Ich hab Untermieter. Glaub ich.
Meine Wohnung liegt mitten in der Stadt, ich habe Domblick, viel Platz und im Sommer große Hitze. Und neuerdings Untermieter.
Solche, die im grauen Anzug meine kostbare Zeit zusammengerollt zu stinkend-miefigen Zigarren einfach so verpuffen lassen. Ich kann mich nicht dran erinnern, einen Vertrag mit der Zeitsparkasse abgeschlossen zu haben. Überhaupt bin ich was Anlagen angeht eher konservativ und investiere lieber in Nahrungsmittel [Zwischenruf: z.B. feinste ungarische Schokolade, die sich der Einfachheit halber, hervorragend auf den Hüften anlegen lässt…] als auf neumodische Finanzprodukte zu wetten. Neuerdings scheine ich aber auch Kunde bei eben jenem seltsamen Instititut zu sein.
[...] die grauen Herren. Niemand kannte den Wert einer Stunde, einer Minute, ja einer einzigen Sekunde Leben so wie sie.
Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, einen Vertrag mit der Zeitsparkasse abgeschlossen zu haben; doch mir scheint’s, mir fehlt Zeit. Und zwar für so einiges, was manche gerne hätten, das ich täte – und für noch mehr, was ich so gerne tun würde*. Und die ganze fehlende Zeit, scheint einen anzutreiben und zu überholen – und obwohl man gedanklich längst schneller läuft als Usain Bolt, so kommt man doch nicht ans Ende.
“Siehst Du, Momo” sagte er [Beppo Straßenkehrer] dann zum Beispiel, “es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. [...] Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liebt immer noch vor einem. [...]“
Dabei: Der einzige Sinn eines Zeitkontos kann nur der ausgiebige und unermüdliche Einsatz der eigenen Bank-Karte sein! Da sollte man öfter mal eine saftige Abhebung machen. Einfach so – um diese Zeit ganz unverfroren und ohne weiter darüber nachzudenken zu verschwenden.
Und damit bin ich für heute offline. Ich hab zu tun. Ich muss dringend ein paar Eimer Zeit mit vollen Händen zum Fenster rauszuschmeißen. ;-)
Brined Wollschweinkotelett mit Gewürzpfirsichen und Lauchgemüse. Dazu Roggen und Ziegenkäse mit Ahornsirup Senfsaat.
Zeitverschwendung für 2. [Alternative Beschreibung: Zeit-intensives, easy-peasy Angeberessen.]
Manche Dinge brauchen ihre Zeit – und Zeit war das Einzige, woran Momo reich war. [...] Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.
>>> braucht ein paar Handgriffe und eine großzügige Auszahlung der Zeitsparkasse: Koteletts in der Brine einlegen/Roggen einweichen – über Nacht | Roggen kochen – 50 bis 60 Mintuen | Pfirsiche schmoren – 30 Minuten | der Rest an Vorbereitungen – ach, nur ein paar Handgriffe
für die Koteletts (Brine inspiriert von food52):
- 1 – 2 Wollschwein-Koteletts (in Abhängigkeit der Größe, mir hat mit 478 g eines für 2 Personen gereicht)
- 800 ml Wasser
- 35 g Salz
- 45 g brauner Zucker
- 1/2 Chilischote, rot
- 1 EL Pfefferkörner (ich: Urwaldpfeffer aus Madagaskar)
- 1 Limette, unbehandelt – nur die Schale
- 2 Zehen Knoblauch
- 2 Zweige Thymian
- 5 Körner Piment
- 1/4 Tonka-Bohne, gerieben
- etwas Butterschmalz zum anbraten
für den Roggen:
- 100 g Roggenkörner, Vollkorn
- 300 ml Gemüsefond, ungesalzen (wer gesalzenen hat, ersetzt ein Drittel durch Wasser)
- Wasser
- Salz zum Abschmecken
- 1 TL Butter
für die Pfirsiche:
- 2 – 3 Pfirische (in Abhängigkeit der Größe)
- 3 rote Zwiebeln, mittelgroß
- 1/2 Limette, Schale und Saft
- 1 TL Honig
- 1 TL weißer Portwein (optional)
- 1 TL heißes Wasser
- 1/2 TL Senfsaat
