Reflexionen über Sprache

Reflexionen über Sprache

Schon lange schreibe ich nicht und will auch nicht über Integration und den Rest der Probleme schreiben, die damit in Verbindung stehen. Die Diskussionen sind eine Endlosschleife: „wird Integration richtig definiert oder nicht… wir sind doch integriert… Integration ist es…“ bla bla bla. Aber eigentlich weiß keiner so richtig, was er so schreibt und die ganze Diskussion ist schon lange nicht mehr objektiv. Wir befinden uns doch ständig in einer Lage der Gefühlsfaselei. Die Mehrheitsgesellschaft sagt dann, der böse Türke, Araber, was auch immer hat dies und das getan, und wir Engagierten sind dann ganz empört und schwafeln etwas von Schubladendenken. Neulich ist auch modern zu antworten, „packt euch doch selber an die Nase“ und „wisst ihr, was wir in der Vergangenheit alles geschafft haben“. Dazu kann ich nur sagen, unsere Vorfahren haben es geschafft, nicht wir. Was schaffen wir eigentlich?

Egal auch das ist nicht mein Thema. Wie wir alle kennen, ist die feurigste Argumentation der Mehrheitsgesellschaft, dass wir nicht integriert sind, der Glaube, dass wir nicht die deutsche Sprache beherrschten. So viele engagierte Cube Mag Schreiberinnen und Schreiber können an diesem Standpunkt auch nicht rütteln. Auch haben wir „Ausländer“ diese Problematik  erkannt und geben von nun an auch in unseren Kulturzentren und Moscheen Deutsch-Unterricht. Doch frage ich mich: Wissen wir eigentlich, was wir mit dieser Forderung wollen? Was bedeutet es, die Sprache zu sprechen? Ist die Sprache durch zwei Jahre Unterricht gelernt? Wir können doch die deutsche Sprache sprechen und schreiben, auch recht gut, also sind wir doch integriert, stimmt das? Viele werden jetzt zustimmend nicken. Ich jedoch glaube nicht, dass wir integriert sind und werden es wahrscheinlich lange nicht sein! Und dies obwohl wir die Sprache verstehen, sprechen, schreiben und teils auch besser als die Muttersprachler sind. Was bedeutet es, eine Sprache zu sprechen?

Eine Sprache zu beherrschen, bedeutet in dieser Sprache zu denken, in dieser Sprache zu träumen (hat der Deutschlehrer zu meiner Mutter mal gesagt), sich in dieser Sprache artikulieren zu können. Wenn wir türkisch denken und Deutsch sprechen, beherrschen wir diese Sprache nicht. Dies lässt sich an unseren kläglichen Versuchen, türkische oder arabische Bücher in die deutsche Sprache zu übersetzen, fest machen. Ganz einfaches Beispiel: Wenn wir von „Iman“ sprechen, übersetzen wir dies mit „Glauben“. Wenn wir nun z.B. auf Türkisch sagen „iman ediyorum“, werden wir es höchstwahrscheinlich mit „ich glaube“ übersetzen. Doch wird jeder, der der Sprache mächtig ist, merken, dass bei dieser Übersetzung ein Sinneswandel herrscht. Während „iman ediyorum“ eine Sicherheit, eine Absolutheit beinhaltet, versteht man „ich glaube“ nicht als Sicherheit, sondern eher als eine gewisse Unsicherheit. Besser lässt sich „iman ediyorum“ vielleicht mit „ich weiß“ übersetzen, aber dies kann natürlich auch keine gute Übersetzung sein, weil “wissen” etwas Kognitives, Apriorisches beinhaltet. Besser wird vielleicht auch „ich vertraue“ sein, doch der Kundige wird wohl einsehen, dass auch diese Übersetzung nicht richtig sein kann und dass eine Übersetzung von „iman ediyorum“ eigentlich alle drei Bedeutungen in sich tragen müsste. Glaube und Iman, sind nicht deckungsgleich. Warum eigentlich nicht? Haben wir uns das je gefragt? Ich denke, diese Frage hat einen plausiblen Grund und das ist nämlich die Aufklärung. Ich gehe davon aus, dass nach der Aufklärung das Wort „Wissen“ eine viel bedeutendere Rolle eingenommen und absolutere Bedeutung bekommen hat, als das Wort „Glaube“. Das Wort „Glaube“ wurde abgeschwächt und nun bedeutet es nicht mehr als „Vermutung“.  In den muslimischen Ländern ist jedoch derartiges nicht passiert und natürlich durchzog die Sprache auch keinen derartigen Wandel. Und genau da fängt das Problem nämlich an und das ist Kultur. Sprache ist nämlich Kultur. Unsere Kulturen sind einfach zu verschieden. Wir können uns nicht ausdrücken, so können wir uns nicht verständig machen und unser Gegenüber richtig verstehen. Gleichermaßen  kann die Mehrheitsgesellschaft sich uns gegenüber nicht ausdrücken und uns nicht verstehen. So dramatisch ist das natürlich nicht, aber das ist eben das Problem, wenn wir von Sprache sprechen. Ich denke, viele Lebenssituationen werden euch die Plausibilität meiner Theorie deutlich machen. Die momentane deutsche Sprache kann unsere Kommunikationsansprüche nicht erfüllen, da wir in dieser Sprache unsere Gedanken nicht aussprechen können. Also ist die Sprache im Moment unzureichend oder wir kennen sie nicht mit ihren Feinheiten.

