhin auf dem Rücken der Sherpas auf steinigen Wegen Richtung Everest. Mich reizte besonders, wenig begangene Wege zu gehen und wollte mir die vielfältige Landschaft mit den subtropischen Tälern auf dem Weg ins Hochgebirge nicht entgehen lassen. So würde ich mir die Berge Stück für Stück erobern müssen. Das war eine meiner besten Entscheidungen auf meinen Reisen.
In Jiri verbrachte ich nach 12-stündiger Busfahrt eine erste Übernachtung. Die kleinen Gasthäuser am Rande der Route besitzen fast identische Speisekarten und die Preise variierten kaum. Das änderte sich erst auf der Hauptroute von Lukla zum Basecamp des Mount Everest – hier steigen die Preise buchstäblich mit jedem Kilometer. Ich stieg die Treppen zu einemKloster hinauf - von dort aus hatte man einen schönen Blick über die Umgebung. Ich kam mit einem Nepali und seinem Sohn ins Gespräch, die gemeinsam auf einer Wanderung waren. Der Vater wollte dem Sohn seine ursprüngliche Heimat zeigen. Wir sprachen über unsere jeweiligen Reisen, das unterschiedliche Zeitempfinden zwischen Ost und West und den rasanten Wandel in den ländlichen Gebieten, der viele Menschen in die Städte zieht und oftmals eine Entfremdung von den Traditionen bedeutet.
Jiri - ShivalayaReisereportagen: Everest-Trek I: Jiri-Shurke

Voller Vorfreude und großer Spannung  machte ich mich auf das erste Teilstück meiner Wanderung. Sechs Stunden lief ich durch die duftenden Tannenwälder, an kleinen Weilern vorbei und machte mich mit den ersten kleineren Anstiegen vertraut. Ich ahnte nicht, dass dies die kürzeste Wegstrecke für sehr lange Zeit werden würde und das war gut so. An das Gewicht meines Rucksacks musste ich mich noch gewöhnen. Aufgrund eines erheblichen Umwegs, erreichte ich mein angepeiltes Tagesziel nicht und machte in Shivalaya Station. Doch oftmals auf meinen Reisen hatte ich das Gefühl, dass mich gerade die Umwege auf die richtigen Wege führten. Das erkannte ich aber manchmal erst in der Retrospektive. Die Einsicht den langen Weg zusätzlich zu verlängern, lässt im Moment der Erkenntnis selten innere Jubelstürme zu.

Unterwegs hängte sich ein kleiner Junge an meine Fersen. Er hatte offenbar schon einige Erfahrungen mit den merkwürdigen Menschen gemacht, die mit Rucksäcken und schweren Kameras behängt und mit Funktionskleidung und Teleskopstangen ausgerüstet, durch die Berge laufen. Das erscheint den meisten Nepali völlig unbegreiflich. Warum tat man sich das ohne guten Grund an? In der Regel tritt diese Spezies in Begleitung eines Führers und/oder Trägers auf. Er fragte ab, welches Präsent ich wohl für ihn bei mir trug. Nach einigen halbwegs realistischen Ideen, versteifte er sich darauf, dass ich ihm mein Handy schenken könnte. Wie konnte er auch wissen, dass ich einen solchen Kasten schon lange nicht mehr besaß und das Klitsche vom armen Nepali und dem reichen Westler zwar in der Relation stimmt, aber eben nicht jeder der es sich leisten kann, hierher zu reisen, über unbegrenzte Möglichkeiten verfügt. Der Fernseher zeichnet schließlich ein anderes Bild. Doch leider trug ich nichts Entbehrenswertes bei mir.
Nach der Ankunft in Shivalaya, saß ich in einem Gasthaus an einem kleinen Fluss, trank Tee und informierte mich über die Etappe des nächsten Tages. Am Abend traf ich die einzigen Trecker, die mir in Gegenrichtung von Lukla begegnet sind, und bereits das gesehen hatten, weswegen ich mich auf den Weg gemacht hatte. Auf dem Hinweg waren die beiden direkt nach Lukla geflogen und ließen sich nun Zeit, ihre Wanderung gemächlich ausklingen zu lassen.
