Der Aufbau einer neuen demokratischen Presse im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit war eine hochpolitische Aufgabe. Noch bevor offen der Kalte Krieg ausbrach, wurde Zeitungen zu einem wichtigen Machtinstrument im interalliierten Kampf um die Demokratisierung der Stadt. Eine Studie stellt den Aufbau des Pressewesens in Berlin 1945/1946 in den Mittelpunkt.
Berliner Historie nach dem Zweiten Weltkrieg war bis 1990 vor allem lokale Spiegelung der globalen Auseinandersetzung zwischen Ost und West im Kalten Krieg und in diesem Sinne auch ein geballtes Stück Weltgeschichte. Berlin war zugleich Mittelpunkt, Symbol und Seismograph des Kalten Kriegs. Hier war er mitunter am heißesten - hier brach er auch am frühesten aus.
Die ideen-bzw. diskursgeschichtlich angelegte Studie aus dem Jahr 2001 widmet sich einem eher unterbelichteten, noch nicht systematisch bearbeiteten Aspekt des beginnenden Kalten Kriegs in Berlin: der Entstehung und Entwicklung seines Pressewesens in den ersten beiden Nachkriegsjahren. In Berlin wuchs der Zeitungsmarkt erstaunlich schnell. 1946 erscheinen dort bereits 16 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von fast zwei Millionen Exemplaren. Diese bemerkenswerte quantitative Vielfalt der Presseerzeugnisse resultierte unmittelbar aus der besonderen Vier-Mächte-Konstellation mit ihren divergierenden Demokratievorstellungen. Den publizistischen "Kampf um die Macht in den Köpfen" (9) leitete die Sowjetische Militäradministration bereits im Mai 1945 durch die schnelle Herausgabe von insgesamt sechs unterschiedlichen akzentuierten Zeitungen ein. Auf diese reagierten die amerikanische und englischen Besatzer ihrerseits mit pressepolitischen Gegenmaßnahmen. Die Frage nach der jeweiligen strategischen Zielsetzung und konkreten Vorgehensweise bei dem gegenseitigen "ideologische[n] Aufrüsten" (53) steht im Mittelpunkt der konzentrierten Analyse. Hierfür wird weit ausgeholt. Im ersten Teil werden die pressepolitischen Konzepte der sowjetischen und der amerikanischen Planungsstäbe während des Krieges kontrastiert, im zweiten Teil deren Umsetzung im zerstörten Nachkriegsberlin geschildert. Dabei konzentrierte ich mich vornehmlich auf die noch heute existierenden Zeitungen, die sowjetisch lizenzierte Berliner Zeitung und den amerikanisch lizenzierten Tagesspiegel, schilderte deren Entstehung, deren Führungspersönlichkeiten und deren besondere Charakteristika im Vergleich. Im umfangreichen dritte Teil wird pars pro toto die erste Auseinandersetzung zwischen den Berliner Zeitungen um die Frage der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD anschaulich und quellennah nachgezeichnet. Die Bereitschaft des Tagesspiegel, sich für zwei Wochen den sozialdemokratischen Fusionsgegner zur Verfügung zu stellen, trug wesentlich zum Überleben einer eigenständigen Westberliner SPD bei. Gerade an diesem tagespolitischen Fallbeispiel wird augenscheinlich deutlich, wie Strategie und Taktik der politischen Berichterstattung sich an der jeweiligen Gegenseite orientierte und dadurch beeinflusst wurde.
Die große Weltpolitik im KleinenDer Wert der Arbeit liegt nicht nur in der Interpretation der damaligen Ereignisse, sondern auch in seiner makropolitischen Perspektive. Sie öffnet den Blick auf die komplexen, ja weltpolitischen Dimensionen der damaligen Presseentwicklung und trägt zu deren tieferen Verständnis bei. Außerdem wertet die Studie die vorhandenen Quellen und einschlägige Literatur sachlich-kritisch aus, was zum gezielten Weiterforschen einlädt. Die ausführliche Bibliographie spiegelt den aktuellen Forschungsstand wider. Ein Personenregister und eine Zeitleiste ermöglichen dem Benutzer außerdem den schnellen Zugang.
Das Buch in Kurzform:Christoph Marx
Reeducation und Machtpolitik - Die Neuordnung der Berliner Presselandschaft
ibidem-Verlag: Stuttgart 2001. 172 Seiten, davon 20 Seiten Literaturverzeichnis
Preis: 29, 90 €.
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Der Münchner Christoph Marx ist freier Publizist, Lektor und Redakteur und lebt und arbeitet in Berlin. Er veröffentlichte bzw. verantwortete inhaltlich zahlreiche Werke, v.a. zu historisch-politischen, gesellschaftlichen, sportlichen und kulturellen Themen.