Rechtsschutzversicherung – Anmerkung zum Urteil des LG München I vom 21.03.13 Az. 25 O 7649/12

1. Ein  Deckungsklageantrag, der die Beklagte verpflichtet, Deckung für die Schadensersatzgeltendmachung „… gegen die im Klinikum … zuständigen Ärzte“ zu gewähren, ist ausreichend bestimmt, sofern aus der Klagebegründung irgendwie hervor geht, welche Ärzte theoretisch haftbar wären.

2. Ein Rechtsschutzfall in der Produkt-/ und Arzthaftung, der sich gegen den Hersteller und die Ärzte richtet, ist grds. als Deliktsrecht und damit grds. als sog. Schadensersatzrechtsschutz nach §§ 2a, 4 I) a) ARB einzustufen. Dieser ist nicht ausgeschlossen, weil der Schaden auch auf einer Vertragsverletzung beruht. Durch die Erteilung einer Herstellergarantie kommt kein Vertrag mit dem behandelten Patienten zustande. Eine vertragliche Haftung und damit die Anwendung der für den VN ungünstigeren Spezialregelung des Vertragsrechtsschutzes nach § 4 I) c) ARB muss der Versicherer beweisen.

3. Schadensereignis ist danach der äußere Vorgang, der den Schaden unmittelbar herbeiführt oder der Eintritt des Verletzungszustandes, im Falle schadhafter Brustimplantate also das spätere Reißen der Implantatshülle und nicht das zeitlich zuvor angesiedelte Implantieren der schadhaften Implantate (Folgeereignistherorie). Bei einem Rechtsschutzfall aus ärztlichem Behandlungsfehler ist dann nicht bereits der Behandlungsfehler, sondern erst der Beginn der Gesundheitsbeeinträchtigungen der zeitlich relevante Versicherungsfall.

(…)

Aus den Gründen:

(…)

Anmerkung:

I) Wichtige Besonderheiten des Falles:

1) Streitige ARB-Regelungen

Die Klägerin macht Deckungsansprüche für die Durchsetzung von Ansprüchen aus Arzt-/ und Produkthaftung gegen die beklagte Rechtsschutzversicherung geltend.

Streitentscheidend ist die Anwendung der Regelungen der §§ 2a) und d) und 4 I) a) und c) der von der Bekl. verwendeten ARB (abgek. ARB).

§ 2a) und d) lauten:

Je nach Vereinbarung umfasst der Versicherungsschutz

a) Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatz- und Unterlassungsansprüchen, soweit diese nicht auch auf einer Vertragsverletzung oder einer Verletzung eines dinglichen Rechtes an Grundstücken, Gebäuden oder Gebäudeteilen beruhen.

d) Rechtsschutz im Vertrags- und Sachenrecht

für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus privatrechtlichen Schuldverhältnissen und dinglichen Rechten sowie …, soweit der Versicherungsschutz nicht in den Leistungsarten a), b) oder c) enthalten ist.

Gemäß § 4 ARB besteht Anspruch auf Rechtsschutz nach Eintritt des Rechtsschutzfalles

a) im Schadensersatz-Rechtsschutz gemäß § 2 a von dem Schadensereignis an, das dem Anspruch zugrunde liegt (Anmerkung des Verfassers =sog. Folgeereignistheorie), …

c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

2) Maßgebliche Zeitpunkte

Am 12.12.2005 ließ sich die Klägerin zwei Brustimplantate der Firma La. in der Klinik R. von den Ärzten Dr. S. und Dr. G. implantieren (=Zeitpunkt der Implantation).

Anfang August 2011 stellten sich bei der Klägerin erstmals Beschwerden ein, weshalb sie sich in das Klinikum der Universität M. begab (=Zeitpunkt des Schadenseintritts). Dort stellte sich am 08.08.2011 heraus, dass eine Ruptur des Brustimplantates links vorlag.

3) Begehr und Klageantrag der Klägerin

Mit Schreiben vom 06.10.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Deckungsschutz für ein gesamtschuldnerisches Vorgehen gegen den Implantatshersteller (Firma L) (aus Produkthaftung und Garantie) und gegen die Klinikärzte (aus Arzthaftung) wegen der Folgen aufgrund des im August 2011 aufgetretenen Fehlers/Schadens.

