Vor dem Abflug des OPS in Enzheim (c) MP
Drei große Busse stehen am Parkplatz vor dem PMC (der Heimat des Philharmonischen Orchesters ) in Straßburg. Es ist ein eiskalter Märznachmittag, viel zu kalt für die Zeit. Ich bin 10 Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt im Bus und grüße, da ich mich in eine der vorderen Reihen gesetzt habe, jeden, der neu in den Bus hinzukommt. Vom Sehen her kenne ich sie alle – die Musikerinnen und Musiker der OPS. Allerdings erkenne ich sie schwer wieder, sind sie doch normalerweise im Konzertsaal nur in ihrer Berufskleidung, im kleinen oder langen Schwarzen der Damen sowie in den Fräcken der Herren anzutreffen. An diesem kalten Nachmittag jedoch bilden sie eine bunte Truppe eingemummelt in warmes Winteroutfit. Schon allein der Buskonvoi zeigt, dass sich hier ein großes Ensemble auf den Weg macht. Insgesamt sind es 108 Personen, die sich mit der und für die Musik auf die Reise machen, darunter 4 Journalisten bzw. Journalistinnen, ein Dirigent, ein Pianist, der Direktor des Orchesters, mit der in der Direktion tätigen Damen und Herren, sowie fünf Bühnenbetreuern. Wir fliegen zuerst in die slowenische Hauptstadt Maribor. Von dort soll es dann am Samstag nach Zagreb in Kroatien gehen und am Sonntag dann wieder zurück nach Straßburg. Ein straffes Programm mit zwei Konzerten, nicht nur für das OPS, sondern auch für seinen Chefdirigenten Marc Albrecht und den Solisten Nikolai Tokarev. Er trat noch am Mittwoch mit dem OPS in Straßburg auf – spielte das schwere Klavierkonzert N.1 von Sergej Rachmaninow und wird es noch zweimal in den darauffolgenden Tagen wiederholen.
Wer meint, die Reise sei eben einmal ein kleiner Ausflug zum Luftholen, der irrt. Nicht nur, dass innerhalb von 4 Tagen drei Konzerte zu spielen waren (inklusive des Auftakts in Straßburg), sondern eine Reise mit so vielen Individualisten – und Musikerinnen und Musiker sind meist keine gleich geschalteten Roboter – kann auch ihre Herausforderungen bereithalten. Noch wissen wir nicht, dass die Erste uns knapp bevor steht. Beim Einchecken am Flughafen in Enzheim kommt der Dirigent Marc Albrecht zum Tross, Nikolai Tokarev ist mit Begleitung bereits da und nach einer nochmaligen Rundumbegrüßung geht es durch die Sicherheitskontrolle ab in das gecharterte Flugzeug. Einige der Damen müssen ihre Schuhe ausziehen und durch den Scanner schicken – wegen der Metallteile in den Sohlen – wie wir aufgeklärt werden. Aber wieder gut beschuht, suchen wir alle unsere Plätze in der Maschine. Celli, Geigen, Flöten und andere nicht allzu große Instrumente kommen direkt mit in die Maschine, alles was zum Transportieren auf diese Art und Weise zu unhandlich ist, wird mit dem OPS-eigenen LKW über Land nach Slowenien und Kroatien geschickt. Nachdem wir angeschnallt sind und die Instruktionen der Stewardessen erhalten haben heißt es – warten. Vom Tower kommt kein grünes Licht für den Abflug, dafür jedoch 2 Mann Bodenpersonal. Nachdem sie längere Zeit mit dem Kapitän diskutierten, erkundigte sich Herr Patrick Minard, der Direktor des OPS, bei der Chefstewardess, warum wir nicht in die Lüfte abheben. Eine Schraube an der Außenhaut entspräche nicht den französischen Sicherheitsvorschriften. Entweder sie könne ausgetauscht werden, oder wir müssten das Flugzeug wechseln. Leichte Unruhe kommt auf, aber das erste Konzert in Maribor findet erst am nächsten Tag statt – viel Zeitpuffer also – den wir zum Glück dann doch nicht brauchen. Eine Stunde später ist die Schraube tatsächlich ausgetauscht und los geht es – Richtung Süden.
