Istanbul, 2014 . Foto:Patricia Konrad, Vera Ziegler
Auf in den Sommer. Die Ferien liegen vor uns und allgemein beginnt das wilde Packen, Reiseliteratur wälzen, Sonnencreme einkaufen. Passend zum Reisefieber finden Sie in der aktuellen Wechselausstellung JÜDISCHES EUROPA HEUTE. EINE ERKUNDUNG, die von Studierenden des Instituts für Volkskunde/Europäische Ethnologie erarbeitet wurde, noch interessante Einblicke zu jüdischer Kultur und Lebenswelten in sieben Orten in Europa. Drei von ihnen werden in den folgenden drei Blogbeiträgen von einer der Studierenden noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Die zweite Station ist die Erkundung der Metropole Istanbul:
Reisefieber (02): JUDENSPANISCH IN ISTANBUL
„Aferrarse de la pachá del gayo“ – Dieses judenspanische Sprichwort heißt wörtlich übersetzt „sich am Fuß eines Hahns festhalten“ und bedeutet so viel wie „nach einem Strohhalm greifen“. Weitere Beispiele, wie sich die sephardische, romanische Sprache anhört, können Sie unter dem folgenden Link finden: http://www.sephardicstudies.org/quickladino.html
Es sind Sommerferien und so kommen vielen erst einmal Urlaubsorte und touristische Ziele in den Sinn, wenn sie an die Verbindung von Spanien zur Türkei denken. Auch das Jüdische Museum München widmet sich aktuell in der Wechselausstellung „Jüdisches Europa. Eine Erkundung“, einem studentischen Projekt des Instituts für Volkskunde/Europäische Ethnologie einem spanischen und einem türkischen (Urlaubs-)Ort – Marbella und Istanbul. Während sich die Station um Marbella tatsächlich mit Tourismus beschäftigt, gingen Studentinnen der LMU München in Istanbul dem sephardischen Erbe der Stadt auf den Grund. So fanden sie auf ihrer Forschungsreise eine spanisch-osmanische Verflechtungsgeschichte, die sich in der Sprache der sephardischen Juden widerspiegelt: dem Judenspanisch. Gesprochen wird dieses vereinzelt heute noch in sephardisch-jüdischen Gemeinden, die ehemals zur Einflusssphäre des Osmanischen Reichs gehörten – wie z.B. in den Städten Sofia, Bukarest und Istanbul.
In der Türkei leben heute noch ca. 20.000 Jüdinnen und Juden, die meisten von ihnen sind Sephardim – ihre Vorfahren sind im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben worden. Viele von ihnen fanden Schutz im Osmanischen Reich, insbesondere in Istanbul. Über Jahrhunderte bewahrten sie ihre vom Altspanischen abstammende Sprache, welche als das sephardische Pendant zum Jiddischen der Aschkenasim – der Sprache der Jüdinnen und Juden Osteuropas – betrachtet werden kann.
Sephardischer Friedhof in Istanbul – Grabinschriften auf Türkisch, Hebräisch, Französisch und Judenspanisch, 2014. Foto: Patricia Konrad, Vera Ziegler
Auf dem sephardischen Friedhof wurden die meisten der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner Istanbuls bestattet. Häufig nahmen sie auch ihre Muttersprache mit ins Grab. Diese war zwar jahrhundertelang Alltags- aber nie Amtssprache. Heute gibt es nur noch sehr wenige, die überhaupt Judenspanisch sprechen können. Eine von ihnen ist die Gründerin und Leiterin des Sephardischen Zentrums Karen Gerson Şarhon, deren Muttersprache das Judenspanisch ist.
Leiterin des Sephardischen Zentrums Karen Gerson Şarhon, 2014. Foto: Sephardisches Zentrum
In der Station „Istanbul Paper“ präsentieren die Studentinnen der LMU München die Ergebnisse ihrer vielen Interviews mit noch aktiven Sprechern der Sprache und zeigen, wie diese nach dem rettenden Strohhalm greifen – Judenspanische Zeitungen sollen dem Aussterben der Sprache entgegenwirken.
Installation „Istanbul-Paper“. Jüdisches Museum München 2015. Foto: Franz Kimmel
Und was haben nun die Studentinnen in Marbella herausgefunden? Machen auch Sie sich auf die Reise und entdecken Sie Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede jüdischer Lebenswelten und lernen Sie sieben verschiedene Städte Europas aus einer besonderen Perspektive kennen.
Anne Reis