Die Klägerin beantragte in der mündlichen Verhandlung:

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei für die außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Produkt-/Arzthaftung…

  1. 1.   gegen die Hersteller der bei der Klägerpartei im August 2011 ruptierten Implantate der Firma “L”, sowie
  2. 2.   gegen die für die erste Implantatsoperation bzgl. der im August 2011 ruptierten Implantate der Firma “L” zuständigen Ärzte im Hause der der Klinik R.  

tarifgemäße Deckung dem Grunde nach aus dem zwischen der KI. und der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag (Versicherungsscheinnummer …) zu gewähren.

II ) Problemaufriss:

1) Einwendungen der Beklagten

Die Beklagte ist zunächst der Ansicht, der Klageantrag sei zu unbestimmt, da nicht mitgeteilt werde, gegen welche behandelnden Ärzte konkret vorgegangen werden solle.

Die Beklagte verweist auch darauf, dass hier nicht § 4 I) a) ARB einschlägig sei, sondern allein die Regelung des § 4 I) c) ARB und damit der Rechtsschutzfall nicht im versicherten Zeitraum liege.

Danach sei ein Rechtsschutzfall eingetreten von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer erstmalig einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Zeitlich maßgeblich für den Rechtsschutzfall ist gem. § 4 I) c) ARB demnach das sog. erste Ereignis bzw. der erste Verstoß, und damit nicht das erst spätere Ruptieren der Implantate im Jahre 2011, sondern bereits die frühere Implantation der mangelhaften Produkte im Jahre 2005. Im Jahre 2005 sei die Klägerin jedoch noch nicht bei der Beklagten versichert gewesen.

Die behandelnden Ärzte hätten erstmals bereits bei der Verwendung mangelhafter Implantate bei der Operation am 12.12.2005 gegen Rechtspflichten verstoßen. Zu diesem Zeitpunkt habe noch kein Rechtsschutzversicherungsvertrag bestanden.

Auch für das Vorgehen gegen den Hersteller wegen mangelhafter Silikonimplantate bestehe kein Rechtsschutzanspruch. Der Anspruch scheitere ebenfalls an Vorvertraglichkeit. Zwischen der Klägerin und der Herstellerfirma sei im Jahr 2005 ein eigenständiger Garantievertrag zustande gekommen.

Die Beklagte meint, dass hier also nicht auf die Schadensfolge im Sinne der vereinbarten Folgeereignistheorie des § 4 I) a) ARB abzustellen sei.

Denn es würde sich vorliegend gerade nicht um einen Schadensersatzrechtsschutzfall nach § 2 a) ARB handeln, sondern um den spezielleren Vertragsrechtsschutz iSd § 4 I) c), § 2 d) ARB.

Streitgegenständlich seien -so die Beklagte- auch vertragliche Schadensersatzansprüche aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag und aus dem Garantieversprechen des Herstellers.

Es sei deshalb nicht die Leistungsart des Schadensersatzsatzrechtsschutzes gemäß § 2 a ARB betroffen, da die Schadensersatzansprüche auch auf einer Vertragsverletzung beruhen würden.

Dies folge daraus, dass es ohne Abschluss eines Behandlungsvertrages nicht zur streitgegenständlichen Operation gekommen wäre, der Behandlungsvertrag also erstkausal für den Rechtsschutzfall sei. Der Vertragsschluss stelle die primäre Grundlage des Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und den Ärzten dar. Darauf, ob daneben eine in Frage kommende deliktische Haftung bestehe, komme es laut der Bekl. nicht an.

Auch die Garantie des Herstellers sei vertraglicher Natur,

2) Vortrag der Klägerin

Die Klägerin entgegnet, sie richte ihre Deckungsklage ausschließlich gegen die aufklärungs- und behandlungsfehlerhaft handelnden Ärzte und gegen den Hersteller, mit dem sie keinen Vertrag abgeschlossen habe.