In Maribor erwartet uns ein kleiner Flughafen. Wir laufen die paar Meter zum Flughafengebäude zu Fuß und wundern uns, dass wir in einem relativ kleinen Raum nur metallene Sitzbänke, aber keine Förderbänder finden. Nur wenige Minuten später wissen wir warum. Ein kleines Wägelchen mit zwei Arbeitern, gekleidet in Blaumännern und Leuchtwesten fahren vor die Glastüre, öffnen sie und – heben jeden einzelnen Koffer schön per Hand auf die von uns falsch interpretierten Sitzbänke. So altmodisch es klingt, so effektiv war die Methode. In null Komma nichts hatte jeder von uns sein Gepäck und weiter ging`s per Bus in unsere Hotels. In Maribor mussten zwei Hotels gebucht werden. Eines für die Streicher – die ja das Hauptkontingent des Orchesters ausmachen – und ein zweites für den Rest. Der Rest, das waren die Bläser, der Harfenist und Schlagwerker und die Journalistentruppe.
Hotel Habakuk - Herberge für einen Teil der Musiker (c) MP
Das Hotel Habakuk am Fuße des Pachern, in Slowenisch „Pohorje“ bezauberte vom ersten Anblick an. Die direkt dahinter liegenden Skipisten waren um 20 Uhr, als wir das Hotel erreichten, mit Flutlicht hell erleuchtet und an den Reaktionen – vor allem der jungen Herren – bemerkte ich, dass sie nicht damit gerechnet hatten, inmitten eines internationalen Wintersportzentrums zu landen. Für sie stand eines sofort fest: Der freie Samstagvormittag musste genutzt werden – zum Skifahren! Ein Mann, ein Wort – viele Männer – viele Skifahrer, und tatsächlich waren die Pisten des Pohorje am nächsten Vormittag von ungewöhnlichen Besuchern bevölkert, die einen Riesenspaß bei dieser außermusikalischen Betätigung hatten.
Am Nachmittag stieg allerdings die Spannung, denn es waren Informationen durchgedrungen, nach denen die Bühne des Konzertsaals in Maribor zu klein für das Orchester sei. Und tatsächlich. Wenig später, als die eigens mitgereisten Herren der „Regie“ mit dem Aufbau begonnen hatten, stand fest: nicht alle Musikerinnen und Musiker würden am Konzertpodium Platz finden. Und so durften sich an diesem Abend bei der Suite von Korngold 6 und bei der Symphonie sogar 12 Musiker unter das Publikum mischen und ihre Kolleginnen und Kollegen von einer anderen, als bisher gewohnten Perspektive beobachten.
Probe im Konzertsaal von Maribor (c) MP
Die Probe war sichtlich von Nervosität geprägt, denn der große Klangkörper des OPS ist es nicht gewohnt, in einem Raum zu spielen, in dem nur 6Mal so viele Zuhörerinnen und Zuhörer Platz finden wie Musikerinnen und Musiker. Und eine kurze Probe von einer Stunde, in der inklusive des Solistenauftrittes von Tokarev nur kleine Ausschnitte aus den Werken geübt werden können, ist nicht dazu geeignet, die Spannung tatsächlich auch abzubauen. Am Abend jedoch zeigte sich, dass Profis am Werk waren. Das von Marc Albrecht sehr clever zusammengestellte Programm wurde so einfühlsam und zugleich intensiv gespielt, dass das Publikum in Maribor die Vorstellung mit Begeisterung akklamierte. Für die meisten dürfte wohl die Suite von Erich Wolfgang Korngold, in der er Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ beredt musikalisch illustrierte, sowie seine einzige Symphonie Neuland gewesen sein, Rachmaninows Klavierkonzert und vor allem die Zugabe des Orchesters – Wagners Vorspiel zum dritten Akt von Lohengrin – jedoch umso bekannter. Mit ihr verwies Marc Albrecht auf seine Erfolge in Bayreuth zwischen 2003 und 2006 wo er als Dirigent des „Fliegenden Holländers“ gefeiert wurde. Eine wunderbare Mischung, vor allem auch wegen der schönen, melodischen und rhythmischen Verschränkungen, die sich aus den Werken heraus hören ließen und bezauberten. Was zuvor an Spannung vorhanden gewesen war, fiel nach dem Konzert von allen schlagartig ab. Nicht nur von den Interpreten. Auch wir von der schreibenden Zunft, wie auch alle anderen, die das Orchester begleiteten, fühlten uns wohl, freuten uns über den wunderbaren Erfolg und wussten: alles was jetzt kommen würde, baute auf einer soliden Basis auf, auf die man mit Stolz und Freude zurückblicken konnte. Dementsprechend ausgelassen war dann nach dem Essen im Hotel – am späten Abend – wie immer bei Orchestermusikern – die Stimmung. So ausgelassen, dass einige am nächsten Morgen während der Fahrt im Bus weiter nach Zagreb, eine zusätzliche Schlafpause einlegen mussten.