Mit leuchtenden Augen erzählten sie mir von ihren Erfahrungen. Trotz der faszinierenden Bilder, die sie gesehen haben mussten, waren sie nach der Kargheit der Berge von dem Abwechslungsreichtum der Landschaft in den Tälern begeistert. Neben den Nadelhölzern waren es vor allem die Rhododendrenwälder, die mit ihren leuchtenden Tönen in Gelb, Rot oder Violett Farbe in die Landschaft brachten. An manchen Stellen wuchsen sogar Bananenstauden und die Äcker, die oft in Terrassen angelegt sind, bringen eine Vielfalt an Gewächsen hervor. 

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Blick auf Shivalaya


Am nächsten Morgen machte ich mich gemeinsam mit einer Australierin und ihrem Führer auf den Weg, die im selben Gasthaus abgestiegen waren. Ich freute mich über ihre sympathische Gesellschaft. Ihr Führer war weitaus weniger begeistert: nach einigen Kilometern forderte er von mir, dass ich ihn bezahlen müsse, falls ich weiter gemeinsam mit ihnen laufen wollte. Dabei verdiente er 20 Dollar am Tag. Er sprach auch ein gutes Englisch und hatte einiges über die Kultur der Umgebung zu erzählen. Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen. Ich hatte wahrlich nicht vorgehabt, mich dauerhaft an ihre Fersen zu hängen und war ohnehin voran gegangen.
Auch ihr war seine rüde Forderung peinlich und sie hätte wohl gerne ein Stück des Weges mit mir geteilt. Ich verabschiedete mich freundlich von ihr und schlug ein höheres Tempo an. Die beiden mussten es noch zwei Wochen miteinander aushalten.
So war also doch der Einzelkämpfer gefragt. Das hatte ich mir schließlich auch so ausgesucht; dennoch hoffte ich dass ich nicht dauerhaft alleine bleiben würde. Ich war in letzter Zeit schon reichlich mit mir selbst und meinen Gedanken konfrontiert gewesen. In dieser Stille und Abgeschiedenheit, in der ich mich wanderte, wurden die Gefühle und Gedanken intensiver und die Empfindsamkeit war auf manchen Teilstrecken überwältigend. Ich habe mich selten so verletzlich gefühlt. Besonders schön hingegen waren die Momente, wenn im Moment grenzenloser Erschöpfung der ewige Gedankenstrom versiegte und alle Konzentration dem gegenwärtigen Moment galt. Schon bei vorherigen Erfahrungen in den Bergen ist mir deutlich geworden, dass das meine Form der Meditation ist, in der ich eine Form von Achtsamkeit erreiche, die ich als befreiend erlebe.
Shivalaya - Kinja
Der erste kernige Anstieg hatte es in sich. Über 1000m Höhendifferenz waren zu überwinden. Der Rucksack mit seinen 15kg an Gewicht schien mich in den ersten Tagen bergaufwärts auf den Boden zu drücken. Das nannte man wohl Erdung. Als ich nach drei Stunden den ersten richtigen Pass erreichte, war ich völlig erschöpft. Doch anstatt hier erneut einzukehren, zwang ich mich meinen Weg fortzusetzen. Es trieb mich weiter. 
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 Nachdem ich erneut falsch abgebogen war, schleppte ich meine müden Knochen auf einem Sherpa-Höhenweg an einem steilen und steinigen Grat entlang und fühlte mich den Trägern ein wenig näher. Die hätten freilich über das Gewicht, das ich trug, herzlich gelacht. Erst nach Anbruch der Dunkelheit tauchte einer Fata Morgana gleich die Häuser von Kinja auf. 