Die Klägerin meint, es stehe ihr frei zu entscheiden, welche Personen aus welchem Recht sie in Anspruch nehme. Sie könne bei ihrer Deckungsanfrage iSd § 17 III ARB insoweit den Rechtsschutzfall bestimmen.

Dieses Bestimmungsrecht habe sie außergerichtlich ausgeübt, als sie mit Schreiben vom 08.12.2011 ausdrücklich erklärte, nur den Hersteller und nur den Arzt bzw. Operateur (und nicht die vertraglich haftende Klinik) in Haftung nehmen zu wollen.

Die Klinik werde von ihr schon deshalb nicht (mehr) in Anspruch genommen, weil diese gemäß schriftlicher Erklärung des dort angestellten Arztes Dr. S. insolvent sei.

Die von ihr in Anspruch genommenen angestellten Ärzte würden gerade nicht aus Vertrag haften. Auch aus der Herstellergarantie würden sich keine vertraglichen Ansprüche ergeben.

Folglich käme hier der Schadensersatzrechtsschutz nach § 2a ARB und damit auch die Folgeereignistheorie des § 4 I) a) ARB zur Anwendung, so dass der Rechtsschutzfall hier erst in der zeitlich später eingetretenen Schadensfolge, d.h. im Reißen der Implantate im Jahre 2011, zu sehen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe der Rechtsschutzversicherungsvertrag schon bestanden.

III) Bewertung:

Das Landgericht München I gab der Klage mit zutreffender Begründung statt.

Zur Kernaussage 1: Bestimmtheit des Klageantrages

Der  Deckungsklageantrag, der die Beklagte verpflichtet, Deckung für die Schadensersatzgeltendmachung „… gegen die im Klinikum … zuständigen Ärzte“ zu gewähren, ist ausreichend bestimmt, da aus der Klagebegründung hervor ging, welche Ärzte theoretisch haftbar wären.

Der verwendete Feststellungsklageantrag ist für den hier maßgeblichen Rechtsschutzfall nicht zu unbestimmt, da das streitige Rechtsverhältnis darin ausreichend im Sinne des § 256 ZPO bestimmt wird.

Zum einen wurde das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis ausreichend genannt, ebenso sind Identität und Umfang der Rechtskraftwirkung klar erkennbar.[1]

Die mithaftenden Klinikärzte sind aus den maßgeblichen Behandlungsunterlagen bestimmbar und eingrenzbar.

Berücksichtigt werden muss, dass es der Kl. lediglich um die Feststellung von Deckungsschutz für das außergerichtliche Arzthaftungsgeschäft geht.

Gemäß Urteil des LG München I vom 09.02.2012[2] sind in Rechtsschutzfällen aus dem Berufsunfähigkeitsversicherungsrecht die Darlegungsanforderungen des VN für außergerichtlichen Deckungsschutz deutlich unter den Anforderungen für gerichtlichen Deckungsschutz anzusiedeln.

Dies gilt entsprechend für den vorliegenden Arzthaftungs-/Produkthaftungsfall und entsprechend auch für die Bestimmtheit des Feststellungsantrages.[3]

Denn auch der Umfang der Deckungsprüfung durch den RS-Versicherer hat sich stets an § 17 III ARB zu orientieren, dh nur an denjenigen Umständen und Beweismitteln, die der Versicherungsnehmer im außergerichtlichen Geschäft zumutbar vortragen kann.

Gerade am Anfang eines Arzthaftungsfalles ist es dem Patienten oftmals nicht möglich ist, alle mithaftenden Ärzte genau zu benennen.

Vielmehr kann die exakte Bestimmung der einzelnen mitwirkenden ärztlichen Behandler oft erst am Ende der rechtlichen und medizinischen Prüfungen erfolgen, d.h. erst am Ende des außergerichtlichen Geschäftes. Insbesondere ist die genaue Bestimmung der Schädiger hier oftmals erst nach der Begutachtung durch einen Sachverständigen und nach der Prüfung der Behandlungsunterlagen u.ä. (OP-Berichte, Abrechnungsunterlagen, Auskünfte der Krankenversicherung usw.) möglich.

