Reiner Calmund: «Essen und Fußball bedeuten Emotion pur»

Erstellt am 25. Oktober 2011 von Newssquared @Oliver_schreibt

Reiner Calmund: «Essen und Fußball bedeuten Emotion pur»

Reiner Calmund kommt zu spät. 90 Minuten lässt er auf sich warten. Dann kommt er mit dem Vorstandsvorsitzenden von Dynamo Dresden, Thomas Bohn, um die Ecke. Nach Dresden kommt der Fußballmanager, Buchautor und Medienstar gerne. Er ist ständig unterwegs – an diesem Abend wird er in einer Buchhandlung aus seinem neuen Buch Eine Kalorie kommt selten allein vorlesen. Mehr als 200 Zuhörer werden erwartet.

Herr Calmund, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über ihr Verhältnis zum Essen. Gibt es bei Ihnen denn auch so ein richtiges Lieblingsessen?

Calmund: Wenn ich Ihnen das erzähle, dann sitzen wir hier zwei Tage. Deswegen erzähle ich lieber, was ich nicht esse.

Und das wäre?

Calmund: Das sind zum einen Graupen. Meine Oma hat mir die alle zwei Tage vorgestellt und mein Ziel war immer: Wie kriege ich diesen Teller leer? Dann esse ich keine Innereien und keine Kaninchen. Die Tiere waren ja auch das Corpus Delicti, der Grund, warum ein Teil der ersten Auflage eingestampft werden musste.

Auf Seite 52 seines neuen Buches schreibt Reiner Calmund über das Wunder von Bern. Und über dem Film, in dem ein Vater und sein Sohn zu dem Spiel fahren – vorher isst der Vater jedoch ein Kaninchen. Ein Tier, das Reiner Calmund nicht essen würde. Er schreibt auch über das Besondere am Wunder von Bern und dass die Menschen begeistert die Nationalhymne gesungen hätten, die erste Strophe. Die auch er heute noch laut mitsingen würde. Ein Fehler bei der Buchproduktion, es hätte dritte Strophe heißen sollen, denn die erste ist nach der Nazi-Zeit verboten worden. «Aber Fehler passieren», sagt Reiner Calmund. Und: «1954 – da war ich fünfeinhalb. Da habe ich nicht gesungen, da war ich Fritz Walter und Toni Turek und Helmut Rahn in einer Person, mit Blechdose oder einem abgewetzten Gummiball draußen auf der Straße.»

Das Wunder von Bern scheint Sie nachhaltig beeindruckt zu haben…

Calmund: Was mich an dem Film fasziniert hat, war, dass er in einer Siedlung spielte, die exakt der glich, in der ich aufwuchs. Und da lebte ich in ganz einfachen Verhältnissen. Klo über den Hof. Da wurde die Zeitung in vier Teile geschnitten und gesagt ‹Hier, dat ist Toilettenpapier›. Wir haben einmal die Woche gebadet, meistens samstags. Ich hatte das Glück, dass ich Einzelkind war. Im Gegensatz zu einem Kumpel, der als Zehnter in die Badewanne steigen musste. Der war danach dreckiger als vorher… Und in dieser Zeit wurden eben Kaninchen gemästet und geschlachtet. Ich hatte als Kind ein paar. Die habe ich gefüttert, mit denen habe ich gekuschelt – niemals hätte ich die essen können. Ich hätte mich gefühlt wie ein Kannibale.

Aber essen Sie gar kein Kaninchen? Nicht einmal ein bisschen?

Calmund: Nein! Ich habe selbst in der Kocharena den Hauptgang nicht gegessen. Da war ich wie der Reich-Ranicki: ‹Ich nehme diese Speise nicht an! Ich bewerte das nicht.› Und die haben gesagt: ‹Pick doch mal rein, nur für die Show.› Und ich habe gesagt: ‹Nein, ich bekenne mich dazu. Ich esse kein Kaninchen.› Weder geschmort, noch gebraten, noch als Terrine.

Kochen Sie denn auch selbst?

Calmund: Ja, aber ich bin kein Experte. Ich bin im Essen definitiv stärker als im Kochen. Wenn wir zuhause grillen, bedient meine Frau den Grill und ich konzentriere mich auf’s Essen. Aber wenn ich mal koche, dann ist das ganz gut. Wenn es sein muss, dann kann ich auch was Leckeres hinzaubern. Ich plane jeden Schritt, trainiere das richtig, da entwickle ich schon Leidenschaft. So habe ich ja auch Das perfekte Promi-Dinner gewonnen. Und unter tätiger Mithilfe meiner Frau und meiner Assistentin war ich für die Kocharena gewappnet. Da hat die Jury gegen die Starköche gekocht – lassen Sie sich überraschen. Die Sendung läuft am 13. November auf Vox.

Gibt es denn etwas, was Sie wirklich gut kochen können?