Kinja – Kath Bisauna
Am nächsten Tag wartete ein weiterer Aufstieg auf mich, der den vorangegangenen deutlich in den Schatten stellt. Diesmal waren 1500 Höhenmeter zu überwinden und ich spürte die ungewohnte Anstrengung in meinen Beinen, die bereits im Laufe der ersten Kilometer immer schwerer wurden und mir einen langsamen Rhythmus aufzwangen. Ich lief mit zusammengebissenen Zähnen den ganzen Tag nur bergan und konzentrierte mich irgendwann nur noch darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Von einer intrinsischen Motivation konnte kaum eine Rede sein. Mein Akku schien bereits leer zu sein; dennoch hielt ich die Monotonie bis kurz vor den Gipfelpunkt durch. Im letzten Weiler kurz vor dem Dorf Goyam, der aus gerade zwei Häusern bestand – beschloss ich, dass ich mich keinen Millimeter mehr bewegen würde. Zunächst erschienen mir die Behausungen völlig verwaist. Schließlich traf ich eine Frau im Garten hinter einem der Häuser an. Ihr Englisch war eigentlich nicht existent. Doch schließlich kann man auch mit Händen und Füssen kommunizieren und Sympathie entsteht auch durch den Austausch eines Lächelns. Ihr Mann schien unterwegs zu sein – eine wiederkehrende Erfahrung auf diesem Teilstück. Wahrscheinlich hatte er eine Arbeit als Träger oder Führer gefunden. Nachdem mir die Frau in einen einfachen Bretterverschlag ein einfaches Zimmer zugewiesen hatte, setzte ich mich in den Garten und genoss den Anblick der untergehenden Sonne und ließ meine Gedanken über das weit ausladende Tal schweifen. In meiner Hand qualmte ein Joint und dazu trank ich einen köstlichen Tee, der aus frischer Pfefferminze aus dem Garten zubereitet worden war. Für den Moment wusste ich wieder was ich hier tat.
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Nach Einbruch der Dunkelheit, pfiff ein eisiger Wind und es wurde empfindlich kalt. So gesellte ich mich in die Wohnstube der Familie und wärmte mich am offenen Feuer, über dem mir die Frau eine Suppe und ein einfaches Nudelgericht zubereitete. Die Schärfe des Essens und der aus Milch zubereitete Schwarztee, den ich dazu trank, taten gut. Die Gastfreundschaft war völlig unverfälscht und auch sie musste spüren, wie sehr ich das zu schätzen wusste. Mit einfachen Gesten war ein rudimentärer Austausch zwischen uns möglich und die Kinder waren voller Neugier ob des Fremden, der aus einer anderen Welt entstammen musste. Ein wenig waren sie befremdet, doch es gelang mir, sie zum Lachen zu bringen. Ich wusste nicht, ob ich in dieser relativen Abgeschiedenheit würde leben können und konnte mir nur im Ansatz vorstellen, wie schwer das Leben hier oben gerade im Winter sein musste. Doch in gewisser Weise beneidete ich die Familie um die Essenz ihres Lebensstils und wusste doch nur zu genau, dass es umgekehrt kaum anders sein musste. In jedem Fall für die Kinder, die bald erfahren würden, was sich außerhalb ihrer sichtbaren Welt abspielte.

Am nächsten Morgen konnte ich von einer Bank vor dem Haus erstmals den Mount Everest kurz aus den Wolken auftauchen sehen und ich blickte gebannt auf den Horizont. Wie weit er noch entfernt lag! 
