Bildlich gesprochen müßte dieses erste, offizielle Studioalbum von Frank Ocean bei all dem Gewicht der Nebengeräusche, die es in den letzten Wochen aufgesammelt hat und nun mit sich herumschleppt, in die Knie gehen – mehr noch als beispielsweise Lana Del Rey’s „Born To Die“ ist „Channel Orange“ undenkbar ohne die Aufgeregtheiten der öffentlichen Wahrnehmung. Denn nicht von ungefähr kollidiert (auch) dieses Werk nicht zu knapp mit dem Moralkatalog des „Land of the Free and Home of the Brave“. Nicht genug damit, dass die Nation einen schwarzen Präsidenten ertragen muß, der sich noch dazu charmant, clever und nötigenfalls erschreckend selbstbewußt in der medialen Erlebniswelt zu bewegen weiß.
Nun bekennt sich mit Frank Ocean auch noch ein nicht ganz unpopulärer R&B-Sänger, den man bequemerweise ja schon der randalierenden (Wolf-)Gang von Tyler, The Creator zugeschlagen hatte, via tumblr zur Bisexualität und meint dem christianisierten Amerika auch noch erzählen zu müssen, wie wenig er von dessen quasiverstaatlichter Religion hält. Interessant an dieser Debatte ist natürlich, dass sie an weißen und schwarzen Werten gleichermaßen rüttelt – worauf zum Henker soll man sich denn dann noch verlassen?
Dass der Leidensdruck, unter dem der Junge offenkundig stand, dieses überaus wundervolle Album zu Tage gefördert hat, gibt „Channel Orange“ vielleicht einen etwas bitteren Beigeschmack, gleichwohl wären auch die Songs der Altvorderen, mit denen Ocean nun verglichen wird, also Marvin Gaye, Curtis Mayfield oder Stevie Wonder, ohne die Veräußerung solcher Kämpfe und Zerreißproben wahrscheinlich nicht existent. Und dass der Hinweis auf diese Vorbilder keineswegs anmaßend ist, zeigt schon der erste Song des Albums: „Thinkin Bout You“, das Stück also, das als Liebesbotschaft an beide Geschlechter gleichermaßen funktioniert, ist mit seinem wattigen, soften Beat und Oceans zartem Falsett allein schon eine Offenbarung.
Es folgen, immer wieder von kurzen Skits, Einschüben unterbrochen, jede Menge solcher erstklassigen Nummern – das angefunkte „Sierra Leone“ mit feinen Gitarrenloops, das soulige „Super Rich Kids“ als galliger Zug durch die Lebensentwürfe der Superreichen. „Pyramids“ mit seinen knapp zehn Minuten ein weiterer Höhepunkt und auf dem Album ein Track, an dem mal etwas mehr geschraubt wurde, vagabundierende Synthieschleifen, Gitarrensequenzen und ein ganz und gar kitschiges Rockriff – passt alles bestens. Unschlagbar dann der Klagegesang „Bad Religion“ an den imaginären Cab Driver – Ocean zetert herzergreifend „...to me it’s nothing but a one-man-cult“ und „...if it brings me to my knees it’s a bad religion“, da hört man bei dem einen oder anderen Würdenträger schon den Kiefer mahlen.
Der Blues von „Pink Matter“ – seinem „she“-Song, assistiert von André 3000 (Outkast), läßt das zuvor schon zerrissene Herz gnadenlos bluten, gleiches passiert ein Stück darauf bei „Forrest Gump“, nur ist der Adressat diesmal ein Junge, der ihm im Kopf herumgeht („My fingertips and my lips, they burn from the cigarettes, forrest gump, you run my mind boy…”). Die restlichen Titel unerwähnt zu lassen ist eigentlich grob fahrlässig, doch wer allein die genannten gehört hat weiß, dass dieses Album nicht weniger als eine kleine Sensation ist, vergleichbar vielleicht nur mit dem Meisterwerk “My Beautiful Dark Twisted Fantasy” seines Mentors Kanye West. Den Lehrjahren ist er mit dieser Platte jedenfalls definitiv entwachsen. http://frankocean.com/
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