Manche Bücher schaffe ich nicht in einem Zug, sondern lese sie stückweise. So Reinhard Wittmanns Wälzer „Geschichte des deutschen Buchhandels“, den ich mir in einem Bamberger Antiquariat im Jahr 2012 gekauft, sofort zu lesen begonnen, aber erst jetzt, 2015 beendet habe.
Genuss für den Bibliomanen
Doch die Lektüre war keineswegs zäh oder langweilig, im Gegenteil. Für einen Bibliomanen wie mich ist solch ein Buch ein Genuss ersten Ranges, erhellt es doch die Entwicklung des Umgangs mit Büchern durch die Jahrhunderte.
Buchhandel im weitesten Sinne
Der Titel könnte übrigens in die Irre führen. Wittmann befasst sich keineswegs nur mit dem, was wir unter Buchhandel im engeren Sinne verstehen. Früher betrieb man ja Buchproduktion und Buchhandel oft im gleichen Hause, was schon der Begriff „Verlagsbuchhandlung“ verdeutlicht. Das Buch umfasst also auch die Entwicklung des Verlagswesens, darüber hinaus aber weitere mit dem Buch im Zusammenhang stehende Gebiete: die Situation der Autoren, das Leseverhalten, ja, als Voraussetzung dafür, die Alphabetisierung der Bevölkerung, ein wenig auch die Papierherstellung, die Buchbindereitechnik, Buchmessen, usw.
Gutenberg bis Gegenwart
Zeitlich umfasst das Werk vor allem die letzten 550 Jahre seit der Erfindung des Buchdrucks. Und man glaubt kaum, wie sehr sich das Buchwesen im Lauf dieser Zeit verändert hat. So transportierte man früher die Bücher (natürlich ohne Einband, den der Kunde erst beim Buchbinder draufmachen ließ) in Fässern, weil dies wirklich wasserdichte Transportgefäße waren, zur Buchmesse nach Leipzig, wo dann eifrig – nein, nicht gekauft, sondern getauscht wurde! Erst langsam entwickelte sich ein Kommissionsbuchhandel, bei dem auch Geld im Spiel war: Der Verleger beschickte die Buchhändler mit Kommissionsware, alle halben Jahre wurde dann abgerechnet.
Keine Selbstbedienungsläden
Buchhandlungen in unserem Sinne, die Selbstbedienungsläden ähneln, gibt es erst seit einem halben Jahrhundert. Ich selbst kann mich noch an eine Buchhandlung in meiner Heimatstadt erinnern, wo man an den Tresen treten musste, seinen Wunsch äußerte, der Buchhändler bestieg dann eine Leiter und fischte, wenn vorhanden, das Gewünschte aus einem wandhohen Regal an der Rückwand des Geschäfts. Davor war der Buchhandel eher als Versandhandel organisiert: Der Verlag schickte seine Produktion an die Buchhändler, die die Bücher gleich an Stammkunden weiterschickten, zur Ansicht. Was diese haben wollten, bezahlten sie, den Rest schickten sie zurück.
NS-Zeit
Sehr interessant ist auch die detailreiche Darstellung der Situation des Buchwesens während der NS-Zeit. Wittmann beschreibt einerseits die Lage in den Exilländern, wo die politisch sehr unterschiedlich orientierten Exilanten munter drauflos stritten und sich daher ein effektives Verlagswesen nicht entwickeln konnte, andererseits die Lage der im „Reich“ verbliebenen AutorInnen, die unterschiedliche Formen des „Durchtauchens“, der Anpassung oder der Anbiederung entwickelten.
Die Überfülle an Informationen, die dieses Buch bietet, erschlägt einen fast. Und man kann kaum anders, als nach dem Bleistift zu greifen und den Text genau durchzustudieren.
Da das Buch 1991 erschienen ist, spielen eBooks darin noch keine Rolle. Macht nichts. Diesen Teil der „Entwicklung des deutschen Buchhandels“ kann man ja live mitverfolgen.
Wir leben im Bücherparadies
Eines wird jedenfalls klar: Heute leben wir, trotz permanenter Krise des Buchhandels, in einem wahrhaften Bücherparadies, wo man wie niemals zuvor Zugang zu Büchern hat und sich diese auf verschiedensten Wegen teuer oder billig, jedenfalls aber ungehindert beschaffen kann. Was für ein Glück für den Bibliomanen!
Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick. C. H. Beck, München, 1991. 438 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai: Bibliocafé in Poitiers. 2013. – Das Phänomen der Büchercafés oder der Cafés in großen Buchhandlungen beleuchtet Wittmann in seinem Werk noch nicht.