Kath Bisauna - Sunbesi
Am nächsten Tag erklomm ich den letzten Teil der Steigung und traf dabei auf einen jungen Franzosen, der mit einem gleichaltrigen Nepali unterwegs war. Das Duo schien auf ihrer Wanderung eine Menge Spaß zu haben und ich schloss mich ihnen auf dem Weg Passhöhe an. Doch nach einiger Zeit machten sich heftige Schmerzen im linken Knie bemerkbar, so dass ich den Kontakt abreißen lassen musste. Auf dem Pass traf ich sie in einem Gasthaus wieder. Der Kontrast von den Tälern zu den vegetationslosen Pässen war extrem und bot einen kleinen Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte. Ich beschloss, das Essen aufzuschieben und suchte mir ein ruhiges Plätzchen in der Nähe, um eine kurze Pause einzulegen und genoss die Aussicht. Es war abzusehen, dass ich nicht mehr so schnell vorankommen würde. 
Doch es sollte schlimmer werden, als ich befürchtet hatte. Während dem Abstieg, der 800 Meter Höhendifferenz bedeuten würde, wurden die Schmerzen höllisch. Diese Probleme sind mir nicht neu und resultieren von einem Überbein unterhalb des Knies. Allerdings hatte ich mein Knie noch nie dermaßen belastet. Es fühlte sich an, als würde mir jemand mit einem Messer ins Knie stechen. Gerade der Abstieg war Gift. Ich fand einen Stock am Wegesrand und konnte mich nur noch wie ein Tattergreis in Zeitlupe den Berg hinabquälen. Kurze Zeit später überholten mich die anderen Wanderer – doch mehr als ihr Mitleid auszusprechen, konnten sie auch nicht. Das schien das Ende zu sein.
Beim Blick auf die blühenden Rhododendren und den Bergwald durch den ich mich bewegte, wurde ich wehmütig ob der Schönheit der Umgebung und der Verzweiflung, die ich verspürte. 
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Immer wieder setzte ich mich an den Wegesrand und fragte mich wie viele Meter ich das wohl noch durchhalten könnte. Doch ich wusste auch, dass ich mich in einer Zwickmühle befand: egal ob ich nun weiter nach Lukla ging oder umdrehte: es machte keinen großen Unterschied. Zu allem Überfluss zog dann ein heftiges Gewitter auf und gewaltige Hagelkörnern prasselten auf mich ein. Tiefer Nebel legte sich über die Landschaft und verlieh der Umgebung etwas zutiefst Trostloses. Völlig durchnässt erreichte ich schließlich den Ort Junbesi.Eigentlich freute ich mich schon länger auf einen Rasttag, aber ich war mir nicht sicher ob die Pause mir nützen oder schaden würde und ich beschloss am nächsten Tag weiter zu gehen und im Rhythmus zu bleiben.


Junbesi – Nunthala
Geschickter weise verlief ich mich am nächsten Tag erneut und mühte mich völlig sinnlos einen Pfad hinauf, der in einem imposanten Kloster endete, in dem etwa 500 Mönche lebten. Ich hatte mich zwar unterwegs nach dem Weg erkundigt – aber ich hatte einen gravierenden Fehler gemacht – ich hatte selbst in die Richtung gewiesen, in die ich ohnehin lief und das nächste Etappenziel war auf meinem Plan falsch buchstabiert. Die Einheimischen hatten also keinerlei Ahnung, was ich wohl von ihnen wollte und bestätigten - im Bemühen, ihr Gesicht zu wahren - meinen Irrweg. Das begriff ich freilich erst im Nachhinein. In jedem Fall fand ich in dem Kloster einen sehr friedvollen Ort vor, der über dem Tal thronte und durchaus sehenswert war. Einzelne Klausen waren in den Fels gehauen und deuteten darauf hin, dass das Kloster schon lange bewohnt war. Ich nahm mir ein wenig Zeit, das tibetische Kloster genauer anzusehen und dem Leben der Mönche aus respektvoller Distanz zuzusehen. Doch angesichts der pochenden Schmerzen und dem unsinnigen Umweg war meine Begeisterungsfähigkeit begrenzt. Den Vorschlag eines Mönchs, mein Knie mithilfe von Meditation zu heilen, erteilte ich eine Absage.Missmutig kehrte ich um. Ich versuchte zunächst, zu vermeiden, den ganzen Weg zurückzugehen, aber alle Abzweigungen endeten in einer Sackgasse. Stunden später stand ich schließlich wieder in Junbesi und war keinen Meter vorangekommen.

