Ich könnte ein Unternehmen eröffnen, welches als einzigen Geschäftsgegenstand hat, Informationen darüber zu verbreiten, dass die Erde eine Scheibe ist.
Nun gehe ich zu einem Rechtsanwalt und bitte ihn, Tausende Abmahnungen an Verlage, Website-Betreiber und Wissenschaftler zu versenden die in ihren Publikationen behaupten, dass die Erde rund sei.
Daran hindern kann mich niemand. Und es ist für den Anwalt selbstverständlich, eine Drohkulisse aufzubauen, in der dem Empfänger klar gemacht wird, dass er die Kostennote von 1000 EUR zu tragen hat – ansonsten kommt auf ihn eine noch sehr viel kostspieligere rechtliche Auseinandersetzung zu.
Alle angeschriebenen werden zusätzlich in einer strafbewährten Unterwerfungserklärung versichern müssen, dass sie nie wieder behaupten dürfen, dass die Erde rund ist. Sollten sie dagegen verstoßen, sind sie dazu verpflichtet mir 500.000 EUR zu zahlen.
Zahlt nur 10% die Kostennote, kann man sich bei den Tausenden Empfängern bereits einen recht lukrativen Verdienst ausmalen. Denjenigen, die nicht zahlen, wird eine einstweilige Verfügung zugestellt, die ebenfalls der Empfänger zu zahlen hat. Diese kann auch leicht mit 1800 EUR zu Buche schlagen.
Es ist wohlbemerkt festgeschrieben, dass die Kostennote tatsächlich nur für die Anwaltskosten gedacht sein darf. Der Mandant hat also nichts davon. Da man jedoch bedenken muss, dass ich als Auftraggeber dieser Abmahnungen die Kosten zu tragen habe, wenn der Empfänger nicht zahlt, und zusätzlich auch noch Gerichtskosten etc. wenn ich meine Forderung durchsetzen will, wäre es sehr dumm für mich eine solche große Anzahl zu verschicken. Viele werden schließlich nicht zahlen.
Was für illegale “Sondervereinbarungen” darum in vielen Kanzleien zwischen Mandanten und Anwälten vereinbart werden, damit der Mandant zahlreiche Adressen zur Verfügung stellt, mag sich jeder Leser also selbst ausmalen.
Bekannt geworden ist so ein Fall jedoch bisher meines Wissens nach noch nicht. Es ist ja auch schwer nachzuweisen.
Bezeichnend finde ich in erster Linie, dass ein kurzer Brief eines Anwalts (mit geschätzter Vorarbeit von vielleicht 2 Stunden, was sich bei guter Software jedoch bei großen Mengen auf wenige Sekunden pro Brief beschränken dürfte) einige Tausend Euro wert sein soll.
Beschäftigen Sie sich längere Zeit geschäftlich im Internet, und tauschen Sie auch Erfahrungen mit anderen Webmastern aus, werden Sie in regelmäßigen Intervallen von Abmahnwellen hören, in denen zu ein und demselben Sachverhalt zigtausend Abmahnungen versendet werden.
Die Kosten der Rechnung (als Kostennoten bezeichnet) bemessen sich nach dem Gegenstandswert. Wenn Gegenstand der Sache ein Haus ist, welches 200.000 EUR kostet, richtet sich danach der Gegenstandswert.
Im Internet geht es jedoch seltener um Häuser. Hier geht es um Worte, Bilder und Formulierungen. Das ist sehr schön für Anwälte. Denn wieviel kostet ein Wort?
Anwälte mögen glatte Zahlen, und setzen meistens Gegenstandswerte von 25.000 EUR bis 250.000 EUR für eine Abmahnung an. Danach richtet sich die Rechnung, die sie an Sie schicken dürfen. Sollten Sie selbst einen Anwalt einschalten, richtet sich sein Honar meistens übrigens auch nach dem Gegenstandswert, den der gegnerische Anwalt vorgegeben hat.