Zagreb mit seinen 800.000 Einwohnern bot von Beginn an ein anderes Bild und eine andere Stimmung. Das große Hotel Westin, mitten in der Stadt, hatte Zimmer für die gesamte Truppe und die Konzerthalle ist von ihrer Dimension mit Straßburg vergleichbar. Platz genug dieses Mal für alle und Raum genug für den unvergleichlichen Klang, den das OPS unter Marc Albrechts Stabführung jedes Mal hervorzaubert. Bis zur Probe war nur wenig Zeit, die Stadt zu erkunden.
Nevenka Fabian-Vidakovic unsere charmante Begleiterin in Zagreb (c) MP
Die Journalisten hatten Glück; eine überaus liebenswürdige Zagreberin, durch Freundschaftsbande mit einer von ihnen verbunden, hatte sich bereit erklärt, eine kleine Stadtführung – im Sauseschritt – mit einem kleinen, anschließend Mahl, zu organisieren. So ging`s kurz nach dem Einchecken weiter, mit der Straßenbahn und zu Fuß, in die Innenstadt, über den Ban-Josip-Jelačić- Platz hin zu dem auf drei Ebenen übereinander liegenden großen Marktplatz, auf dem sich alle Herrlichkeiten des südlichen Dalmatiens, des Gemüsegartens von Zagreb, tummelten. Weiter in die Kathedrale auf dem Kapitol und schließlich in ein kleines, von jungen Leuten geführtes Restaurant, dem „Mašklin i lata“ (einer Bezeichnung zweier uralter bäuerlicher Werkzeuge), in dem Köstlichkeiten der Adria auf den Tisch kamen. Gerade genug Zeit, um neue Freundschaften zu knüpfen, zu wenig, um noch ein Dessert zu genießen und einen Café zu trinken. Denn – die Musikerinnen und Musiker hatten bereits zu proben begonnen. Da in Zagreb das Programm leicht verändert wurde, wollte niemand dies versäumen und so ging´s weiter – diesesmal im Sauseschritt in die Lisinski-Hall. Marc Albrecht war gebeten worden, für Zagreb die Suite von Korngold gegen ein zeitgenössisches Werk des Zagreber Komponisten Berislav Šipuš auszutauschen, was ein kleines Wagnis war. Viel Zeit für eine Vorbereitung war nicht vorhanden gewesen und das Orchester erhielt noch vor Ort bei der Probe in der Dynamik des Werkes einen letzten Feinschliff. Sehr berührend war es zu beobachten, wie es den schon bei der Probe anwesenden 52jährigen Komponisten vor Aufregung schwer auf seinem Sessel hielt und er sich anschließend sichtlich bewegt beim Orchester für seine Arbeit bedankte.
