Reisereportage: von Ladakh ueber den Kanji-La nach Zanskar

Von Mrcoconutyoga @DerScheinwerfer


Bericht meiner Wanderung zwischen Ende August und dem Beginn des Septembers 2013:
Ich hatte beschlossen einen wenig begangenen Trek über den Kanji-La nach Zanskar zu laufen. Es war das erste Mal, dass ich mit Zelt, Kocher, Vorräten unterwegs war. Es sollte ein unvergessliches Abenteuer werden und mich bis jenseits der letzten Reserven fordern…


Tag 1:Lamayuru – Shila via Prinkiti La Pass
Mein Trek startete in Lamayuru – westlich von Leh, am Highway der nach Srinagar in Kaschmir führt. Nach zwei entspannten Tagen, die ich nutzte um das Kloster zu besichtigen, die Route für den ersten Tag zu erkunden und im Anblick des bizarren Moon Valley zu schwelgen, brach ich zu einer Wanderung auf, die in vielerlei Hinsicht Neuland sein würde. Zwar war ich auch auf meinen beiden bisherigen Treks alleine unterwegs,doch ich hatte in Homestaysgegessen und übernachtet. Auch das war eine wunderbare Erfahrung, doch diesmal wollte ich völlig unabhängig sein. Das Wetter war ausgezeichnet. Ich genoss das letzte Mal die Vorzüge eines Gartenrestaurants, eines wunderbar weichen Bettes und das kurzzeitige Wiedersehen mit Jacob.

Am Morgen meines Aufbruchs, überredete mich der Koch, einen Abschiedsjoint zu rauchen. Er stammte aus Nepal, war nicht sonderlich zufrieden mit seinem Job und würde in 5 Tagen wieder in die Heimat zurückkehren. Mir war bewusst, dass sich die Sportzigarette nicht unbedingt positiv auf meine Kondition auswirken würde, zumal ich noch immer von einer hartnäckigen Lungenentzündung beeinträchtigt war, die erst die letzten Tage abgeklungen war. Aber was will man machen?
Die erste Stunde lief ich am Fluss entlang – auf der Strecke, die ich schon am Vortag erkundet hatte. Ich war guter Dinge. Danach zweigte das Tal vom Highway und dem Moon Valley ab und es wurde nach und nach steiler. Der erste kleine Pass wartete auf mich. Angesichts meines schweren Starts an diesem an sich gut verdaubaren Passes, schwante mir Übles für den Trek. Der Rucksack schien eine Tonne zu wiegen und meine Lunge war nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen. Aufdem Weg nach oben hatte ich eine der seltenen Begegnungen. Das Paar stammt aus Österreich und war mit einem Guide aus Nepal unterwegs. Sie wollten jedoch über Markha nach Rupshu laufen, mich zog es in den Süden nach Zanskar. Davon träumte ich schon so lange. Auf dem Pass beschloss ich vor dem folgenden Abstieg einen weiteren Joint zu rauchen. Wenn schon, denn schon. 

Nach einem längeren Abstieg durch eine imposante Schlucht erreichte ich das Dorf Shila. Von hier aus zweigt mein Trek durch die Shila-Gorge von der Hauptroute nach Padum ab.Das Etappenziel dieser Route – das Kloster Wanla war in kurzer Entfernung sichtbar. Ich warf einen kurzen Blick auf den malerischen Ort, der aus wenigen Häusern bestand und machte mich auf die letzten Meter am Fluss entlang zum Eingang der Shila-Schlucht.

Ich machte mich das erste Mal daran, mein Zelt aufzubauen und zu kochen. Ich habtte einen Gaskocher und Essen für eine Woche dabei. Neben den unvermeidlichen Nudelsuppen hatte ich einfache Suppen, Pasta, Tunfisch, Haferbrei, Müsli und einige Snacks bei mir. So wog mein Rucksack etwa 30 Kilogramm – entschieden zu viel - aber als Selbstversorger kaum zu vermeiden. Das muss man auf dieser Strecke auch sein, wenn man nicht in einem organisierten Trek unterwegs ist. Es gibt keinerlei Teestuben, Restaurants, Homestays oder Läden. Unterkommen könnte man höchstens in Kanji, dem einzigen nennenswerten Ort auf dieser Route. Das Zelt hatte ich mir in Leh geliehen, wog weniger als ein Kilo und war nur begrenzt für die Übernachtungen in großer Höhe geeignet. Ein schweres Zelt war aber utopisch, sonst wäre ich wohl keinen Meter weit gekommen. Doch noch es ausreichend, abgesehen davon, dass das Zelt eher ein Tunnel erinnerte und bisweilen Assoziationen mit einem nassen Grab wecken würde. 
Das Alleinsein produziert eine Menge wirrer Gedanken und turbulente Träume. Alle möglichen Personen, Erinnerungen und Orte aus der Vergangenheit verwischen ineinander. Manchmal beschleicht mich böse Paranoia, mal bin ich völlig gelöst und mit der Natur verbunden.Auch Schuhe hatte ich mir leihen müssen, nachdem sich der Restaurantbetreiber meines Vertrauens mit meinen Schuhen abgesetzt hatte und nicht wieder aufgetaucht war. Sie sind etwas zu groß, was sich noch als fatal erweisen würde. Die nächsten beiden Tage würde ich die Schuhe aber kaum benutzen – das wusste ich allerdings noch nicht und würde sehr unvorbereitet kommen.
Gegenüber von meinem Zeltplatz, den ich unter einigen Bäumen auf der anderen Flussseite gewählt hatte, stand das weitaus komfortablere Zelt zweier Arbeiter. Sie arbeiteten auf einer Baustelle. Der unverwischbare Unterschied lag allerdings, darin, dass sie monatelang an diesem Ort für ein extrem bescheidenes Entgeltschuften mussten und ich freiwillig hier war. Die Kulisse wurdein der Dämmerungimmer imposanter und direkt vor mir lag derEingang der Schlucht, die meine Route Richtung Zanskar markierte. 


