Reisebericht Pilgerreise Japan - Tempel 29-33

22. & 23.03.2012
Vom Hoffen und Bangen...

Donnerstag, 22.03.12, Jugendherberge Kochi, morgens kühl, später sehr sonnig
Ich habe Bescheid bekommen, dass meine PIN von der Visa Karte per Post zu meinen Eltern geschickt wird. Es ist also Rettung in Sicht. Da ich hier in der Jugendherberge Internetzugang habe, kann ich auch mit meinen Eltern per Internet telefonieren (Skype) und muss mir nicht an irgendeinem lauten Kombini die Lunge aus dem Leib schreien. Da ich zurzeit ohnehin nichts machen kann, außer zu warten, habe ich beschlossen eine Runde um die Urado Buch von Kochi zu drehen, d.h. Tempel Nr. 31, Nr. 32 und Nr. 33 zu besuchen. Natürlich machen ich keinen Plan – so jetzt ziehe ich mal eben 37 km durch die Lande und besuche die drei Tempel - sondern besuche erst den einen, gucke auf die Uhr, horche in mich rein und beschließe dann, bei gegebener Wetterlage, noch einen weitere zu besuchen.

Ich muss zurzeit immer damit rechnen, wenn ich kaputt bin, mich nicht einfach in den nächstbesten Zug oder Bus setzen zu können, um zu meinem Ausgangspunkt gelangen zu können. Die paar Yen müssen fürs Essen gespart werden, ich will meinen Herbergsvater, der so geduldig mit mir ist, nicht auch noch nach Geld anpumpen müssen. So besuche ich also Tempel Nr. 30, in dem es laut zugeht. Nicht nur, dass die Baumpflege mit einem Kompressor einem Jahrhunderte alten Baum an die Rinde geht, nein heute sind die Handwerker auch am Tempel zu Gange und klopfen den Boden direkt davor mit großen Holzspateln fest. Ich dachte immer, dass das Beton ist, jetzt weiß ich, dass es vielmehr eine stark lehmhaltige Erde ist, die dann kräftig festgeklopft wird. Einen Ausflug in den angrenzenden Botanischen Garten erspare ich mir, da leider die Kirschblüte noch nicht so richtig in Gange ist. Aber den Garten mit Gewächshaus habe ich auch schon 2009 bei meiner letzten Pilgerreise besucht. Es geht also weiter zu Tempel Nr. 32 (Zenjibuji). Zum Glück kannte ich den versteckten Pilgerpfad vom letzten Mal, sonst ist es ganz schön schwierig. Hier treffe ich auch auf eine junge Japanerin und einen Japaner mittleren Alters, der ein sehr verkürztes Gebet spricht. Ich habe nicht gehört, dass er dem Pilgerritual mit dem dreimaligen Sprechen der Grußformel „Namu Daishi Henjo Kongo“ (Großer Daishi, der Dharma Verbreitung) und dem Rezitieren des Herz-Sutras folgt. Ich überhole sie auf dem Weg immer mal wieder, da ich zwar die Erste im Tempel bin, aber auch die Letzte, da ich noch ausgiebig Fotos schieße. Ich beschließe noch Tempel Nr. 33 zu besuchen, da ich gesehen habe, dass ich die absolvierte Stecke nicht zurück laufen, sondern von dem Tempel aus nur der Straße Nr. 34 folgen muss, um wieder zum Hauptbahnhof von Kochi zu gelangen. Jetzt stellt sich noch die Frage, ob durch den Hafen mit der Fähre oder ob ich über die Brücke laufen soll. Ich entscheide mich für die Brücke, der Kosten wegen und um die mögliche Wartezeit auf die Fähre zu vermeiden. Aber da habe ich mir ganz schön was vorgenommen, denn die Straße ist ganz schön hoch, mit Autos zweispurig befahren und der Fußgängerweg ist nicht gerade breit. Als ich das hinter mich gebracht habe, atme ich aber dennoch auf. Laut Karte müsste ich jetzt an der Bucht entlang laufen, aber ein ambitionierter, älterer Herr schickt mich in Gegenrichtung. Das wäre kürzer als die ganzen Schleifen zu durchlaufen, so viel habe ich verstanden, klebe dann aber doch an meinem Kartenmaterial, da hier keine Pilgerzeichen vorhanden sind. Aber schließlich finde ich den Tempel und wer sitzt da auf einer Bank und liest in einem Buch? Der junge Mann, der mit auf dem Weg nach Kochi im Zug kurz angesprochen hatte.

Er ist Australier und macht die entschärfte Version der Pilgertour, d.h. mit Bus und Bahn. Ist aber trotzdem noch ein ganz gutes Stück Arbeit, weil man sich dann doch den Berg hoch quälen muss, um den Tempel zu besuchen. Wir plauschen ein wenig, und ich werde mal wieder ausgequetscht – woher ich komme, wie ich zur Pilgertour gefunden haben, usw. Er selbst spricht etwas Japanisch und hat es aufgegeben, es aus Büchern lernen zu wollen. Er lobt sogar mein Englisch, obwohl ich ihm erkläre, dass ich schon in der Schule Probleme mit der Sprache hatte und dementsprechend mich immer gescheut habe, Japanisch zu lernen, weil es doch so schwer ist. Er findet die Sprache einfach, aber die Schrift schwer – das sehe ich anders, aber ich bin auch mehr der visuelle (sehende) als der auditive (hörende) Typ. Als ich den Tempel verlassen will, kommt mir doch so ein großer Mann mit riesigem Rucksack, im Vergleich zum meinem, entgegen. Pekka Scheuermann heißt der Kraftprotz und wir halten ein Pläuschen, da wir beide aus Deutschland kommen. Schnell sind Adressen ausgetauscht, er führt so einen großen Stempel mit sich und am Abend schreibe ich ihm gleich, damit ich seine Adresse nicht versuse. Als ich heute in die Jugendherberge komme, weiß ich was ich gelaufen bin. Von dem Australier habe ich noch erfahren, dass es morgen regnen soll, also mal sehen, ob ich morgen überhaupt einen Tempel besuchen kann. Schnell noch was aus dem Kombini zum Abendessen gekauft und schon bin ich wieder am Computer.

