Julia Holter – Ekstasis
VÖ: 30.03 – RVNG Intl. (Cargo)
Wenn Freunde von LA erzählen fällt nicht selten das Wort „hässlich“ und/oder „langweilig“. Natürlich ist LA auch Glamour, Hollywood, eternal sunshine und Körperkult, aber scheinbar eher im Kopfkino als in der Realität. Dennoch hat die amerikanische Musiklandschaft der Gegenwart ein Faible für LA entwickelt. Sei es das „Black Hippy“ Rap-Kollektiv, der Beat-Bastler Shlohmo oder die heute vorzustellende Julia Holter. Drei Stile, eine Eigenschaft: aus ihrem jeweiligen Genre heraus machen alle drei große Popmusik.
Julia Holter pendelt musikalisch zwischen Kammerpop und Neo-Klassik/Neuer Musik, verwebt auf ‘Ekstasis’ also das düster-Nostalgische mit dem elektronisch-Neuen. Bereits das Album-Cover deutet in seinem verwunschenen, schwarz-romantischen Artwork in diese Richtung. Der erste Höreindruck bietet vor allem eines: Ruhe. Weite Teile der Songs kommen ohne Gesang oder auffällige Beats aus, wirken wie ein verträumtes Abdriften, bevor Holter den jeweiligen Titel in den meisten Fällen jedoch wieder einzufangen weiß. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass viele Songs auch lärmige, dronige Passagen enthalten, die sich dann, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, in Ambient-Landschaften verwandeln, deren griffigste Elemente Holters charakteristische Stimme und vereinzelte Field-Recordings sind.
Das Album wabert und badet in Hustensaftlangsamkeit, erinnert Mal an Steve Reich und dann wieder an den düsteren Gothpop einer Zola Jesus oder Chelsea Wolfe. Jeder Song wirkt wie ein Jenga-Turm aus tausend Bausteinen wie Klassik, Ambient, Piano, Synthie, Hall oder Weltraum, aus dem die ausgebildete Cellistin immer wieder einzelne Steine zieht, ohne dabei den Tower of Song zum Einsturz zu bringen. Wir haben es also mit neoklassischer Ambient-Drone-Musik aus dem Glashaus zu tun, dessen Synthieflächendach zwar zerbrechlich aussieht, aber Schicht für Schicht trägt.
‘Ekstasis’ ist dabei deutlich poppiger ausgefallen als Holters Debut, ‘Tragedy’, dass zwar die inhaltliche Schwere des zu Grunde liegenden Euripidies-Stückes großteils umgehen konnte, über weite Strecken allerdings zu lang und akzentlos daherkam.
Julia Holter, die auch mit der, ebenfalls in LA beheimateten, Electronica-Musikerin Nite Jewel kollaborierte, nahm beide Alben alleine auf, was bei dem Detail- und Instrumentenreichtum der Songs eine große Leistung ist. Allerdings würde sie das nächste Album gerne mit einem ganzen Ensemble aufnehmen, denn das One-Woman-Konzept ist weniger einem Plan als mehr einer finanziellen Situation geschuldet. Persönlich hört sie gerne Pop und R&B, was auch nur im ersten Moment verwundert, enthält ‘In the same room’ doch eine gehörige Portion Pop-Appeal und ‘This is ekstasis’ oder ‘Four Gardens’ einige Anleihen an R&B-Songstrukturen.
Überhaupt ist ‘In the same room’ der eingängigste Song der Platte und mit catchy Hookline, Drum-Machine und Claps sogar radiotauglich. In ‘Moni Mon Ami’ findet sich eine Referenz an den amerikanischen Gegenkulturdichter Frank O´Hara, aus dessen ‘Having a coke with you’ eine Textzeile eingeflochten wird – “I look at you and I would rather look at you than all the portraits in the world”.
Der erste Hördurchgang hinterlässt ein bißchen wie das ersmalige Lesen von Ulysess: es war schön, etwas anstrengend auch, vor allem aber ist da eine Ahnung von mehr, eine Ahnung von vielen weiteren, noch verborgenen Schichten, die es gilt, aus dem Oberflächennebel zu holen (und hier hat Holter gegenüber Joyce den klaren Vorteil, dass eine knappe Stunde Musik leichter mehrmals zu konsumieren ist, als ein fast tausendseitiger Roman). Seltsam im Nebel zu wandeln…
Johannes Hertwig
Julia Holter online.
In the same room legal downloaden.
Julia Holter auf Tour:
10.06 Berlin – Kantine im Berghain
12.06 Nürnberg – Neues Museum
14.06 München – Kong