Calmund: Ja, ich esse am liebsten Desserts und ich kann sie auch am besten zubereiten. Ich bereite auch in der Kocharena ein Dessert zu. Das Rezept finden Sie in Eine Kalorie kommt selten allein. Das habe ich auch schon beim Promi-Dinner mit Erfolg gemacht.

Die Deutschen haben ja ein merkwürdiges Verhältnis zum Essen. Die einen wollen ständig abnehmen, die anderen sind absolute Genießer…

Calmund: Davon handelt das Buch auch. Ich habe mich darin quasi selbst vor den Spiegel gestellt. Was ich nicht schreiben wollte, war ein Ratgeber: Länger jung, später alt, schneller schlank, schlank schneller, länger schlank. So etwas verbinde ich mit Grünfutter, Körnern und magerem Joghurt. Das ist nicht mein Hobby, nicht mein Genuss. Ich habe nichts davon, 120 Jahre alt zu werden, schön konserviert, aber ohne Lebensqualität. Aber ich muss auch sagen: Ich sündige, weil mir der Arzt noch nicht die Gelbe Karte gezeigt hat. Der Blutdruck ist okay, 130 zu 80, mein Cholesterin liegt weit unter dem kritischen Wert von 200, die Organe in Ordnung, die Blutwerte genauso. Wäre das nicht so, dann wäre auch direkt Schluss mit lustig. Ich hänge am Leben. Es geht ja nicht um mich allein. Es geht um die Familie, um die Kinder, die Enkel, meine Frau. Und ich genieß das, mit ihr zu relaxen, Kuscheln auf der Couch. Nee, nee, wenn der Arzt die letzte Warnung ausspricht, dann würde ich sofort umsteigen auf Körner, Grünfutter und mageren Joghurt.

Ihre großen Leidenschaften sind Fußball und Essen. Was ist für Sie die schönere Nebensache?

Calmund: Fußball. Wenn man mich ansieht, könnte man meinen, dass das jetzt geflunkert ist. Ist es aber nicht. Fußball ist die Nummer eins. Beide Hobbys sind Emotion pur, beide gehen tief unter die Haut. Beim Fußball sieht man das eben nicht so. Es gibt’s vielleicht ein paar Augenringe, vom Stress. Dagegen hilft eine Sonnenbrille. Aber beim Essen, da gibt’s die Hüftringe. Die bleiben. Und lassen sich nur ganz schwer verbergen.

Wenn Sie von Erinnerungen sprechen: Gibt es da eine besondere Erinnerung an gutes Essen?

Calmund: In der Kindheit hat der liebe Gott mir eine zweispurige Straße in den Genuss gelegt. Zuerst kam der Umweg über das Kinderkurheim, in das ich als absoluter Hungerhaken musste. Ich sollte zunehmen, was nicht klappte, weil das Essen da ungenießbar war.

In Eine Kalorie kommt selten allein erfährt der Leser, dass Reiner Callmund nicht immer dick war. Als kleines Kind, kurz nach dem Krieg, musste er sechs Wochen lang in ein Heim, wo der Hungerhaken Calmund aufgepäppelt werden sollte. Danach, schreibt er, habe er immer Angst gehabt, dass sich dieses Hungergefühl, dieser Appetit wieder einstellt. Es gab in der Zeit nur Grießbrei, Haferschleim, klobige Kartoffelpampe, Milchreis und Gerste.

Das ist keine wirklich schöne Erinnerung…

Calmund: Nein. Aber meine Mutter begann zu dieser Zeit, in einer Bäckerei zu arbeiten. Ganz früh morgens hat sie geputzt, dann Brötchen verkauft und nachmittags den Madämchen den Kuchen serviert. Und abends brachte sie den Bonus mit. In Form von Gebäck. Das war zu meiner Zeit als junger Kerl was ganz Besonderes. Damals wurde ich auch wählerisch. Da hieß es schon mal: ‹Bring mir bloß keine Mohnteilchen mehr mit.› Stattdessen bekam ich dann Nussecken, Käsekuchen, Apfelkuchen oder Amerikaner.

Lecker…

Calmund: Ja! Und der zweite Weg führte dann über das Wirtschaftswunder. Die Braunkohle war der große Wirtschaftsfaktor damals. Wir brauchten Arbeitskräfte. Und so zogen die ersten ‹Gastarbeiter› in die Einliegerwohnung unseres neuen Hauses in Frechen an der Danziger Straße. Die kamen damals noch nicht aus Italien oder der Türkei, sondern aus Bayern. Zu uns zog die Familie Dittrich und die brachten jede Menge Rezepte mir. Richtig deftige Küche aus Bayern. Lecker! Aber damals wurde ich nicht dicker, trotz aller Schlemmereien. Weil ich alle Kalorien verbrannt habe, ich war den ganzen Tag unterwegs. Fußball, Fußball, Fußball. Und jeder Weg wurde zu Fuß absolviert. Die Kalorien hatten keine Chance.