Demgemäß müssen dem geschädigten Patienten in seiner Deckungsanfrage für das außergerichtliche Arzthaftungsgeschäft bei der Benennung der in Betracht kommenden haftpflichtigen Personen entsprechende Erleichterungen zukommen.

Es wäre dem Versicherungsnehmer nicht zumutbar, wenn er das außergerichtliche Geschäft zunächst ohne Kostenschutz allein führen müsste, um seinen medizinrechtlichen Schadensfall zunächst bzgl. Haftungsgrund und Haftungsgegner vollständig und in jedem Detail dem RS-Versicherer darlegen zu können.[4] Denn er wird sich ohne Kostenschutz meist keinen Anwalt für die Bearbeitung des arzthaftungsrechtlichen Geschäftes leisten können, er würde -trotz bestehender Rechtsschutzversicherung- bereits am Anfang des außergerichtlichen Geschäts an einer solchen (unangemessen hohen) Darlegungsschwelle scheitern.

Folglich sind dem arzthaftungsrechtlich geschädigten VN auch entsprechende Darlegungserleichterungen im Rahmen seines Feststellungsantrages in der Deckungsklage zuzubilligen, sofern aus der Klagebegründung irgendwie hervor geht, welche Ärzte theoretisch haftbar wären.

Zur Kernaussage 2: Schadensersatzrechtsschutz im Produkt-/Arzthaftungsrecht

a. Rechtsschutz für Arzthaftung; Anwendbarkeit von § 2a und § 2d ARB

Der Rechtsschutzfall der Klägerin bzgl. der Arzthaftung, der sich -wie hier- gegen die deliktisch haftenden Ärzte richtet, ist grds. als Deliktsrecht und damit grds. als sog. Schadensersatzrechtsschutz nach §§ 2a, 4 I) a) ARB einzustufen.

Der vorliegende RS-Fall wird hier aus mehreren Gründen nicht über § 2d ARB als Vertragsrechtsschutz zu qualifizieren sein, selbst wenn der Schaden auch auf einer Vertragsverletzung beruhen könnte.

aa. Transparenz der Klauseln §§ 2 a) und d)

Zunächst einmal sind die hier verwendeten Klauseln des § 2a und § 2d ARB für den durchschnittlichen VN nicht transparent iSd § 307 BGB[5], da sich in beiden Regelungen jeweils eine Verweisung auf die jew. andere Regelung befindet und der VN nicht erkennen kann, ob § 2 a bzw. § 2 d ARB nun jeweils eine Spezialregelung oder nur ein Auffangtatbestand darstellt, vgl:

a) Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatz- und Unterlassungsansprüchen, soweit diese nicht auch auf einer Vertragsverletzung oder (…) beruhen.

 

d) Rechtsschutz im Vertrags- und Sachenrecht

für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus privatrechtlichen Schuldverhältnissen und dinglichen Rechten sowie …, soweit der Versicherungsschutz nicht in den Leistungsarten a) (…) enthalten ist.

Diese bislang in der Literatur noch nicht diskutierte Problematik wurde vom Landgericht München I bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

Dem VN steht hier dann die Möglichkeit offen, sich auf die für ihn günstigere Regelung zu berufen, hier also die Regelung des § 2a ARB iVm § 4 I a) ARB (Folgeereignistheorie im Schadensersatzrechtsschutz).[6]

bb. Grundsatz: Arzthaftung als Schadensersatzrechtsschutz

Desweiteren ist zu berücksichtigen, dass die in Anspruch zu nehmenden angestellten Klinikärzte hier keine vertraglichen Beziehungen iSd § 2 d) ARB zur Klägerin hatten und daher nicht der Vertragsrechtsschutz, sondern der Schadensersatzrechtsschutz des § 2 a) ARB einschlägig ist.

Denn der ärztliche Behandlungsvertrag kam hier ausschließlich mit der (nicht in Anspruch genommenen) Klinik R. zustande, so dass die in Anspruch genommen angestellten Ärzte gerade nicht aus Vertrag haften.