- 1 Msp. Harissa (alternativ: Chili)
- 1/2 TL Koriandersamen
- 3 Kapseln Kardamom
- 4 Blatt Salbei
- 1 – 2 EL Butter
für die Ziegenkäse-Crème:
- 50 g würziger Ziegenkäse
- 1/2 TL Senfsaat
- Ahornsirup (alternativ: Honig)
- ggfs. etwas Milch (für Kalorien-Liebhaber alternativ: 30 ml Sahne)
für das Lauchgemüse:
- 1/2 Stange Lauch (ich habe nur das zarte Grün aus der Mitte verwendet, der Rest wanderte in den Fond)
- 1 EL Butter
- ein Schuß Sahne
- ein Schuß Portwein
- 1 TL der Gewürzmischung von den Pfirsichen
- Tonkabohne, Chili, Salz und Pfeffer zum Abschmecken
Am Vortag:
Um die Koteletts einzulegen, zunächst die Brine herstellen. Dafür Salz, Zucker sowie Gewürze und Kräuter mit einem Teil des Wassers vermischen und auf dem Herd erwärmen, so dass sich Salz und Zucker auflösen. Dann das restliche Wasser (kalt!) dazu geben. Die Koteletts kalt abbrausen und in einen verschließbaren Behälter geben. Sobald die gesamte Lösung vollständig erkaltet ist zu dem Kotelett geben. Mit einem Deckel luftdicht verschließen und in den Kühlschrank stellen.
Die Roggenkörner in eine Schüssel geben und die doppelte Menge Wasser dazugießen; kühl stellen.
Für die Marinade der Pfirsiche* die Gewürze in einer heißen Pfanne ohne Fett rösten und anschließend im Mörser fein mahlen. Den Honig, Zitronensaft und -abrieb in eine kleine Schüssel geben. Das heiße Wasser zugeben, um den Honig aufzulösen. Dann den Portwein unterrühren und 1 TL von den gemahlenen Gewürzen zugeben. Den Rest der Gewürze für den nächsten Tag zur Seite stellen. Die Pfirsiche waschen und vierteln. Die Schnittstellen der Pfirsiche mit der Marinade bestreichen. Den Rest in eine flache Schüssel/auf einen flachen Teller geben und die Pfirsiche mit den Schnittstellen nach unten/in der Marinade in die Schüssel/auf den Teller setzen. Mit Haushaltsfolie abdecken und ebenfalls kühlstellen.
Für die Ziegenkäsecrème* die Senfkörner ebenfalls rösten, anschließend im Mörser mahlen und dann unter den Käse mischen. Mit Ahornsirup abschmecken, ggfs. mit etwas Milch glatt rühren. Diejenigen, die Kalorien willkommen heißen – oder weniger füllende Beilagen wählen, können alternativ etwas Sahne steif schlagen und unterziehen.
1 1/4 Stunde vor Essenszeit:
Das Kotelett aus dem Kühlschrank nehmen. Die Brine abgießen und das Fleisch abtropfen lassen, trocken tupfen.
Die Roggenkörner abgießen und ggfs. nochmals abbrausen. Mit dem Gemüsefond aufsetzen und kurz aufkochen lassen. Dann den Herd herunter drehen und auf kleinster Flamme für 50 – 60 Minuten quellen lassen.
In der Zwischenzeit:
Die weiteren Vorbereitungen für das Essen treffen. Für die Pfirische also die roten Zwiebeln schälen und achteln sowie den Salbei fein hacken. Außerdem den Lauch waschen und in feine Streifen schneiden.
Später den Ofen auf 175° C vorheizen.
1/2 Stunde vor Essenszeit:
Die Pfirsiche in eine flache Auflaufform setzen. Die roten Zwiebeln dazwischen verteilen. Oben auf die Butter in Flöckchen geben und den Salbei streuen. Die Pfirsiche für 30 Minuten im Ofen garen.
Danach für die Koteletts eine Pfanne aufsetzen und heiß werden lassen. Etwas Butterschmalz darin schmelzen und die Koteletts von jeder Seite für etwa 4 Minuten kross anbraten, so dass sie eine schöne Farbe bekommen. Dann aus der Pfanne nehmen und für etwa 10 Minuten ebenfalls in den Ofen stellen. Wer sich auf ein Bratenthermometer verlassen will, sollte 57 °C Kerntemperatur anstreben.