Tag 2: Shila Gorge
Am nächsten Morgen kamIch nur schwer in die Gänge. Erst nach einem Liter Tee und einem Müsli bewegte ich mich gegen 9:30 Uhr in die enge Schlucht hinein. Der Anblick warvom ersten Meter an berauschend. Auf beiden Seiten der Schlucht ragen riesige, zerklüftete Felsformationen hoch über dem Boden der Schlucht auf, manchmal 1000 Meter über mir. Es bleibt nur Staunen.

Auch in Ladakh gibt es nur wenige Trecks bei denen man sich so unmittelbar mitten in der Wildnis befindet.
Laut Trekkingbeschreibung würde ich am Abend das andere Ende der Shila-Gorge erreichen. Ich war guter Dinge, die Sonne schien. Nach kurzem Marsch erreichte ich zwei reizlose Gebäude, in denen man sich am Wasser der heißen Quellen vergnügen konnte. Ich warjedoch gerade erst gestartet. Die Schlucht verengte sich danach auf wenige Meter. Das Gerede von einer existierenden Straße, erwies sich glücklicherweise als heiße Luft. Der Aufwand, hier eine Straße zu bauen, schien glücklicherweise in keiner Relation zu ihrem Nutzen zu sein. Es bestehen gute Chancen, dass dieser Treck noch lange erhalten bleiben wird. Abgesehen von den ersten kleineren Flussquerungen, lief ich durch eine Steinwüste, bisweilen unterbrochen von ein wenig Büschen und einigen Silberbirken. Der Himmel ist tiefblau, durchsetzt von weißen Wolken. Die Felsen bieten eine erstaunliche Variation unterschiedlicher Gelb-, Braun- und Grautönen. 

Noch genoss ich die Wanderung, auch wenn der Rucksack auf die Schultern drückte (die Versuche die Gürtelschnalle zu reparieren waren eindeutig gescheitert…) und es war ein wenig entnervend, ständig in die Trekkingsandalen zu schlüpfen und dann wieder in die Stiefel zu wechseln. Nach den ersten Querungen lief ich nur noch in Sandalen, was bei dem steinigen Untergrund recht unangenehm war. Aber die Flussquerungen nahmen kein Ende.
Ich fühlte mich an meine Erfahrung im Langtang-Tal erinnert, als ich mit einer Gruppe auf dem Markha-Trek den falschen Weg eingeschlagen hatte und ohne Zelt draußen übernachten musste. Zudem waren zuvor schon die zwei Frauen in der Gruppe im Fluss von der Strömung erfasst und mitgerissen worden. (Bericht folgt…) Ich würde es kein Trauma nennen – aber ich hatte mir nicht vorstellen können, dass diese Erfahrung noch gesteigert werden würde. Die Strömung wurde immer stärker und am Nachmittag war es bereits ausgesprochen schwierig den Fluss zu überqueren. Alles was danach kam war gefährlich und ich sehnte das Ende der Schlucht herbei. Doch das war reines Wunschdenken und mittlerweile sank ich bis zu den Hüften in den Fluss und hatte große Schwierigkeiten mit den 30kg auf dem Rücken, einer weiteren Tasche und der Spiegelreflexkamera ans andere Ufer zu gelangen. Immer wieder wurde ich fast von der Strömung mitgerissen, die Sandalen knickten unter dem Druck des Wassers um und meist konnteich mich gerade noch mit einem letzten beherzten Schritt aus dem Fluss retten. Bisweilen kam kurz Panik auf. Nach 3-4 sehr gefährlichenQuerungen hatte ich endgültig genug. Auch mental war ich erschöpft; es kostete unheimlich viel Kraft ständig den Fluss nach einer möglichen Stelle zur Querung abzusuchen, nur um wenige Minuten später erneut vor dem Fluss zu stehen, immer getrieben von der Hoffnung, dies möge endlich die letzteÜberquerung sein. Ein letztes Mal konnte ich einen großen Ast nutzen um mich mit letzter Kraft ans andere Ufer zu ziehen (nach zwei Probequerungen ohne Gepäck) und fand zumindest einen kleinen Lagerplatz unterhalb einer gigantischen, zerklüfteten, seitlich gestauchten Felswand. Mithilfe vonYakdung und einigen Zweigen konnte ich ein kleines Feuer entzünden und beschloss nach den Anstrengungen des Tages Pasta zu kochen und mit etwas Tunfisch und Gewürzen zu verfeinern. Abends leuchteten die Felsen goldbraun in der Abendsonne. Nach einiger Zeit tauchten zwei Trecker aus dem Nichts auf. Sie waren offensichtlich ähnlich überrascht über die Begegnung und ich erfuhr nur, dass sie von derHauptroute von Padum nach Lamayuru auf diese Alternativroute abgezweigt waren.Sie waren mit Teleskopstangen ausgerüstet und hatten zumindest den Vorteil die Wassertiefe leicht herausfinden zu können. Sie schlugen ihr Zelt auf der anderen Seite des Flusses auf.
Tag 3: Shila Gorge – Shilakong
Ichwar der festen Überzeugung kurz vorm Ende der Schlucht campiert zu haben und ging davon aus meinen Weg über den nächsten Pass fortsetzen zu können. Es war jedoch unmöglich, den weiteren Weg in der engen Schlucht mit ihren unzähligen Biegungen, zu erahnen. Ohne Kompass hatte man schnell das Gefühl für die Himmelsrichtungen verloren. Zumal der Beschreibung zufolge ein Abzweig in der Schlucht folgen musste. Zwar gab es zweimal die Möglichkeit links abzuzweigen und ich schwankte kurz, doch diese Information erwies sich als falsch und ich bin froh stur dem Fluss gefolgt zu sein. Zu meinem Entsetzen folgten den ersten 20 Flussquerungen des Vortages, 20 weitere. Alle Routenbeschreibungen sprachen von hohem Wasserstand im Juni und Juli, nun war es jedoch Ende August. Am Nachmittag wiederholte sich das Spiel vom gestrigen Tag. Der Fluss war kaum noch zu bändigen. Ich vermute schon eine weitere Nacht in der Schlucht verbringen zu müssen, als mir ein Horseman begegnet und mir versicherte, es würden nur noch 2-3 Querungen folgen. Das gab mir den letzten Kick. Irgendwie schaffte ich auch diese Querungen noch und erreiche völlig erschöpft das andere Ende der Schlucht. Hier teilt sich das Tal. Der eine Weg führt nach Photoksar, der andere Nirgendwo hin. Hier wartet nicht viel mehr als ein schlichterLagerplatz, an dem sich der Horseman bereits in einem großzügigen Zelt niedergelassen hatte und zu kochen begonnen hatte. Er bot mir einen stark gesüßtenSchwarztee an. Ansonsten blieb er für sich, zeigte mir aber noch den Weg für den morgigen Tag. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Weg gewählt hätte.