Die Klägerin durfte auch ihr begründetes Wahlrecht bzgl. ihrer potentiellen Haftungsgegner ausüben, sie durfte den Rechtsschutzfall insoweit gestalten[7]. Nach § 17 III ARB obliegt es dem Versicherungsnehmer „seinen“ Rechtsschutzfall dem RS-Versicherer zu melden.

Im Schadensersatzrechtsschutz entscheidet zunächst der Versicherungsnehmer, welche seiner Ansprüche und in welcher Höhe er diese gegen welche Haftungsgegner richten möchte. Damit gestaltet zunächst der Versicherungsnehmer subjektiv den Rechtsschutzfall, sofern objektiv sein begehrter Rechtsschutzfall rechtlich schlüssig ist.[8]

Auch gem. Wortlaut des § 2 (a) ARB ist allein die Geltendmachung „durch den Versicherungsnehmer“ maßgeblich, d.h. der Rechtsschutzfall wird letztlich dadurch bestimmt, aufgrund welcher Vorschriften und gegen welche Haftungsgegner die Schadensersatzansprüche „geltend gemacht“ werden.[9]

Hieraus folgt, dass Arzthaftungsfälle regelmäßig als Schadensersatzrechtsschutzfälle einzuordnen sind und der Vertragsrechtsschutz in diesen Fällen nicht einschlägig ist.

Meistens geht es in diesen Arzthaftungsfällen zunächst um Aufklärungsverschulden (und ggf. davon rechtlich isoliert zu prüfen auch um Behandlungsfehlervorwürfe).

In der Arzthaftung ist der zeitlich vorangehende (und damit für den Rechtsschutzfall maßgebliche erste) Vorwurf in der Regel die fehlerhafte Aufklärung durch den aufklärenden Arzt und die dadurch bleibende Rechtswidrigkeit des folgenden körperlichen ärztlichen Eingriffes.

Ein solches Aufklärungsverschulden eines Arztes ist aus Sicht des verständigen VN dann dogmatisch gesehen dem Deliktsrecht zuzuordnen, da durch das Aufklärungsverschulden ein rechtswidriger Eingriff im Sinne des §§ 823 I, 823 II BGB, 223 StGB begangen wird.[10]

Diese Rechtsansicht wird zutreffend beispielsweise bestätigt auch durch Rechtsprechung des OLG Stuttgart.[11] In dem dortigen (zahnmedizinischen) Fall lag nach Beweisaufnahme ein Aufklärungsmangel (die zugrunde liegende Arztbehandlung selbst ist für dessen dogmatische Einordnung nicht relevant) vor und der Anspruch auf Schmerzensgeld wurde zutreffend auf §§ 823, 253 BGB, mithin auf Deliktsrecht, gestützt.

Aber auch in denjenigen Arzthaftungsfällen, in denen es ausnahmslos nur um Behandlungsfehlervorwürfe oder Befunderhebungsfehler u.ä. (also nicht auch um Aufklärungsfehler) in einer Klinik geht, wird regelmäßig aus anderem Grunde der Schadensersatzrechtsschutz (und nicht der Vertragsrechtsschutz) einschlägig sein.

Denn ein geschädigter Patient wird grds. (wenn er gut beraten ist) primär immer (nur) gegen die behandelnden Klinikärzte direkt vorgehen, um diese als Partei – und eben nicht als Gegenzeugen – im Arzthaftungsprozess vor sich zu haben.

Da der Patient zum mithaftenden Arztpersonal der Klinik meist keine vertragliche Beziehung hat (denn der stationäre Behandlungsvertrag kommt -wie im vorliegenden Fall- meist nur mit dem Rechtsträger des Klinikums zustande, d.h. gerade nicht mit dem Arztpersonal), ist sein Verhältnis zu den in Anspruch genommenen Schädigern dann deliktischer Natur.

Folglich ist dann nicht Vertragsrechtsschutz nach § 2d) ARB, sondern der Schadensersatzrechtsschutz nach § 2a) ARB einschlägig.

b. Rechtsschutz für Produkthaftung; Anwendbarkeit von § 2a und § 2d ARB

Auch der vorliegende Rechtsschutzfall gegen den Implantatehersteller ist hier als Schadensersatzrechtsschutz (und nicht als Vertragsrechtsschutz) einzustufen.