Wir haben ein Kommunikationsproblem liebe Leute. Das müssen wir einsehen und das hängt von den verschiedenen Kulturen ab. Und etwas dagegen zu tun, ist auch nicht leicht. Da reichen ein paar Deutschstunden auch nicht. Was können wir also tun?

Kultur hat wie gesagt etwas mit Sprache zu tun und an der Sprache können wir die Philosophie, die Denkweise und Geschichte einer Bevölkerungsgruppe erkennen. Friedrich Rückert, ein Romantiker, schrieb um 1814 im Zuge der Befreiungskriege diese Verse über seine Sprache: “Nur noch ein einziges Band ist euch geblieben:/Das ist die Sprache, die ihr sonst verachtet;/Jetzt müsst ihr sie als euer Einziges lieben”. Sprache verbindet also und wir werden die gleiche Sprache sprechen. Dies ist jedoch ein langer Prozess, denn die Sprache zu sprechen, bedeutet nicht nur die Formalien zu kennen, sondern auch die Kultur, die Denkweise, die dahintersteht. Unsere erste und zweite Generation konnte trotz sehr guter Deutschkenntnisse, die hiesige Gesellschaft nicht ganz verstehen. Mit verstehen, nicht falsch verstehen, meine ich natürlich nicht die kleinen Small Talks und die Unterhaltungen. Ich meine die Konversation auf hoher geistiger Ebene. Wir hier Geborenen sind da im Vorteil. Wir verstehen die hiesige Gesellschaft, auch mit all ihrer Metaphorik und ihrem Kanon an Literatur, doch das Problem bei uns ist, dass die Mehrheitsgesellschaft uns nicht versteht, da wir die Sprache noch nicht dahingehend verfeinert haben, unsere Denkweisen aussprechen zu können (Bsp. Iman ediyorum). Ein Beispiel für den Gedankengang kann mein Text „Ein paar Worte zu diesem Lied“ und die Kommentare dazu sein. Der moderne Leser kann, da er in einer anders strukturierten Gesellschaft lebt, den Gedankengang der Protagonistin Sasha aus dem Werk „Lied ohne Worte“ von Sofja Tolstaja, nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Ich als Muslim kann den Gedankengang besser nachvollziehen, weil ich durch meine „konservative“ Haltung näher am Geschehen bin. Also ist es die Kultur, die das Verständnis oder das Unverständnis auslösen kann. Ein anderes Beispiel ist vielleicht die Jungfräulichkeit. Ich glaube, viele können unmöglich verstehen, in welchen Paradoxien und mit welchen Gewissensbissen ein Muslim, der denn seine Jungfräulichkeit verloren hat, lebt. Unsere Nachfahren werden auch dieses Problem der Kommunikation beseitigen, doch ein grundlegender Faktor ist wichtig, der gleich erklärt wird.