Vielleicht hätte ich mich auch für das Tal ins Nirgendwo entscheiden. Es begann ein wenig zu regnen und meine Stimmung war auch ein wenig trüb. So anstrengend hatte ich mir die Wanderung durch die Schlucht nicht vorgestellt. Dennoch war es eine wundervolle Erfahrung und gerade die besonders engen Stellen der Schlucht haben mich sehr beeindruckt. Der nächste Tag würde wohl kaum weniger anstrengend, aber wenigstens konnte ich das Steilstück am Vormittag hinter mich bringen.
In der Nacht konnte ich ein Phänomen beobachten, das ich noch öfter sehen sollte. Im Mondschein leuchteten einige Berge in verschiedenen Schattierungen und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich schwören können, Schnee zu sehen. Ich frage mich, ob es Mineralien sind, die diesen Effekt erzeugen, denn nur ein Teil der Felswände leuchtet in diesem fast magischen Schein.
Tag 4:Shilakong –Dumbur via Yogma La Pass
Der nächste Tag begann verheißungsvoll, trübte sich jedoch schnell mit dunklen Wolken ein. Ich beobachte den Horsemanauf seiner Route zum Pass, bevor ich ihm folgte. Wahrscheinlich hätte ich den Aufstieg ein wenig moderater gestalten zu können, aber es war nicht unangenehm auf den Spuren eines anderen zu folgen. Dennoch fordert mich der steile Aufstieg durch niedrige Büsche. Während des Aufstiegs tauchte wie aus dem Nichts einriesiger Adler mit gewaltigen Schwingen direkt über mir auf und segelte mit den Aufwinden hinauf in sein Revier, das für mich auf ewig unerreichbar bleiben würde.

Blick zurueck.

Weiter oben auf dem Grat sah ich zwei Trecker laufen, die auf einer etwas weniger steilen Route oberhalb unterwegs waren und von Guides begleitet wurden. Das Wetter war inzwischen richtig mies und so blieb es beim flüchtigen Gruß. Kurze Zeit später erreichte ich den Pass und blickte in das nächste Tal. Es hagelte leicht und so blieb ich nur kurz auf dem Pass um den Ausblick zu genießen – zumindest den Teil, der in diesem Moment sichtbar war. 