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die Gelassenheit dieses Naks fehlte mir im Moment...


Dafür wartete der nächste extreme Anstieg und es war nur meinem Trotz zu verdanken, dass ich diese Hürde meistern konnte. Längst war diese Wanderung zu einer Tortur und zu einer Frage des Willens geworden; aufgeben wollte ich auf keinen Fall! Die Musik, die mir zwischenzeitlich etwas Kraft gegeben hatte war gemeinsam mit der Batterie erstorben und das Aufladen war so teuer, dass ich darauf verzichtete. Ihr habt richtig gehört: das Aufladen kostet Geld…Was mich am meisten quälte war die grenzenlose Einsamkeit, die mich phasenweise quälte – so sehr ich Alleinsein durchaus genießen kann. In der ersten Woche sind mir insgesamt keine zehn andere Wanderer begegnet. Umso mehr freuten mich die kleinen Gesten, wenn ich mit der Dämmerung auf einen freundlichen Menschen traf, der mir ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit anbieten konnte. Das rückte viele Dinge zurecht. Was vielen im Westen nicht alles selbstverständlich geworden ist.
Nunthala-Bupsa
Es wird Euch kaum überraschen: Auch diese Wegstrecke konnte mit knackigen Ab- und Aufstiegen punkten. Was hatte sich Gott nur dabei gedacht - musste ich wirklich so viel Demut auf einmal lernen? Mit dem Wetter hatte ich auch kein Glück. Es regnete immer wieder in Strömen und die Majestät der Berge war ständig von dichten Wolken bedeckt. Paracetamol hatte keinen Effekt auf die Schmerzen, die sich im Laufe der Zeit immer wieder veränderten: mal wurden sie stärker, mal schwächer wurden, mal waren sie pochend und omnipräsent, dann kamen sie in stechenden Schüben. In gewisser Weise war ich erstaunt, dass ich immer weiter gehen konnte. Doch noch hatte ich nicht mal die Hälfte zum Ziel zurückgelegt - mal ganz abgesehen vom folgenden Rückweg. Immer wieder erreichte ich den Punkt, an dem es nicht mehr auszuhalten war. Abgesehen von kurzen Gesprächen mit ein paar wenigen Nepali war ich völlig auf mich selbst zurückgeworfen.
Reisereportagen: Everest-Trek I: Jiri-Shurke
Während eines heftigen Wolkenbruchs, suchte ich Zuflucht in einer Teestube. Kaum hatte ich das kleine Holzhaus betreten, goss es schon wie aus Kübeln. Das Wasser kam von allen Seiten. Drinnen saßen neben dem Eigentümer bereits zwei weiter Nepali. Wir kamen ins Gespräch. Wieder handelte es sich um Vater und Sohn. Als das Schlimmste vorbei war, machten wir uns gemeinsam auf den Weg nach Bupsa. Das brachte mir zusätzliche Motivation und es gelang mir wieder ein höheres Tempo anzuschlagen und mit ihnen Schritt zu halten. 
Der Vater war ein Gurkha gewesen – das sind nepalesische Soldaten, die bis heute in der indischen und englischen Armee dienen und für ihre Kampfesstärke berühmt-berüchtigt sind. Sie waren an Kampfhandlungen in beiden Weltkriegen und an vielen internationalen Konflikten beteiligt - beispielsweise den Kaschmir-Kriegen zwischen Indien und Pakistan oder dem Falkland-Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien. 