Anschließend für das Lauchgemüse in einem kleinem Topf die Butter bräunen, dann den Lauch und den Rest der Pfirsich-Gewürzmischung (siehe oben) hineingeben. Den Lauch dünsten, am Schluss mit etwas Sahne und Portwein ablöschen. Mit geriebener Tonkabohne, Chili, Salz und Pfeffer abschmecken.
Zum Anrichten:
Die Koteletts aus dem Ofen nehmen und noch etwas ruhen lassen.
Überschüssiges Wasser vom Roggen ggfs. abgießen und etwas Butter unterrühren. Dann alles zusammen anrichten, die Koteletts ggfs. aufschneiden. Die Ziegenkäse-Crème als letztes dazu geben.
Nachsätze & Links
- Sowohl Ziegenkäse-Crème als auch Pfirsiche müssen nicht bereits am Vortag vorbereitet werden. Ich wollte nur am eigentlich Kochtag mehr Zeit mit meinen Gästen verschwenden können. Durch die Vorbereitungen bestanden die Arbeiten am Kochtag selbst dann vor allem aus viel Garzeit und der Möglichkeit, sich bei dem ein oder anderen Drink zu unterhalten.
- A propos Drink: Als das Essen feststand, fehlte nur noch eine passende Getränkebegleitung. Nicht zum Essen – zum Kochen natürlich. Die Wahl fiel mir leicht; zum Aperitif hat mich ein White Port & Tonic begleitet. Danke Marco für die Inspiration!
- Das Fleisch durch das Einlegen in Brine super zart wird, hatte ich zum ersten Mal bei Zorra gelesen [hier zum Beispiel]. Das wollte ich schon lange probieren – und als ich bei food52 von dieser Brine-Lösung für Pork Chops las, war klar welchen Weg mein Wollschwein gehen würde.
- Bri-Bra-was? Ja, hab ich mich auch gefragt… Gut, dass Wickie [kleiner Scherz, konnte ich mir nicht verkneifen...] alles weiß: eine Brine ist also eine Salzlösung/ Salzlake bzw. Pökellake [danke! jetzt wundere ich mich auch nicht mehr über den hohen Salzgehalt], ursprünglich zur Haltbarmachung u.a. von Fleisch verwendet. Durch das in unserem Fall nur kurze Brining vor der Zubereitung wird das Fleisch saftiger. Dabei hilft der Salzgehalt, dass das Wasser a) in die Zellen eindringt und b) auch dort bleibt [für die Lebensmittel-Chemiker: Osmose/Denaturation].
- Dass wir das Gefühl haben, es mangelt an Zeit – das kennt wohl jeder. Gerade erst las ich bei Jana: “Mir fehlt vor allem Zeit oder besser: mehr Freiheit, über meine Zeit selbst zu bestimmen.” … ich frage mich, ob wir wieder mehr [gefühlte] Zeit haben, wenn wir verschwenderischer damit umgehen und nicht versuchen an jeder Sekunde und Minute zu sparen und zu optimieren. Vielleicht müssen wir weniger der Zeit [und ihren Trends] hinterherjagen, als das tun, was unserem Herzen gut tut.
- * unvollständige Liste, was ich demnächst wieder öfter/gelegentlich tun werde: weiter spanisch lernen, zeichnen, Kickboxen lernen (alternativ: Superagentin werden…), öfter ins Kino gehen, my secred sunday pflegen, stricken, vielleicht auch nähen lernen (unwahrscheinlich), reisen, sich Zeit für die Zeit nehmen, kochen, schlafen, essen, schlafen… die alten Leutchen im Altersheim besuchen, bloggen, durch den Regen hüpfen, wandern, ganz im Allgemeinen und Besonderen: Staub aufwirbeln…
- alle Zitate im obigen Text stammen übrigens aus Michael Endes Buch “Momo – oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte”
- Liebste Grüße auch an Fräulein Kokosnuss, die inzwischen zu sensationellen 2 Menschen gehört, die ich kenne und die das Buch Momo tatäschlich gelesen (und nicht nur den Film gesehen) haben. [Anm. an eben jene Dame: Eine total zeit-verschwendende Mail folgt – vielleicht mal ich Dir auch noch ne Stundenblume ;-) ]