Es folgte ein längerer Abstieg, der aber nicht all zu steil war. Schließlich erreichte ich ein paar einzelne Steinhäuser inmitten von Grün- und Gelbtönen der Felder, die in dieser Umgebung wildromantisch, aber im Nebel ein wenig gespenstisch wirkten. Von den vier Menschen, die mir begegneten, erwiderte keiner meinen Gruß – eineseltene Erfahrung in Ladakh. Ich kam mir wie ein Eindringling vor.
Ich versuchte mich gut in die alten Menschen hineinversetzen, die zusehen mussten, wie schnell sich ihre Traditionen wandelten oder sogar auflösten. Vielleicht interpretierte ich auch zu viel hinein und meine relativ miese Stimmung führte zu diesen Gedanken. Schließlich fragte ich einen alten Mann nach dem Weg. Auf seinem markanten, wettergegerbtenGesicht thronte ein grüner, traditioneller tibetischer Hut. Aus irgendeinem Grund assoziierte ich ihn mit einem Schamanen. Auch er grüßte mich nicht, lächelte nicht einmal, und wies mürrisch in die Richtung, in die ich ohnehin schon unterwegs war. Ich überholte ihn und erhielt fortan lautstarke Korrekturen, wenn ich minimal von meinem Weg abwich. Ich fühlte mich unwohl, wie verfolgt von einem Schatten. Später forderte er sogar Geld von mir für seine Dienste als Führer. Das war mir dann doch zu dreist. Hoffentlich belegte er mich nicht in der Nacht mit einem Fluch. Schamanische Traditionen sind tatsächlich noch lebendig und auch während der buddhistischen Tempelfeste treten noch Orakel auf.Ich hatte das dumpfe Gefühl mich in einem verwunschenen Tal zu befinden, auch wenn mir klar war, dass diese Eindrücke eher meiner inneren Stimmung zuzuschreiben waren. Innere Widerstände, die die Interpretation des Äußeren prägen. Wir erschaffenunsere Welt zu einem wesentlichen Teil selbst. Dennoch fiel es mir nicht leicht, mich nicht von diesenEmotionen leiten zu lassen. Gerade dies ist doch eine der eindrücklichsten Erfahrungen auf einem allein unternommenen Trek: Dass Innen- und Außenwelt miteinander verschmelzen und man noch genauer beobachten kann, wie die eigenen Emotionen einen immer wieder von diesem Einssein ablenken. Vor allem wenn die Schmerzen und/oder Erschöpfung zunehmen. Bis zu dem Punkt, an dem einem gar nichts mehr übrig bleibt, als die eigenen Gedanken kreisen zu sehen – weil es zu große Überwindung kostet, ihnen weiter zu folgen – in gewisser Weise eine meditative Übung. Doch auch innere Ruhe und paradiesische Momente entschädigen auf diesem inneren Weg. Über eine Woche allein und umgeben von der Natur – ein Geschenk und zugleich eine schwere Prüfung.
Ich lief noch einige Kilometer, dann war ich völlig erschöpft. Ich suchte mir einen Zeltplatz auf ein wenig Grün an einem künstlichen Kanal aus, der ein nahegelegenes Weizenfeld bewässerte. Kurze Zeit später schaute eine alte Frau mit tiefen Falten belustigt auf mein Zelt und meine Vorbereitungen für eine Tomatensuppe. Ihr Lachen wurde breiter, als sie hörte, dass ich alleine unterwegs war und auch keinen Esel dabeihatte. Ich konnte gewiss nicht noch einen Esel brauchen! Der erste Versuch meiner Curry- und Chilimischung brachte zutage, dass das Zeug höllisch scharf war und der der Konsum meiner Suppe fortan keinen Genuss mehr darstellte. Immerhin wärmte mich die Schärfe. Nachts quälten mich wirre Alpträume.
Tag 5:Dumbur – Kanji – Shepards Camp
Eigentlich hatte ich die einzelnen Häuser, die ich passiert hatte für einen Teil des Dorfes Kanji gehalten. Darin lag ich falsch und ich musste noch anderthalb Stunden dorthin laufen. Ich kam extrem schlecht in die Gänge. Die letzten drei Tage waren härter als erwartet und an diesem Morgen schien der Rucksack eine Tonne zu wiegen und die Riemen schnürten sich in meine Schultern. Von den Nacken- und Rückenschmerzen in der Nacht ganz zu schweigen. Kanji besteht aus etwa 50 Häusern und das Tal bietet Raum für großzügige Felder, die gerade abgeerntet wurden. 

Nach dem Gefühlschaos in Dumbur fühle ich mich hier deutlich mehr willkommen. Ich wurde häufig gegrüßt und einmal entwickelte sich ein längeres Gespräch mit einem der Dorfbewohner. Kanji ist inzwischen an das Straßennetz angeschlossen. Doch mich zog es weiter. Ich folgte demFluss und nun war ich nur noch von vereinzeltenSteinbehausungen von Schäfern und Viehzüchtern, die hier im Sommer mit den Tieren lebten. Die Felder werden von ausgeklügelten Kanalsystemen mit Wasser versorgt. Faszinierend, wie die Menschen diese Umgebung urbar und fruchtbar gemacht hatten. Eigentlich hatte ich einen kurzen, entspannten Tag erwartet, doch das entpuppte sich als Schimäre. Ich hegte bereits einen gewissen Groll auf mein Guidebook, das von entspannten 2-3 Stunden von Kanji zum Base Camp des Passes berichtet, was mir inzwischen völlig unrealistisch erschien. Offensichtlich hatte der Guide seine Touren ausschließlich mit Guides und Packpferden unternommen. Anders konnte ich mir die Diskrepanz der Gehzeiten nicht erklären. Sicher, er warnte davor, alleine zu trecken und das hatte sicher seine Berechtigung. Nach einigen Stunden traf ich auf eine größere Schaf- und Ziegenherde und begegnete kurze Zeit dem Hirten. Er lud mich auf einen Schwarztee ein und nach kurzem Zögern watete ich mitdurch den Fluss zu einer kleinen Ansammlung von Steinhäusern, die von zwei Hunden und einem gewaltigen Yak bewacht wurden.