Denn es geht dabei um eine Haftung nach § 4 MPG gegen den Hersteller (vgl. § 5 MPG), welche rein deliktischer Natur ist. Dies gilt entsprechend auch für das ProdHaftG.

Auch durch die Erteilung einer Herstellergarantie kommt kein Vertrag mit dem behandelten Patienten zustande. Ein solches Garantieversprechen in den Produktunterlagen des Herstellers führt nämlich gerade nicht zu einem Vertragsverhältnis des Herstellers mit dem Patienten, da es für einen solchen Vertragsschluss bereits am gegenseitigen Austausch diesbzgl. Willenserklärungen fehlt. Denn der Patient erwirbt diese Implantate nicht vom Hersteller, sondern er erwirbt diese im Rahmen des Behandlungsvertrages direkt von der Klinik. Sein Verhältnis zum Hersteller ist ebenso rein deliktischer Natur.

c. Beweislast

Eine vertragliche Haftung und damit die Anwendung der für den VN ungünstigeren Spezialregelung des Vertragsrechtsschutzes nach § 4 I) c) ARB muss der Versicherer beweisen.

Die Beweislast für den Einwand der Beklagten, die Klägerin würde (auch) eine Geltendmachung gegen die vertraglich haftende Klinik begehren und es würde damit die den § 2 a ARB verdrängende Spezialvorschrift des § 2 d ARB vorliegen, trägt hier die Rechtsschutzversicherung.

Denn es handelt sich bei diesem Einwand gerade nicht um einen Fall der positiven Beschreibung des versicherten Risikos iSd § 2 ARB, für den der VN grds. die Beweislast trägt.[12]

Denn diese positive Beschreibung des versicherten Risikos hatte hier die Klägerin bereits erbracht, indem sie (auf erster Stufe) schlüssig die für eine Haftung notwendigen Tatsachen vortrug und sich darauf berief, dass sowohl ihre Ansprüche gegen die Ärzte, als auch ihre Ansprüche gegen den Hersteller allein dem Schadensersatzrechtsschutz nach § 2a ARB zuzuordnen seien.

Damit berief sich die Klägerin schlüssig auf den Schutzbereich des § 2 a ARB.

Der Gegenvortrag der Beklagten, es sei hier § 2 d ARB anwendbar, welcher die Anwendung des § 2a ARB verdrängen würde, ist damit (auf zweiter Stufe) eine echte rechtsvernichtende Einwendung, für welche die Beklagte (die Rechtsschutzversicherung) die Beweislast trägt.[13]

Zur Kernaussage 3: Zeitliche Einordnung des RS-Falles, § 4 I ARB

Entscheidend für das vorliegende Schadensereignis ist allein der äußere Vorgang, der den Schaden unmittelbar herbeiführt oder der Eintritt des Verletzungszustandes, im Falle schadhafter Brustimplantate also das spätere Reißen der Implantatshülle (und nicht das zeitlich zuvor angesiedelte Implantieren der schadhaften Implantate).

Wie bereits erläutert  liegt der RS-Fall hier zeitlich im Versicherungszeitraum, da sich die Schadensfolgen erst im August 2011 realisierten und es hier gerade nicht auf die erste Ursache (Implantatsoperation) ankommt.

Denn für die Bestimmung des Rechtsschutzfalles ist hier nämlich die Folgeereignistheorie des § 4 Abs. 1a ARB einschlägig, vgl.:

„[…] im Schadenersatz-Rechtsschutz gem. § 2 a) von dem Schadensereignis an, das dem Anspruch zugrunde liegt.“

Dies entspricht der (alten) Formulierung des § 14 Abs. 1 S. 1 Muster ARB/75.[14]

Damit greift die für den Versicherungsnehmer günstigere Folgeereignistheorie der Muster ARB 1975 (im Gegensatz zu der Kausalereignistheorie der Muster ARB 2000).[15]

Folglich ist für den vorliegenden Rechtsschutzfall (erst) dasjenige Schadensereignis maßgeblich, welches aus dem tatbestandlichen (bspw. deliktischen) Handeln hervor geht bzw. der Primärschaden, der sich später aus dem pflichtwidrigen Handeln nach außen realisiert.[16] Maßgeblich ist das dem Schadenseintritt unmittelbar vorausgehende äußere Ereignis, d.h. hier also das Platzen (=Ruptieren) der Implantate und nicht etwas das Implantieren selbst. Hier ist unstreitig das Implantat erst im August 2011 gerissen und es liegt erst seither ein Primärschaden vor. Nur dieser Umstand ist demnach ausschlaggebend für die Frage des RS-Falles.