Die Bezeichnung geht auf das Königreich Gorkha zurück – das war bis Anfang des 19. Jahrhunderts die offizielle Bezeichnung für das heutige Nepal (eine Bezeichnung die ursprünglich nur für die Bewohner des Kathmandutals galt) – noch heute heißt der Distrikt in Nepal Gorkha, in dem die Stammburg der bedeutenden Shah-Dynastie liegt. Das Königreich Gorkha besaß eine größere Ausdehnung als das heutige Nepal und erstreckte sich auch über Teile des heutigen Nordindiens. Anfang des 19. Jahrhunderts kamen die Gorkhali bei dem Versuch ihr Reich nach Süden weiter auszudehnen mit den britischen Kolonialherren Indiens in Konflikt, die ihrerseits nach Norden drängten. Zwar führte der folgende Gurkha-Krieg (1814-16) zu territorialen Verlusten für das Gorkha-Königreich, dennoch konnte das verbleibende Reich in seinen heutigen Grenzen unabhängig bleiben. Die Briten waren schwer beeindruckt vom Kampfesmut der Gurkha, die ihnen trotz massiver militärischer Überlegenheit schwere Verluste beibrachten. Im Prektoratsvertrag, den die Nepali schließlich akzeptieren mussten, verzichteten sie auf die verlorenen Gebiete und standen der Ostindischen Kompanie und späteren britischen Indienarmee das Recht zu, Kämpfer in Nepal zu rekrutieren. 
Die Gurkhas verpflichten sich für 15 Jahre zum Dienst in der britischen Armee, durchlaufen ein sehr hartes Training und wurden zu einem Mythos. So gibt es ein Vielfaches an Bewerbern für die begrenzten Plätze. Aufgrund der hohen Reputation und dem sicheren Auskommen war es also kein Wunder, das es der Sohn seinem Vater unbedingt nachtun wollte. Ganz offensichtlich sollte der Gewaltmarsch, den die beiden unternahmen zum Training für dieses Ziel dienen.
Bupsa-Shurke
Der letzte Anstieg auf diesem Teilstück lag vor mir. Die Schmerzen steigerten sich einmal mehr ins Unerträgliche. Ich konnte mich nicht mehr davon ablenken und die Umgebung verkam zur reinen Fassade. Kurz vor der Passhöhe kam ich auch emotional an mein Limit. Ich dachte an meinen Opa. Er würde für immer ein Vorbild sein und ich fühle mich ihm gerade auf Reisen oft nah. An besonderen Orten entzünde ich eine Kerze für ihn und meine Oma und widme ihnen den Augenblick. Mein Opa hatte bei mir ganz wesentlich die Sehnsucht fürs Reisen und die Fremde geweckt, hatte selbst viele Reisen unternommen und ich bin mir sicher, dass er noch abenteuerliche Reisen unternommen hätte, wenn sein Leben nicht durch die Erfahrungen und Auswirkungen des Kriegs früh weitreichende Entscheidungen erfordert hätte. Ob ich wohl auf seinen Spuren wandelte, und ob er stolz auf mich wäre, sollte er mich sehen können? Ich dachte auch darüber nach, wie einfach und zugleich kompliziert das Leben doch war. Letztlich gab es nur wenig wirkliche Bedürfnisse. Das unterstrichen meine Erfahrungen beim Reisen immer wieder. Aber es gab so viele Irrwege, die einem vom wahren Glück abhalten konnten. Auch ich trage noch immer eine unstillbare Sehnsucht nach Liebe in mir, die ihr Ziel noch nicht gefunden hat. Es betrübt mich immer wieder, dass ich unfähig bin, längerdauernde Zufriedenheit in meinem Leben zu erreichen.
