Irland ist seit ich denken kann ein Teil von mir, die Heimat meiner Kindheit. Bereits im Bauch meiner Mutter (so wurde mir berichtet) bereiste ich das Land, als auch einige Jahre danach mit meiner Familie. Meine jüngere Schwester Ela immer an meiner Seite, meine Spielgefährtin zwischen Steinmauern und Blaubeerbüschen. Die grünen Wiesen Clares waren unser Spielplatz, frei herumlaufende Esel und Pferde unsere Spielkameraden, das Fischen im See für uns eines der vielen Abenteuer. Rückblickend kann ich heute sagen, dass wir das große Glück hatten Irland noch in seiner ursprünglichen Form zu erleben… mit scheuen und gleichzeitig neugierigen Iren, die einen egal wo wohlwollend ansprachen, mehr Natur als Straßen, mit Stroh gedeckten Häusern und dem rauen Duft von Torf in der Luft. Das war alles vor diversen Anpassungen an EU-Normen, vor Gentrifizierung, vor Celtic Tiger. In diesem Sommer reisen wir noch mal zurück, genau genommen 20 Jahre zurück an die Orte, die unsere Kindheit besonders geprägt haben. Ein besonderer Ort ist Inishmore, die Größte der drei Aran Inseln im Westen Irlands.
Was man oft vergisst, wenn man zurück in die Vergangenheit reist, ist dass sich nicht nur die Orte verändern, sondern man selbst sich natürlich auch. Etwas unbehaglich ist mir auf Deck der Aran Ferries von Rossaveal nach Inishmore. „Meinst Du es wird sehr schaukeln?“ frage ich meine Schwester angespannt und überlege gleichzeitig ob uns das früher auch schon was ausgemacht hat. Definitiv nicht! Da waren wir jedes mal aus lauter Vorfreude so aufgeregt, dass wir Wellen oder schaukeln gar nicht wahrgenommen haben. Ein bisschen so ist es nach einer Weile an Deck jetzt auch, zumal die Fähre wesentlich moderner ist und nicht mehr nur einem Fischerkahn gleicht wie damals. Die Ankunft in Kilronan, dem Hauptort von Inishmore, wird zum Bildrästel für uns: Was ist neu? Was gab es damals schon? Statt den urigen Kutschen fahren heute Kleinbuss über die Insel, den kleinen Souvernirshop mit Strohdach gibt es nicht mehr, dafür drei größere Läden mit den typischen Strickpullovern aus irischer Schafwolle, der Fish & Chips Shop ist auch weg, dafür ist das Tempo spürbar schneller. Der Freizeitstress macht auch vor dieser so abgelegenen Insel kein Halt. Mir wird wieder klar: das was sich am Meisten verändert hat, das sind wir.
Als Kinder gab es für uns keinen Plan, keine gedankliche Todoliste, die abgehakt werden will. Es war dieses süße Nichtstun, diese naive in den Tag leben und die Welt entdecken. Heute – fast in dem selben Alter wie unsere Eltern damals (also erwachsen sozusagen) – braucht es ein paar Tage mehr und das bewusste Ausschalten des Smartphones, um wirklich anzukommen. Gar nicht so leicht sich von den vermeintlich inneren Verpflichtungen und Erwartungen zu lösen… Wo kann ich was vegetarisches essen? Ist das Wetter heute überhaupt gut? Was schaffen wir in 7 Tagen? Und ist die Wifi-Verbindung auch stabil? … Wo kommen eigentlich all die Fragen her, die uns so unfrei machen? Erstmal ab ins Dorf, Fahrrad leihen und dem Gefühl nach die Insel erkunden. Der frische Atlantikwind wird uns schon den Kopf frei pusten.
Es ist Zeit, die man braucht um an einem Ort und auch bei sich anzukommen.
Besonders fällt mir das immer in den ersten Nächten in einer neuen Unterkunft auf. Jedes mal wenn ich aufwache, denke ich ich wäre noch in dem Ort zuvor. Nicht ohne Grund sagt man, dass die Seele langsamer reist als der Körper. Auch Inishmore fordert seine Zeit, zumal es hier so verdammt wenig gibt, was einen davon ablenken könnte (außer das verführerische Wifi natürlich). Ich muss zugeben, je beschleunigter mein Alltag vor einer Auszeit ist, desto schwieriger fällt mir das Entschleunigen. Die Stille, das Nichtstun, das bei-mir-ankommen überfordert mich regelrecht… es fordert mich heraus. Unser Ferienhaus „Celtic Spirits“ bietet dafür auch noch die perfekte Gelegenheit. Am anderen Ende der Insel, etwa 15 Kilometer vom Hauptort Kilronan entfernt, gibt es nicht wirklich viel Trubel. Unser Haus liegt auf einem Hügel an der Hauptstrasse, die für gewöhnlich nur ein paar Einheimische oder die lokalen Busfahrer auf ihrem Weg zur Fähre am Morgen und Abend nutzen, was für uns gleichzeitig die einzige und schnellste Gelegenheit ist ins Dorf zu kommen. Dort, und nur dort, gibt es neben mehr Zivilisation auch mehrere Pubs, Restaurants und einen Supermarkt. Immerhin liefert dieser auf Anfrage 2mal die Woche Lebensmittel oder Holz für den Ofen. Vom Wohnzimmer aus blicken wir über den Atlantik auf die Berge Connemaras, vom Küchenfenster auf die steinigen Hügel der Insel. Wer an dem Haus vorbeifährt, der hebt die Hand zum Gruß. So oft begegnet man hier niemanden. Es ist der perfekte Ort, um gänzlich abzuschalten und für eine gewisse Zeit auszusteigen. Nichts und niemand erinnert einen an den Trubel, das Tempo der Welt da draußen auf dem Festland. Wenn man will, kann man hier zur Ruhe kommen. Etwas nach dem ich mich in letzter Zeit immer mehr sehne, mir aber doch ungewohnt schwer fällt. Es braucht eben Zeit.