Rechtfertigende Pflichtenkollision

Erstellt am 2. April 2015 von Juraeinmaleins @juraeinmaleins

Ein rechtfertigende Pflichtenkollision liegt vor, wenn die zu handelnde Person sich in einer Lage befindet, bei der sie eine Pflichtverletzung begeht, wie auch immer sie sich entscheidet. Also sollten zwei Handlungspflichten aufeinander treffen, die Person sich allerdings nur für eine der beiden entscheiden kann, so ist eine Pflichtenkollision gegeben.

Die rechtfertigende Pflichtenkollision stellt einen besonderen Rechtfertigungsgrund bei Unterlassungsdelikten dar, da diese Konstellation nicht im Gesetz geschrieben ist, sondern ein gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtfertigungsgrund ist.

Schauen wir uns dazu ein Beispiel an:

Vater V ist auf dem Weg nach Hause und als er ankommt, sieht er sein Haus in Brand stehen. 14-jähriger Sohn S und seine Freundin F befinden sich beide im Haus, allerdings in zwei verschiedenen Zimmern. Vater V muss sich nun entscheiden, wen er rettet, denn das Feuer ist mittlerweile schon so stark verbreitet, das für eine Rettung beider die Zeit nicht ausreicht um lebend heraus zu kommen. V entscheidet sich für seinen Sohn.

Bei der Strafbarkeit des V im Bezug auf F würde man dann eine Prüfung der rechtfertigenden Pflichtenkollision unter dem Punkt “Rechtswidrigkeit” machen. Auf Grund der Garantenpflichten des Vater zu seinem Sohn aus § 1626 ff. BGB wäre hier eine rechtfertigende Pflichtenkollision gegeben.

Wer den Terrorfall aus Staatsrecht: Grundrechte kennt, der weiß, dass Leben gegen Leben nicht abwägbar ist. Allerdings muss beachtet werden, dass eine Garantenpflicht einen höheren Rang hat, als eine Hilfeleistung aus § 323c StGB.

Um den Wert der kollidierenden Pflichten zu ermitteln, gibt es einige Anhaltspunkte:

  • Es müssen die gefährdeten Rechtsgüter abgewogen werden (Leben, Gesundheit, Eigentum)
  • Garantenpflicht oder Hilfeleistungspflicht?
  • Distanz der Gefahrenquelle bzw. der zu rettenden Person.
  • Wie hoch ist die Gefahr des Schadenseintritts beider Parteien?

Subjektiv muss der Täter in Kenntnis der rechtfertigen Pflichtenkollision gehandelt haben.

Prüfungsschema:

  1. Objektive Voraussetzungen
    1. Notlage
      1. Kollision zweier Handlungspflichte
      2. Rangverhältnis der Handlungsplichten
    2. Erfüllung einer Handlungspflicht, Nichterfüllung der anderen
  2. Subjektive Voraussetzung
    1. Kenntnis der rechtfertigenden Pflichtenkollision

Zurück zum Ausgangsfall: hätte V die Freundin des S gerettet, weil er dachte, dass es sich um seinen Sohn handelt, dann läge ein Erlaubnistatbestadsirrtum vor. Hätte er die F gerettet, weil er dachte, er müsse sie vor seinem Sohn retten, so läge ein Erlaubnisirrtum vor.