Freitag, 23.03.12, Jugendherberge Kochi, es regnet wie aus Kübeln
Schlechtes Wetter war ja angesagt, aber dass es dann gleich so regnen muss ist echt nicht fair. Japanischer Regen ist immer direkt, gleichmäßig und stundenlang – kurze Schauer oder Sprühregen wie bei uns gibt es nicht. Regenzeit ist zwar erst im Juni und Juli, aber hier auf Shikoku ist Regen so üblich wie der Sonnenaufgang. Dementsprechend sind Japaner mit Regenkleidung, Schirmen und Schirmhalter auf Fahrrädern ausgestattet und ich mit Regenponcho und Chaps oder man könnte sie auch als „Beinlinge“ titulieren. Untätig rumsitzen und auf die erlösende E-Mail warten ist nicht mein Ding – wie der Tiger im Käfig, so komme ich mir vor. Da ich Tempel Nr. 30 hier fast um die Ecke habe und auch Tempel Nr. 29 nicht so weit entfernt liegen, beschließe ich trotz Dauerregens erstmal die Tour zum Tempel Nr. 30 zu machen. Gut verschnürt und eingepackt starte ich in den Regentag – ich hätte fast verschlafen, weil es gar nicht erst richtig hell in meinem Zimmerchen geworden ist. Platsch, platsch durch die Pfützen und meine Wanderschuhe halten echt lange durch.

Tempeltor von Nr. 30 im Regen

Tempel

Merkwürdig: Der linke ist später ganz durchweicht und der rechte noch relativ trocken. Aber nicht nur der Regen hat so seine Tücken und fällt überall dorthin, wo ich nicht gut zugeschnürt habe - meine Kapuze war ganz schnell nass - sondern auch die Pilgerzeichen, die ja in Laufrichtung aufgestellt sind, machen mir Probleme, da ich heute in Gegenrichtung unterwegs bin. Wenn man die Shikoku Pilgerreise unternimmt, kann man das im Uhrzeigersinn – also in aufsteigender Tempelnummerierung machen oder in Gegenrichtung. Letzteres zählt sogar wie vier normale Runden und dass bekomme ich heute zu spüren. Die Sicht durch Regen behindert, keine Sonne zur Orientierung und auch die Karte mag ich bei dem Sauwetter nicht ständig der Gefahr aussetzen, durchnässt zu werden. Ich habe zwar alles in Klarsichtbeutel gepackt, aber diese kleinen, fiesen Löchlein können einem alles ruinieren. Man stelle sich eine nasse, verklebte Wanderkarte vor: Das Ende dieser Tour. Es würde bedeuten: Zurück nach Bando, eine neue Karte kaufen. Aber der Tempel Nr. 30 ist dann doch relativ gut zu finden. Leider kann ich hier nur wenige Fotos schießen, ich will ja meine Ersatzkamera nicht auch noch ruinieren. So springe ich von einem Tempelgebäude zum nächsten, geschützt durch das Dach. Die Nr. 29 schaffe ich auch noch, denke ich mir und so wandere ich weiter. An einer Pilgerhütte treffe ich auf einen alten Bekannten, der ältere Japaner mit den zwei Stöcken (Pilgerstab und eine langer Bo) und der Neigung seine Zigarette nur mit Spitze zu rauchen, den ich das letzte Mal vor meinem Sprint mit Bus und Bahn nach Kochi getroffen hatte. Mit gebrochenem Japanisch erkläre ich ihm, dass mir das Geld ausgegangen ist und ich schnellstmöglich nach Kochi zur Hauptpost reisen musste und jetzt auf eine neue Karte warte. Er grinst sich eins und wir verabschieden uns, denn ich muss weiter. Aber diesmal ist Kobo Daishi nicht an meiner Seite und ich verlaufe mich derart, dass mir nicht mal die drei Herren des Straßenbautrupps helfen können, die ich anspreche. Irgendwie bin ich im Kreis gelaufen. Ich suche die nächste große Straße auf und zufällig fällt mir der Wegweiser zum Kochi Präfektur Museum ins Auge, das war die letzte Stelle, wo ich noch wusste wo ich war. Ich folge den Zeichen, doch als ich es wiederfinde, beschließe ich den Heimweg anzutreten. Den Weg in Gegenrichtung zu finden, noch dazu bei dem Regen, ist heute nicht mein Ding.

Auf dem Weg zurück mache ich noch an besagter Pilgerhütte halt und was lese ich da in dem Büchlein, das in jeder Pilgerhütte hängt und in das man seine Gedanken oder ein Dankeschön schreiben kann? Den Eintrag von Ossi Stock mit Freund, der die Tour ein paar Monate vorher absolviert hat. So führt mich Kobo Daishi dann doch über seine Insel und zeigt mir, dass es Karma ist und kein Zufall, dass ich lernen soll und nicht ignorieren, dass er für mich schon ein Ziel gibt, was ich im Augenblick nur noch nicht erkenne.

Quelle Bild und Text: Shiatsu zum Leben

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