Und was kam dann?

Calmund: Alles war wunderbar. Bis zu meinem 19. Lebensjahr. Da erlitt ich eine Sportverletzung. Einen Knochenabriss, heute ein Klacks, damals ein Drama. Meine Karriere war beendet, bevor sie begonnen hatte. Ich machte die Lehre, studierte, wurde Trainer, hatte Besprechungen und Arbeitsessen ohne Ende. Und weil plötzlich die Bewegung fehlte, hatten die Kalorien leichtes Spiel. Und die kamen ja nicht einzeln, die kamen in der Großfamilie. So schnell, wie die angeschossen kamen, konnte ich gar nicht in Deckung gehen. Tja, und mit ihnen waren dann auch die Kilos da.

Reiner Calmund wird erst Trainer, macht eine Ausbildung zum Kaufmann im Außenhandel, wird dann Betriebswirt. Mit 28 Jahren kommt er zu Bayer Leverkusen, erst als Jugendbetreuer und Stadionsprecher, dann wechselt er in den Vorstand, wird Manager für die Profiabteilung und übernimmt 1999 die Stelle als Geschäftsführer des Vereins. Er ist immer unterwegs. In Eine Kalorie kommt selten allein beschreibt er, wie sich Geschäftsessen aneinander reihen, wie er die besten Restaurants der Städte findet…

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie durch den Stress immer mehr zunehmen…

Calmund: Es ist wirklich so. Ich nehme erst im Urlaub ab. Also da, wo die meisten Menschen zunehmen. Ich habe keinen Stress, bin total entspannt. Es muss mich auch keiner in den Pool werfen – da gehe ich ganz freiwillig rein, ich bewege mich viel im Urlaub. Asien spielt für mich eine große Rolle. Ich mag auch die Berge, die Nordsee und die Ostsee. Aber: Es gibt so viel gutes Essen. Stellen Sie sich vor, ich würde nach Österreich, Bayern oder in die Schweiz fahren. Ich als Kugelblitz auf der Piste, abends rein in die gute Stube und dann kommt die Attacke: Ich rieche die Leberknödel, die guten Suppen. Den ofenfrischen Jungschweinebraten an der Kruste, danach die Mehlspeise. Und soll ich dann stattdessen Salat essen? Nee, in Thailand bin ich besser aufgehoben. Da ist es schön warm, die Hungerhaken schlagen mir lachend auf den Bauch und denken, da sitzt der Bruder vom Buddha. Morgen und abends schwimmen, Gemüse aus dem Wok, Fisch, mageres Fleisch, zur Krönung Obst – alles frisch, wie aus dem Paradies. Danach vielleicht noch eine Kugel Kokosnuss-Eis zur Abrundung – das schmeckt! Da nehme ich in kurzer Zeit zehn Kilo ab, ohne gezielt daran zu arbeiten.

Wenn Sie neben diesen Hungerhaken, wie Sie sie nennen, stehen: Bekommen Sie da keine Komplexe? Immerhin gilt schlank auch gleichzeitig als attraktiv.

Calmund: Ach nein, ich kenne viele dieser Adonisse. Die Haare nach hinten gegelt, Sonnenbrille auf. Stellen Sie sich vor: Die gehen mit einer Frau essen. Dann fragen sie noch ‹Was willst Du essen?›, danach kommt: ‹Wie findest Du das Wetter?› und das war es dann. Dann fällt denen nichts mehr ein. Ich übertreibe natürlich, aber der Unterhaltungswert, der geht schon Richtung Null. Wenn man jünger ist, dann guckt man vielleicht noch auf die Äußerlichkeiten. Aber mit den Jahren zählt der Unterhaltungswert mehr. Und dann komme ich mit meinem Leben und kann von Gott und der Welt erzählen. Außerdem bin ich – wie meine Frau sagt – Kuschelweltmeister im Schwergewicht. Ich habe ganz andere Werte. Und die kommen auch ganz gut an.

Ist diese entspannte Einstellung zum eigenen Gewicht eine Entwicklung? Oder war das schon immer so?

Calmund: Ich kann das ja nicht ändern. Wenn die Leute mich fragen ‹Wie stehen Sie zu ihrem Gewicht› – dann kann ich das nicht weg leugnen. Es ist ja da. Und jeder kann es sehen. Ich stehe dazu. Natürlich gibt es Situationen, in denen man gerne ein paar Kilos weniger auf den Rippen hätte. Aber insgesamt ist alles gut, so wie es ist.

Titel: Eine Kalorie kommt selten allein
Autorin: Reiner Calmund
Verlag: Mosaik
Seiten: 224
Preis: 16,99 Euro
Veröffentlichungstermin: bereits erschienen

Quelle:
Nachrichten -
Gesellschaft Nachrichten -
Calli exklusiv – «Essen und Fußball bedeuten Emotion pur»

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