Seine Frau war ganz offensichtlich überrascht, dass er einen Fremden mitbrachte. Alleinreisende Trecker schienen hier eine absolute Rarität zu sein. Nach dem Schwarztee offerierte er mir Chang -das einheimische „Bier“ - der Weg zum Reinheitsgebot ist lang…. Seine Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Diese Szene hätte sich überall auf der Welt abspielen können. Ich trank ein Glas und wehrte Angebot ab, weiteren zu trinken. Nach einer rudimentären Unterhaltung machte ich mich wieder auf den Weg. Nach zwei Stunden, erreichte ich einenLagerplatz von Schäfern. Das war vielleicht der schönste Zeltplatz auf der Wanderung. Allerdings war es schon spät und mir blieb nur noch kurze Zeit in der Sonne. In der Nacht leuchteten die Berge wieder voller Intensität und Sternschnuppen zogen über den klaren Sternenhimmel. Ich wünschte mir, dass mein (inneres) Alleinsein irgendwann enden möge. Aber ich war keineswegs unzufrieden. Nur sehnsüchtig.

 
Tag 6: Shepards Camp – Kanji La Base Camp – Aufstieg
Mit der Morgensonne wurde ich von einer neugierigen Ziegenherde geweckt, die interessiert mein Zelt beschnupperte. 

Nachdem einer große Portion Haferbrei und Schwarztee zum Frühstück, benötige ich noch anderthalb Stunden, um das eigentliche Base Camp des Kanji-La zu erreichen. Eine Trekkingagentur hat die Felsen bemalt, so dass hier kein Zweifel bestand. Auch die Reisebeschreibung war erfreulich eindeutig - „ascend the side valley“.  

Da das Seitental extrem steil aussah und aus einem Geröllhang bestand, beschloss ich den ersten Teil ein wenig leichter zu machen, indem ich seitlich aufstieg.
Auf diesem Weg fanden sich die Hinterlassenschaften von Eseln und Pferden und so hatte ich keine Zweifel auf dem richtigen Weg zu sein. Die überdimensionierten Erdmännchen stießen ihre schrillen Schreie aus und brachten sich vor dem Eindringling in Sicherheit. Als ich die Schreie das erste Mal hörte, war ich mir sicher sie würden von einem Vogel stammen. Langsam bereute ich, diesen Weg gewählt zu haben.

Speziell nachdem ich eine Gruppe von Felsen erreicht hatte („continueto a prominent ridge top“) verfluchte ich mich. Der „Weg“ wurde immer schmaler und hörte bisweilen auf zu existieren, was auf dem steilen Grat mit den rutschigen Steinen, die mich ohne Probleme ein paar hundert Meter nach unten tragen könnten, für mäßige Begeisterung und immer wieder für Wellen von Panik sorgt. Ich musste mich extrem zusammenreißen und mich immer wieder runterkühlen, um mich angesichts meiner Höhenangst zu unkontrollierten Bewegungen mit zitternden Füßen hinreißen zu lassen. Mit großer Mühe konnte ich mich wieder auf den „Weg“ zurückkämpfen.

Die letzten 300 Meter brachten mich um. Es war so steil, dass es nur noch möglich war in weiten Serpentinen über die Geröllfelder nach oben zu gelangen. Nachdem ich unter Qualen die letzten Meter hinter mich gebracht hatte, war ich unglaublich erleichtert. Ich hatte das Schlimmste geschafft.

Doch dann der Schock: keine Gebetsfahnen erwarteten mich zur Begrüßung. Dies war kein Pass. Es gab auch keinen gangbaren Weg hinunter. Eventuell musste ich noch etwas weiter aufsteigen – doch schnell wurde mir klar, dass das Harakiri wäre. Es war eisig im schneidenden Wind. Ich fühlte mich bezwungen. Ich wusste nur zu gut, dass ich am Morgen das letzte Gas verbraucht hatte und was das bedeutete – zurück nach Kanji. Denn ich hatte auch keinen blassen Schimmer, was ich falsch gemacht und was ich am nächsten Tag besser machen könnte. Ich fühlte mich von der Natur geschlagen. Dann wurde mir klar, wie albern dieser Gedanke war. Niemand konnte die Natur bezwingen, nur sich selbst. Und ich war ein gewisses Risiko eingegangen und diesmal würde es eben nicht nach meinem Kopf gehen. Vielleicht war das sogar eine hilfreiche Erfahrung. Zwar gibt es auch in diesem Moment einen Anteil in mir, der das Ruder rumreißen wollte und von nichts anderem träumte als alles auf eine Karte zu setzen und auf Teufel komm raus weiter zu gehen – was immer es kosten sollte. Doch hier ging es nicht um Stolz. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt weiter in die Wildnis vorzustoßen. Es sollte einfach nicht sein. In jedem Fall könnte ich etwas für mich lernen. Eine Grenze akzeptieren. Ich verbannte die falschen Gedanken aus meinem Kopf und studierte die grandiose Landschaft. Das Wetter war ausgesprochen klar. Der Himmel leuchtete tiefblau. Vor mir türmten sich ganze Bergketten auf. Dies war ein wunderschöner Ort und ich durfte ihn sehen. Womit sollte ich hadern?