Dies bedeutet ganz und gar nicht, dass wir nicht versuchen sollten oder es schier unmöglich ist, hier integriert zu sein. Integration wird es sicherlich geben, doch es ist kein kurzfristiger Prozess, der innerhalb von einem halben Jahrhundert von statten gehen kann. Integration wird dann stattfinden, wenn wir mit der Mehrheitsgesellschaft zusammen eine neue Kultur entwickeln. Um denn eine Kultur zu entwickeln, muss sich auch eine Sprache entwickeln. Gemeint ist damit natürlich die Verfeinerung der Sprache, dass sie auch die Kommunikationsansprüche der neuen Kultur erfüllen kann. Also brauchen wir die geschriebene Sprache, um anfangs nun erst einmal uns selber ausdrücken zu können. Wir werden niemals hier integriert sein, wenn wir nicht anfangen, Bücher zu schreiben. Wenn wir nicht endlich mal anfangen, diese Kultur mit unseren Romanen, Dramen, unserer Lyrik, unserer Kunst und unserer Musik zu prägen und es nicht schaffen, zusammen mit der Mehrheitsgesellschaft eine prägende Rolle in dieser Literaturepoche zu sein. Wenn wir diesen Anforderungen nicht nachkommen, können wir uns die Integration abschminken. Wir müssen zusammen eine neue Kultur, eine unserer Bedürfnisse nachkommenden Sprache entwickeln. Ich will jedoch klar und deutlich machen, dass ich mit unseren Romanen, Dramen, unserer Lyrik, Kunst und Musik nicht den Abklatsch unserer Vorfahren meine. Eine neue Kultur mit all ihrem Kanon an literarischen Werken muss entstehen, die die eigene Kultur, aus der sie stammt und die Kultur in der sie lebt vereinen, eine Synthese bilden kann. Wir müssen anfangen, in diese Epoche einzugreifen, um unsere Ideen und unsere Impulse auch in diese Gesellschaft einbringen zu können, um sie bereichern zu können, um genau dieser Gesellschaft nützlich sein zu können. Wir müssen endlich aufhören vom Heimatland zu träumen, und die Realitäten erkennen. Wir müssen nützlich, sinnvoll, wertvolle Mitglieder dieser Gesellschaft sein und dies können wir nur, wenn wir erst einmal die Idee, die Vision dazu haben. Wo sind unsere Ideen, unsere Beiträge, unsere Visionen? Erst dann nämlich können wir das Kommunikationsproblem lösen. Also hören wir auf, von Integration zu schwafeln.

Ich weiß, dass ich mich im Moment auf einem schweren Terrain bewege. Für mich ist dieser Gedankengang auch neu und muss in meinem Kopf noch feiner entwickelt werden. Daher entschuldige ich mich im Voraus, dass ich möglicherweise Unverständnis bewirke. Doch mit Kritik, Fragen und einer Diskussion können wir das Unverständnis vielleicht klären. Wichtig ist bei meinem Gedankengang jedoch, dass wir anfangen sollten, in der Schriftsprache uns zu entwickeln. Denn die Schrift ist ein Mittel um unsere Denkweisen auszusprechen, zu klären. Wenn wir nicht anfangen über unsere Denkweisen zu schreiben und somit der eigenen Kritik und der Kritik anderer zu überlassen, dann können wir uns weder entwickeln, noch unsere Probleme klären… BiIzniAllah


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