Nachdem ich mich wieder aufgerappelt hatte und tief in Gedanken versunken weitergegangen war, kehrte ich in einem einfachen Gasthaus ein und aß Bratkartoffeln. Während ich da saß, lief ein junger Mann in einem ordentlichen Tempo am Fenster vorbei und ich dachte nur, wie gerne ich sein Tempo anschlagen würde. Nach dem Mahl fühlte ich mich noch immer ein weg trostlos, doch ich zwang mich, noch bis zur nächsten Ortschaft weiter zu laufen. Vor einem Gasthaus traf ich den einsamen Wanderer wieder. Er hieß Johannes und kam aus Österreich. Wir hatten auf Anhieb dieselbe Wellenlänge und so stieg ich im selben Gasthaus ab. Wir hatten beide seit Tagen kaum ausführliche Gespräche geführt und wir hatten uns viel zu erzählen. Auch wenn den Nepali die deutsche Analogie ihres Ortsnamens Shurke sicher nicht geläufig sein durfte, so nutzen wir den Anlass, um den hiesigen Alkohol auszuprobieren. Rakshi heißt das Höllenzeug und befindet sich je Intension des Schwarzbrenners irgendwo zwischen Reiswein und Reisschnaps. Es wurde ein feuchtfröhlicher Abend und irgendwann fanden wir uns im Gastraum des Hauses wieder und tranken gemeinsam mit der hiesigen Dorfjugend. Alle im Haus feierten - es war der 1. Mai – der Tag der internationalen Arbeiterbewegung.
Reisereportagen: Everest-Trek I: Jiri-ShurkeWas wir nicht wussten war die Tatsache, dass zeitgleich in Kathmandu 150.000 Menschen nach einem Aufruf der maoistischen Partei eine Demonstration abhielten und ein zweiwöchiger Generalstreik folgte, der das Land weitgehend lahmlegte.
Unbeschwert von diesen Ereignissen befanden wir uns in einem Haus in den Bergen – ausschließlich umgeben von völlig betrunkenen Menschen (uns eingeschlossen) und feierten unsere Zusammenkunft. Schon reichlich angetrunken, kamen wir auch in den Genuss warmes Bier probieren zu dürfen und schließlich wurde uns stolz ein halb vergorener und gewöhnungsbedürftiger Rakshi kredenzt, den der Magen mit einem ausgesprochen unkooperativ klingenden Gluckern quittierte...Vom Hausherrn wurde ich auf 50 Jahre geschätzt. Nachdem ich ihn darauf hinwies, dass er sich um 20 Jahre verschätzt hatte, erklärte er seine Fehleinschätzung mit der Differenz zwischen meinen dichten Bart und den kümmerlichen Härchen, die sein Gesicht zierten und die er sich – wie er mir eindringlich versicherte – mit großer Mühe hatte sprießen lassen. Außerdem hätte ich eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem zahnlosen alten Mann neben mir. Zu seiner Ehrenrettung muss ich aber gestehen, dass ich den Hausherren auch auf 40 geschätzt hätte, obwohl er gerade 25 Jahre alt war. Gelebte Völkerverständigung…
Eigentlich hatte Johannes geplant, sehr früh am nächsten Tag aufzubrechen, was jenseits meiner Interessenlage war und wir hätten uns gleich wieder getrennt. Aber der Rakshi tat seine Wirkung und so zogen wir verkatert zu späterer Stunde gemeinsam auf, um den zweiten Teil der Wegstrecke in Angriff zu nehmen. Das war ein weiterer Glücksfall auf dieser Wanderung und die Nacht von Shurke wird uns für immer in Erinnerung bleiben.
Dieser erste Teil war der Schlüssel für die Intensität der Erlebnisse auf dieser Wanderung und ich bin froh, dass ich mir die Vielfältigkeit der Landschaft nicht habe entgehen lassen. Der zweite Teil führte uns mitten ins Hochgebirge und folgt demnächst. Soviel sei verraten: hinter der nächsten Weggabelung sollten sich die Erfahrungen entscheidend verändern. Eine weitere Impression zu dieser Wanderung mit zwei sehr schönen Zitaten findet sich hier. Wen meine Begegnungen mit Kathmandu und dem Fortschritt interessiert, wird an dieser Stelle fündig. 

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