Auf dem Rückweg realisierte ich, dass die Muräne an einer Stelle abzweigte und es noch einen weiteren Weg nach oben gab, der mich ganz auf die Spitze führen könnte.Dieser Wegwar noch steiler, aber der müsste es doch sein. Auf der anderen Seite des Tals hatte ich aus der Höhe zwar einen weiteren Pfad entdeckt, der allerdings viel zu halsbrecherisch aussah.Der Weg hinunter führte über endlosesGeröll.Ich musste all meine Konzentration aufbringen. Schließlich kehrte ich im letzten Tageslicht völlig erschöpft wieder an den Lagerplatz zurück, um mein Zelt aufzuschlagen. Ich staunte nicht schlecht als ich ein Toilettenzelt, mehrere luxuriöse Zelte samt Küche, Stühlen und eine Reisegruppe mit zahlreichen Führern und Trägern vorfand. Ich unterhielt mich kurz mit einem der Führer, berichtete von meinem Fehlschlag, davon, dass ich kein Gas mehr hatte und wohl nach Kanji zurück laufen musste.Nachdem keine Einladung zum Essen erfolgte, zog ich mich zurück. Der Kontrast von meinem mickrigen Zelt und der einfachen Umgebung an die ich gewöhnt war zu der vollausgestatten Reisegruppe war einfach zu groß. Ich wollte weder sie stören, noch in meinem Frieden gestört werden. Im Zelt liegend, beschloss ich es am nächsten Tag noch einmal zu probieren und nicht aufzugeben.
Tag 7 Kanji-La
In den Morgenstunden wurde das Zelt feucht – ab 4000 Meter und besonders in unmittelbarer Nähe eines Flusses ein fortwährender und ungeliebter Begleiter auf diesem Treck. Daher wartete ich immer bis dieersten Sonnenstrahlen mein Zelt erreichten.So verpasste ich den Aufbruch der Gruppe – zumindest der Touristen.Die 18 (!) Pferde und Esel samt dem Großteil der einheimischenHelfer waren noch vor Ort. Ich hatte mit einem von ihnen am Vorabend über den richtigen Weg gesprochen - aber ganz offenbar hatten wir aneinander vorbeigeredet und ich war weiter überzeugt den richtigen Weg zu kennen. Mein Frühstück bestand aus einer Handvoll Cracker, zwei Scheiben Käse und einen Müsliriegel. Bis zum Abend bestand meine weitere Verpflegung aus einer bescheidenen Anzahl getrockneter Aprikosen. Ob ich am Abend Holz für ein Feuer zum Kochen finden würde, musste ich abwarten. Ansonsten wäre Fasten angesagt.Also machte ich mich wieder in den Geröllhang, diesmal auf dem steileren Stück. Ich brauchte sofort Musik-Doping, denn meine Füße fühlten sich immer noch völlig leer an und ich wusste, dass ich mich nur stoisch zum Pass hochquälen konnte. Eine Stunde lang kletterte ich das Geröllfeld empor, bis eindeutig war, dass etwas nicht stimmten konnte. Ich hatte mich noch nicht gewundert als die Führer einen anderen Weg wählten, weil ich davon ausging, dass sie sich auf dem Grat, den ich gestern gewählt hatte nach oben arbeiten würden, was für die Pferde leichter zu meistern sein würde. Doch nun erblickte ich zu meinem Entsetzendie Gruppe auf der anderen Seite des Tals auf einem extrem steilen Weg den Grat hinauf laufen.
  

wer genau hinsieht, kann am rechten unteren Bildrand die Pferde auf dem Weg nach oben erahnen...