Die von der Bekl. ins Feld geführte Entscheidung des OLG Hamm vom 02.11.99 Az 20 W 26/99 zur Nichtanwendung der Folgeereignistheorie passte auf den vorliegenden Fall nicht. Denn in diesem Vergleichsrechtsschutzfall wurden nur die sog. Sekundärschäden (Eintritt des Verdienstausfalls) als Schadensereignis geltend gemacht. Eine solche weite Auslegung der Folgeereignistheorie auf Sekundärschäden ist freilich nicht vertretbar.

Im vorliegenden Fall geht es jedoch um den sog. Primärschaden (Implantatsruptur), welcher erst im August 2011 eintrat, und welcher im Sinne der Regelung als Schadensereignis = Folgeereignis iSd § 4 I a ARB zu verstehen ist.

Bei einem solchen Rechtsschutzfall aus ärztlichem Behandlungsfehler ist folglich nicht bereits der Behandlungsfehler, sondern erst der Beginn der Gesundheitsbeeinträchtigungen der zeitlich relevante Versicherungsfall.[17]



[1] Thomas/Putz, ZPO, 34. Aufl. 2013, § 253, Rn. 13

[2] Urteil des Landgerichts München I vom 09.02.2012, Az 12 O 20609-11

[3] entsprechend weist auch Bauer (in Harbauer, ARB-Kommentar Rechtsschutzversicherung, 8. Auflage 2010, Vor § 18 ARB 2000, Rn. 33) zutreffend darauf hin, dass dem geschädigten Patienten im Rahmen der Deckungsprüfung eines Arzthaftungsfalles erhebliche Substantiierungserleichterungen zukommen; vgl. auch OLG Celle VersR 2007, 204 und BGH VersR 2004, 1177; vgl. auch noch Harbauer, ARB-Kommentar Rechtsschutzversicherung, 8. Auflage 2010, § 17 ARB 2000, Rn. 34

[4] so auch Van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 5. Auflage 2012, S. 1434, Rn. 494 (m.w.N.)

[5] vgl. Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, Vorbem. I, Rn. 97ff.

[6] vgl. Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, Vorbem. I, Rn. 124ff.

[7] so auch Van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 5. Auflage 2012, S. 1351, Rn. 405 (m.w.N.)

[8] Harbauer, ARB-Kommentar Rechtsschutzversicherung, 8. Auflage 2010, § 4 ARB 2000, Rn. 43

[9] , vgl. auch Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 8. Aufl., § 2 ARB 2000, Rn. 34.

[10] Palandt, BGB, 67. Auflage, § 823, § 151 ff

[11] OLG Stuttgart, Urteil vom 22.12.2011, Az. 1 U 183/10.

[12] Harbauer, ARB-Kommentar Rechtsschutzversicherung, 8. Auflage 2010, § 2 ARB 2000, Rn. 4

[13] Thomas/Putz, ZPO, 34. Aufl. 2013, Vorbem. § 284, Rn. 23

[14] vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Auflage 2010, § 14 ARB 75, Rn. 6ff.

[15] vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Auflage 2010, § 14 ARB 75, Rn. 8ff.; Van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 5. Auflage 2012, S. 1410, Rn. 400ff. (m.w.N.)

[16] Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, ARB / II § 4, Rn. 146.

[17] Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, ARB / II § 4, Rn. 146: Hamm VersR 2000, 450; AG Düsseldorf, ZfS 89, 167; LG Wiesbaden VersR 95, 659

Last updated by Michael Graf at 11. Oktober 2013.


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