Reichtum

Letzten Monat hat mir jemand Geld geschenkt. 800 Euro um genau zu sein. Mit der ausdrücklichen Anweisung, mir davon etwas Schönes zu kaufen oder etwas Schönes für mich zu tun.

Vor 25 Jahren wären 800 Euro bzw. deren Äquivalent in D-Mark ein solch unermeßlicher Reichtum für mich gewesen, dass ich ihn überhaupt nicht hätte einschätzen können. 800 Euro, 700 Euro, 600, 500, 400: Alles Reichtum!

Vor 15 Jahren hätten mich 800 Euro einfach nur glücklich gemacht.

Es stimmt nicht, dass Geld glücklich macht, aber es stimmt, dass man ohne Geld nicht glücklich sein kann. Die bohrenden Sorgen, die man hat, sobald die ersten Abzüge vom Konto stattgefunden haben und noch so verdammt viel Monat übrigbleibt. Das nachts wach liegen, weil man weiß, das bald eine Vierteljahresrechnung fällig ist, die nackte Verzweiflung, die einen überkommt, wenn etwas kaputt gegangen ist und man es sich weder leisten kann, es reparieren zu lassen, noch, es nicht zu tun.
Verdammt, wie viel Kummer und Angst wären uns erspart geblieben, hätte man mir damals 800 geschenkt?
Ich wäre selig gewesen, trunken vor Glück.

Und heute?
Sind wir reich? Sicherlich nicht.
Sind wir arm? Definitiv nicht.
Sind wir wohlhabend? Hm. Definitionssache, schätze ich.

„Es geht uns eigentlich ganz gut“ ist die Definition unserer Finanzlage.
Unsere Schulden sind übersichtlich, werden monatlich abbezahlt und beschränken sich auf vernünftige Dinge wie BaFÖG oder Autokauf.
Wir wohnen gut und haben mehr Platz, als wir derzeit bräuchten.
Wir haben genug zu essen, können uns jeden Tag frisches Obst und Gemüse und Fleisch von der Metzgertheke leisten.
Wir gehen ab und zu essen, ins Kino oder auf eine Kirmes und verwöhnen die Kinder ab und an.
Wir fahren einmal im Jahr in den Urlaub.
Die Kinder können einem Hobby nachgehen.
Wir spenden jeden Monat einen Festbetrag und legen ebenso einen Notgroschen sowie etwas für unsere Altersvorsorge zurück.

Was also soll ich mit den 800 Euro anfangen?

Wir könnten ein Haus kaufen, aber dafür – ebenso wie für ein Auto – reichen 800 Euro dann doch nicht. Was sonst?
Ich habe drei verschiedene, wunderschöne Armbänder aus Silber und Gold. Mehr als 2 Ohrringe auf einmal kann ich eh nicht tragen, dennoch habe ich mehrere Paare Echtschmuck, lang und kurz. Anderen Schmuck brauche ich nicht, wozu?
Mein Kleiderschrank ist so voll wie unsere Wohnung: Nachdem endlich gute Zeiten anbrachen haben wir uns nach und nach all das geleistet, wofür früher das Geld fehlte: Ein neues Regal, eine Zitronenpresse, ein Garderobenständer, ein Drucker.
Haben wir jetzt alles, läuft auch nicht weg. Also?
Wofür gebe ich Geld aus?

Ab und zu ausgehen, aber das ist auch so drin. Bücher, natürlich. Aber ehrlich: Mit den Kindern, dem Haushalt, der ehrenamtlichen Arbeit und dem Schreiben kann ich mittlerweile sowieso schon schneller Bücher kaufen, als ich lesen kann.

Es geht uns finanziell so verdammt gut. Viele sehen das nicht so, fragen: „Aber wäre es nicht schön, wenn Du Dir dies und das leisten könntest?“
Und dann staune ich immer und schüttele den Kopf und zähle alles auf, was wir uns alles leisten können. Und finde, dass das genügt. Muss es denn immer mehr und mehr sein?
Was mir wirklich wichtig wäre, nämlich die Gewissheit, nie wieder in größere Geldsorgen zu kommen, kann ich mir eh nicht kaufen.

Überhaupt kann ich mir die wichtigsten Dinge nicht kaufen, nicht mit allem Geld der Welt.
Ich kann mit Geld nicht die Zeit zurückdrehen und verhindern, dass mir mein erster fester Freund das Herz bricht.
Ich kann mir keine Liebe kaufen
Keine Freunde, kann mir nicht kaufen, dass jemand, der mir Unrecht getan hat, um Verzeihung bittet.
Und ich kann mir nicht kaufen, dass mich 800 Euro glücklich machen.

Ich wünschte, es wäre so wie damals. Als auch 10 geschenkte Euro toll waren, als ich wochenlang warten musste, bis ich mir ein Buch oder gar neue Schuhe kaufen konnte. Da hätten mich 800 Euro umgehauen, hätten Herrn L. und mich so glücklich gemacht, wie man nur sein kann.

Heute bedeuten sie mir nichts.
Weil ich mir davon nicht das kaufen kann, was ich mir von Herzen wünsche?
Oder weil ich schon alles habe?


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