Selbst die Pferde sträubten sich, diesen Weg hoch geschunden zu werden.Ich hatte den abschüssigen Pfad am Vortag aus der Höhe gesehen, ihn aberals unmöglich eingestuft. Ich erstarrte. Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt war ich richtig am Arsch. Dann kam der Zorn.Warum hatte mich keiner gestoppt? (Später hörte ich, dass man mir hinterhergepfiffen hatte, aber da wirkte bereits das Musik-Doping in meinen Ohren). Voller Zorn über diesen erneuten Fehlschlag, wählte ich den schnellsten Weg hinunter. Wieder am Fluss angekommen, wusste ich eines: ich durfte nicht darüber nachdenken, ob ich dort hoch gehen sollte. Ich war spät gestartet, hatte nun Zeit verloren. Also biss ich auf die Zähne, verbot mir zielgerichtete Überlegungen und machte mich daran den Grat in engen und steilen Serpentinen hinaufzusteigen. Schließlich erreichte ich eine weitere „prominent ridge top“ (ja - genau so zynisch empfand ich das). Nun konnte ich erahnen, wo der Weg hinführen würde. Zu einem Gletscher mit Schneefeld. Dort musste irgendwo der Kanji-La sein.
The warriors walk alone singt meine Freundin Junkerry. Ich denke an meine Freunde in Goa und an den wundervollen Ort, an dem ich so viel Zeit verbracht hatte und der nicht mehr existierte.Louis Armstrong erzählt mir von seiner beautiful world, Klänge tragen mich in die verschiedensten Plätze der Welt. Ich bin der king of the bongo, im nächsten Moment entführen mich griechische Klänge in die Ägäis. Abztrakkt erklärt mir seine dualistische Weltsicht, bevor ich mit Phong Bak weiter nach meinem Gleichgewicht suche.Paul Kalkebrenner heizt mir ein.Ich werde melancholisch, aufgeputscht, besänftigt, aufgerüttelt, zum Träumen angeregt. Meine Gedanken schweifen ab. Der intothewildSoundtrack schlägt wie eine Bombe ein und trägt mich weit über die Weite der Landschaft.
In mir existieren zwei Teile. Der eine ist neugierig bis zum Anschlag, voller Hoffnung und Erwartungen, mitgerissen vom Leben, risikobereit bis zum Draufgängertum, sorglos und optimistisch. Die Dinge können sich nur gut entwickeln. 
Der Antagonist könnte unterschiedlicher nicht sein: er ist in Erwartung der großen Katastrophe, die sicher kommen wird, skeptisch, misanthropisch, ängstlich und pessimistisch. Der plötzliche Tod ist für ihn keine Überraschung, sondern unausweichlich. 
Naturgemäß verstehen sich die beiden nicht besonders gut. Ich habe oft das Gefühl zwischen beiden zu stehen, hin- und hergerissen zwischen beiden Polen. Das funktioniert gut, solange ich genug Ironie empfinde, um das Ganze als bizarres Theaterstück meines Egos wahrzunehmen und aus dem Kontrast Kreativität zu ziehen. Kommt mir diese Ironie abhanden, kann das aber auch schnell sehr ungemütlich werden…
Angesichts negativer Gedanken fällt es extrem schwer im Hier und Jetzt zu bleiben. Manchmal beschleicht mich Hysterie – ich weiß nicht was mich genau erwartet, aber ich weiß, dass mir nichts passieren darf, weil mich sonst erst nach Tagen Jemand finden würde – wenn überhaupt.Auch jetzt war ich mir über den richtigen Weg nicht ganz im Klaren. Ich hoffte nur, dass ich nicht über das Schneefeld den Gletscher hinauf gehen musste. Dafür war ich nicht ausgerüstet. Das Schneefeld reflektierte gleißendes Licht. Meine Augen brannten.

Ich fragte mich, worauf ich mich eingelassen habe. Erst als ich einige aufgeschichtete Steine, die als Wegweiser dienen und schließlich eine Fahne auf der Passhöhe erkennen konnte, schwanden die letzten Zweifel. Der letzte Teil führte über vereiste Stellen und war extrem steil. Als ich den Pass erreichte, fiel die Anspannung von mir ab und ein Jubelschrei entfuhr meiner Kehle – dort wo er gestern stecken geblieben war. 

Ich stieg den westlichen Grat hinauf, um noch mehr von der phantastischen Kulisse in mich aufzunehmen. Das Wetter war zwar nicht so klar wie am gestrigen Tag, so dass man den K2 nicht erkennen konnte, aber imposant war der Anblick allemal. Der Kanji-La markiert den Übergang von Ladakh nach Zanskar, auch wenn das eigentliche Zanskar-Tal etwas weiter südlich liegt. Dieser Pass war es auch, der den ersten Ausländer nach Zanskar führte – das war wohl erst im 19. Jahrhundert. 

Ich spürte die Höhe – meine Füße kribbelten als wäre ein Ameisenstaat in meinen Schuhen dabei einen Gottesstaat zu errichten. Ich blieb eine knappe halbe Stunde oben.Es war extrem windig und entsprechend kalt. Vor mir lag ein langer Abstieg. Die 1000 Meter, die ich hinaufgestiegen war, musste ich nun wieder über ein ausgedehntes Geröllfeld hinabsteigen. 
Meine Füße schmerzten nun brutal. Doch es war ein Wettlauf mit der Zeit. Zwar hatte ich den Pass gegen 3.30 erreicht, aber ich ahnte schon, dass ich in die Dunkelheit kommen würde. Nach einigen Stunden, die eigentlich weit jenseits meiner Kräfte lagen, erreichte ich eine Quelle und das Tal verengte sich zu einer engen Schlucht. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen. Immer wieder musste ich den Fluss queren – was aber aufgrund der Steine, die als Schneebrücken dienen, recht leicht war. Inzwischen brauchte ich meine Taschenlampe.Als ich schon einige Zeit durch die nur durch den Mondschein und das schwache Licht meiner Stirnlampe erhellte Tal laufe, nur noch mechanisch von einer Flussseite auf die andere wechselte, zeichnete sich ab, das ich kurz davor stand, ein größeres Seitental zu erreichen – dort musste auch der Lagerplatz sein. Diese Erkenntnis hinterließ mich euphorisch, als sich die Schlucht weiter verengte bis das Ufer verschwand und ich mich direkt im Fluss befand. Da ich nicht erahnen konnte, wie tief der Fluss werden würde, versuchte ich meine Beine so zu spreizen, dass ich mich mit beiden Füßen an der Steilwand abdrücken konnte. SO eng war der Fluss bereits. Da durchzuckte mich ein fieser Schmerz im linken Knie. Offenbar war einer Sehne die Belastung inzwischen zu viel geworden. Da stand ich nun im Fluss, es war stockdunkel und meine Stimmung drohte eben dahin zu driften. Schritt für Schritt hinkte ich durch das Nadelöhr. Nun war mir egal, ob ich nass wurde. Völlig verzweifelt zeichnete sich nun ein leuchtendes Zelt vor mir ab und mit einem Schlag war die Euphorie zurück. Zwei Minuten später befand ich mich tatsächlich am felsigen Lagerplatz, den die Gruppe vom Vorabend für sich in Beschlag genommen hat. Meine Erleichterung war grenzenlos.Ich fand einen Platz inmitten der anderen Zelte und wurde - nachdem die Reisegruppe gegessen hatte – von den Ladakhis eingeladen, mit ihnenDal (Reis mit Linsenbrei und etwas Gemüse) zu essen. Ich warüberaus dankbar für die zwei Teller und den heißen Tee. Sie erklärten mich für verrückt, aber ihre Sympathie war dennoch unverkennbar. Wir redeten anderthalb Stunden, bevor ich völlig erschöpft in mein Zelt sank.
Tag 8 Kanji La Base Camp II –Rangdum