Ankündigung des OPS an der Lisinski-Hall in Zagreb (c) MP
Eine kurze Pause von etwas mehr als einer Stunde, von den meisten in der Cafeteria des Konzerthauses verbracht, dann war es Zeit, sich umzuziehen und sich in den Musikerbereich zu begeben. Neuer Abend, neues Konzert, neues Glück. Und es war ihnen hold! Šipuš Werk, nur für Streicher geschrieben, wurde von ihm als 26jähriger komponiert und im Jahr 2002 noch einmal überarbeitet. Es zeigt, welche Klangmöglichkeiten den Streichinstrumenten innewohnen und lässt Dramatik und Lyrik auf engem Raum nebeneinanderstehen. Nach einer flirrenden Anfangsdichte breitet er wie bei einem Kaleidoskop Klangmuster für Klangmuster hintereinander aus und webt so mit Clustern ein Gewirke von unterschiedlichen, hörbaren Farben. Ruf und Echo, Rede und Gegenrede, Gemurmel und laute Akklamationen erinnern an menschliche Seinszustände, in die wir gewollt oder auch ungewollt geworfen sind und mit denen wir uns im Leben auseinandersetzen müssen. Streckenweise spannungsgeladen, dunkel, geheimnisvoll und Nerven vibrierend fügte es sich auch mit den wütenden Bässen in die anderen Stücke des Abends sehr gut ein. Berislav Šipuš zeigte mit der Ausarbeitung eines in den Bratschen breit vorgetragenen Themas, dass er auch die Kunst der Fuge beherrscht – indem er das Thema quer durch alle Streicher laufen und sich verschränken lässt – auch wenn er diesen Teil selbst nur als „quasi eine Fuge“ bezeichnet. Nach dem furios ausgeklungenen Ende galt der Applaus des Publikums nicht nur ihm, der sich bei Marc Albrecht noch einmal coram publico bedankte, sondern in hohem Maße auch den Streichern des OPS, die diese Nagelprobe bravourös bestanden hatten.
Dass Nikolai Tokarev mit seiner brillanten Interpretation von Rachmaninow sowie Marc Albrecht und das OPS mit der Korngoldsymphonie und der Lohengrinzugabe genau richtig lagen, bewies der lang anhaltende Applaus des begeisterten Publikums. Die Schlacht war geschlagen und der Sieg eingefahren. Dass in anderen Ländern andere Sitten herrschen, ist ein alter Bart, aber konfrontiert mit solchen, dann doch immer wieder verblüffend. Beim Verlassen des Konzertsaales noch den Wagner´schen Klängen nachhängend, verpufften diese in Windeseile, denn auf den Gängen vor dem Konzertsaal gab es eine Beschallung der anderen Art. Der samstägliche Abendtanz war ausgerufen, was bedeutete, dass die Klänge einer 6köpfigen Unterhaltungsband die Räumlichkeiten des Musikzentrums erfüllten. Ein größerer Kontrast ist wohl kaum denkbar – den Zagrebern aber scheint es großen Spaß zu machen. Vor allem etwas ältere Semester drehten sich brav beim Gesellschaftstanz im Kreis um zu sehen – und gesehen zu werden und komplettierten so auf ungewöhnliche Weise ihren Konzertabend.
Ein ruhiger Ausklang am nächsten Morgen, bei einem verlängerten Frühstück im Hotel und eine harmonische Heimreise, diesesmal ohne verspäteten Abflug, beendeten die Konzerttour des OPS nach Slowenien und Kroatien. Geblieben sind Eindrücke, übervoll mit Musik und Menschen, die dieselbe Passion teilen. Das OPS hinterließ in Maribor und Zagreb nicht nur eine musikalische Visitenkarte von hoher Qualität in eigener Sache, sondern fungierte vielmehr als künstlerisches , diplomatisches Korps dieser schönen, europäischen Stadt, die damit im Ausland zeigen kann, dass sie weitaus mehr beherbergt als Europäische Institutionen.
–ü–ßßäüüß–ä ßü Datum der Veröffentlichung: 18 März 2010Verfasser: Michaela Preiner
In folgenden Kategorien veröffentlicht: Melange
Schlagwörter: Marc Albrecht, Maribor, Nikolai Tokarev, Tournee OPS, Zagreb
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