Während sich EU-Kommission und Bundesregierung mit Kommentaren zurückhalten, zeigen sich FDP-Chef Rainer Brüderle, der finnische Europaminister Alexander Stubb oder der schwedische Außenminister Carl Bildt empört über ein solch ungewohntes Maß an demokratischer Mitbestimmung.
Die jüngsten Beschlüsse des Euro-Gipfels stellen Griechenland vor schwierige Herausforderungen. An den „Schuldenschnitt“ und an weitere „Hilfsleistungen“ sind harte Konditionen und weitere Sparmaßnahmen geknüpft.
Papandreous Pläne: Vertrauensfrage und Referendum
Die Arbeitslosenquote in Griechenland lag im Juli 2011 bei 17,6 Prozent. In der Altersgruppe der 15- bis 24-jährigen sind bereits 40 Prozent der Griechen ohne Arbeit. Die Löhne befinden sich im freien Fall. Der öffentliche Dienst, die Renten und die Sozialleistungen sind erheblichen Kürzungen ausgesetzt. Die Lebenshaltungskosten steigen gleichzeitig dramatisch an.
Den Schuldenschnitt erklärt Jens Berger im Spiegelfechter Blog:
Als Beispiel kann hier die 2007 ausgegebene 10-jährige Anleihe GR0124029639 herangezogen werden. Diese Anleihe hat einen Nominalwert von 100 Euro, am Markt wird sie jedoch aktuell lediglich mit 31,52 Euro behandelt. Wenn eine Bank diese Anleihe zum Marktwert bilanzieren würde, hätte sie bereits fast 70% des ursprünglichen Wertes abgeschrieben. Ein Tausch, bei dem sie stattdessen ein Papier im Wert von 50 Euro bekommt, ist demnach kein schlechtes, sondern ein verdammt gutes Geschäft.
Eine aktuelle Meinungsumfrage zeigt, dass 85 Prozent der Griechen das Land „auf dem falschen Weg“ sehen. 92 Prozent der Befragten sind mit der Regierung unzufrieden. Beobachter gehen davon aus, dass sich aktuell rund 60 Prozent der Bevölkerung gegen die EU-Beschlüsse entscheiden würden.
Mit seinem unerwarteten Vorstoß, die griechische Bevölkerung im Rahmen eines Referendums selber über die EU-Beschlüsse entscheiden zu lassen, sorgt Papandreou in der Politik und an den Märkten für Irritation. Gleichzeitig will der Regierungschef im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Die Debatte hierüber soll bereits am Mittwoch beginnen. Die Abstimmung ist für Donnerstag oder Freitag zu erwarten.
Politik irritiert, Märkte verunsichert
Die Ankündigung von Papandreou hat deutliche Auswirkungen für die Märkte. Der Euro verliert gegenüber US-Dollar drei Cent, der DAX sinkt zum Handelsbeginn um mehr als drei Prozent. Die Aktien von Banken und Finanzkonzernen verzeichnen Kursstürze von mehr als zehn Prozent. Der wichtigste griechischer Aktienindex sinkt um mehr als acht Prozent.
Weniger zurückhaltend äußerte sich FDP-Chef Rainer Brüderle. Er forderte die Eurozone auf, sich auf eine griechische Staatspleite vorzubereiten. Diese sieht er als unvermeidlich an, wenn sich die Griechen gegen eine „Anpassung in der Wettbewerbsfrage“ und gegen den „Reformprozess“ entscheiden. Brüderle zeigt sich „irritiert“ von Papandreous Vorstoß und bezeichnet dessen Verhalten als „merkwürdig“.
Der finnische Europaminister Alexander Stubb meldet Zweifel an einem Verbleib Griechenlands in der Eurozone an: „Die Situation ist so angespannt, dass es im Prinzip eine Abstimmung über die Euro-Mitgliedschaft wäre“. Und der schwedische Außenminister Carl Bildt kommentiert die Pläne zur Volksabstimmung bei Twitter: „Es gelingt mir wirklich nicht zu verstehen, worüber Griechenland ein Referendum haben will. Gibt es denn echte Optionen?“
Auch in Wirtschaftskreisen wird das Referendum kritisch beurteilt. „Bei einem Nein müsste Griechenland sofort Bankrott erklären„, sagte der Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Pissarides. „Ich sehe nicht, dass Griechenland im Euro bleiben könnte.“ Benjamin Schroeder, Zinsstratege bei der Commerzbank kommentiert: „Das gesamte Rettungspaket steht nun wieder infrage und eine harte Umschuldung scheint nicht mehr abwegig“.
Demokratie ist „merkwürdig“
Dass sich allerdings auch die Politik so unverhohlen dagegen ausspricht, die Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen, gewährt tiefe Einblicke in das Demokratieverständnis der Akteure. Papandreou schlägt vor, dem Volk die Entscheidung über seine künftigen Lebensbedingungen zu überlassen und der Vertreter einer deutschen 2-Prozent-Partei findet das „merkwürdig“.