die einzige Flussquerung an diesem Tag - auf der anderen Seite sieht man das Nadeloehr der Schlucht...

Nun – es gibt in der Tat erfreulichere Aussichten als 15 Kilometer mit einem ramponierten Knie auf völlig offenen Füßen zu laufen. In der Nacht hatten die Füße gebrannt, als würde ich nach einer Barfuß-Schneewanderung vor dem siedenden Heizkörper meine Füße aufwärmen. Da tröstete die Aussicht, dass es sich um eine „relatevelystraight-forward stage“ handelte, nur wenig. Allerdings würde es der letzte Tag sein und spätestens am Abend würde ich das Kloster von Rangdum erreicht haben. Meine Geschwindigkeit war suboptimal. Nur als ich ein Stück mit dem Koch lief, gelang es mir noch ein höheres Tempo anzuschlagen, dann setze ich nur noch einen Fuß vor den anderen und quäle mich die vielen Seitentäler hinauf und hinunter. 
Drehungen des Kniegelenks schmerzten höllisch und jedes Auftreten war qualvoll. Es war besser, nicht an die Füße zu denken.
Nach etlichen Stunden, erreiche ich den Grund des Tals und konnte nun das Kloster und die dahinterliegenden Berge vor mir liegen sehen. Ich wurde von einem Mann auf salzigen Tee mit Butter eingeladen – der in Ladakh übliche ist, aber mich nur begrenzt zu überzeugen weiß. Er rezitierte buddhistische Mantras aus einem Buch und ich gebe ihm im Austausch für den Tee eine Packung getrocknete Aprikosen. Ich war schon lange jenseits von Gut und Böse und ich versuche jeden Gedanken über den Zustand meiner Füße aus meinem Kopf zu verbannen. Endlos trotte ich auf einem steinigen Pfad gen Ziel. Schliesslich erreichte ich halbtot Rangdum.
Dort treffe ich den Führer der Gruppe wieder und er ist so freundlich mir einen Fahrer zu organisieren. Der bringt mich in das 5 Kilometerentfernte Örtchen Juldo. Das Zimmer ist überteuert und das Bad hat kein Wasser – aber mir ist alles egal. Ich bin nur froh, angekommen zu sein. In der dazugehörigen Truckerdhaba esse ich ein wenig Dal. Auf der Glasscheibe prangt ein Konterfei des iranischen Religionsführers Chomeinei – schließlich sind die Moslems im nahegelegenen Kargil Schiiten und entsprechend nah am iranischen Revolutionshelden, der noch immer wesentlich die Geschicke seines Landes mitbestimmt. Daneben ist ein kleines buddhistisches Restaurant. Nach der extremen Ruhe der Wanderung könnte der Kontrast zu der umtriebigen Dhaba kaum größer sein.
Am nächsten Tag erreiche ich mit dem Jeep die Provinzhauptstadt von Zanskar – Padum. 

Hier endet die Wanderung endgueltig mit einem feuchtfröhlichen Abend mit Jim, Rupert und einem Schweizer Pärchen, die sich mit dem Fahrradauf Weltreise befinden, ihren endgültigen Abschluss.Und dort war es auch, wo ich einsam meinen 31. Geburtstag feierte. Am Vorabend las ich ein zweites Mal auf dieser Reise Hunter Thompsons Rum Diary – und mit einem passemdem Zitat daraus möchte ich enden:
„Wie die meisten war ich ein Suchender, unzufrieden und immer auf Achse, dann wieder ein kopfloser Draufgänger. Nie hatte ich genug Muß0e, großartig darüber nachzudenken, aber ich spürte, dass ich instinktiv richtig lag. Ich hielt es mit dem Optimismus der Heimatlosen, der besagte: wir waren auf dem richtigen Weg, einige kamen unglaublich gut voran und die Besten von uns würden es irgendwann wie von selbst über den Berg schaffen.Gleichzeitig wurde ich den dunklen Verdacht nicht los, dass unser Leben eine verlorene Sache war und wir wie Schauspieler in einer sinnlosen Odyssee herumirrten und uns selbst in die Tasche logen. Es war die Spannung zwischen diesen beiden Polen – einem ungebrochenen Idealismus auf der einen und der Ahnung vom drohenden Untergang auf der anderen Seite – die mich auf den Beinen hielt.“ Hunter S. Thompson: Rum Diary