Und wenn der Gegenstand im Internet 5 EUR pro Monat erwirtschaftet, darf der Anwalt als Gegenstandswert trotzdem 250.000 EUR angeben. Wenn es vor Gericht enden sollte, was es jedoch nur in wenigen Fällen tut, wird der Richter den Gegenstandswert senken. Wegen eines überzogenen Gegenstandswertes hat der Anwalt jedoch in der Regel nichts zu befürchten.
Eine, zumindest halbwegs seriöse, Abmahnung aufgrund einer Homepage wird in den seltensten Fällen überhaupt eine Summe von 50 EUR rechtfertigen, jedoch hat sich die Summe von meist 5001 EUR als Vetragsstrafe etabliert, um die Zuständigkeit eines Landgerichtes zu rechtfertigen. Bei kleineren Unternehmen (die besonders häufig abmahnen, da sie ohne Abmahnungen scheinbar kaum Umsätze zu verzeichnen haben) und Verstöße durch dieselben sollte die Vertragsstrafe nicht die Grenze von 1500 EUR überschreiten (vgl. Speckmann, Wettbewerbsrecht 2000, Rn. 1366). Bei den meisten Streitwerten die darüber liegen (und das ist bei fast allen der Fall), erkennt man die eigentliche Ambition des Rechtsanwaltes.
Sie entnehmen meinen polemischen Ausführungen, wie meine persönliche Einstellung zum Rechtsmittel der Abmahnung in Deutschland ist. Dies liegt zum einen daran, dass ich keinen Unternehmer in den neuen Medien kenne, der noch keine erhalten hat, und zum anderen daran dass Anwälte in anderen Ländern von so einer einfachen Art Geld zu verdienen nur träumen können.
Dies beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Abmahnungen – Anwälte, z.B. in den USA, kennen etwas wie die deutsche BRAGO (dies ist die Gebührenordnung für Rechtsanwälte) ebenfalls nicht. In den USA werden Anwälte tatsächlich nur nach der Qualität der erbrachten Arbeit bezahlt. Das ist hier unvorstellbar!
Viele Kritiker der Abmahnpraxis sagen, dass sie generell nichts gegen Abmahnungen haben, solange sie nicht missbräuchlich angewendet werden, und das Rechtsmittel durchaus eine Daseinsberechtigung besitzt. Ich sehe keinen Grund, sich nicht von ihr gänzlich zu verabschieden.
Kein Impressum ohne Umsatzsteuernummer auf einer Website rechtfertigt es, hunderte oder gar tausende Euros dafür auszugeben. Wenn es einen Mitbewerber wirklich so stört (ja warum eigentlich?), soll er seinen Anwalt alleine dafür bezahlen um dagegen vorzugehen.
Es ist unmöglich, auch nur halbwegs korrekte Statistiken darüber zu erstellen, jedoch ist es traurige Realität, dass in den letzten Jahren die Anzahl der ungerechtfertigten Abmahnungen übermäßig zugenommen haben.
Dies lässt sich ganz leicht dadurch begründen, dass Anwälte nur ein Wort in eine Suchmaschine eingeben müssen, und Millionen Möglichkeiten finden, abzumahnen.
Aber es muss nicht einmal ungerechtfertigt sein – es kann einfach nicht angehen, dass eine kleine Meinungsverschiedenheit mit derart hohen Summen gesühnt werden soll.
Ratio Legis vom §138 BGB ist es, den im Rechtsverkehr schwächeren vor einer übermäßigen Beanspruchung durch überlegene zu schützen. Ich habe noch nie eine Abmahnung gesehen, in der vor einem juristischen Laien keine Drohkulisse mit unzähligen Paragraphen und Geldsummen für Vertragsstrafen, die kaum ein Mensch jemals in der Hand hatte, aufgebaut wurde. Leider ist eine Abmahnung ihrem Wesen nach kein Rechtsgeschäft, was §138 hier nicht greifen lässt.
Die Meinung der Gerichte über Abmahnungen ist hinlänglich geklärt. Abmahnungen sind laut deren Meinung zulässig, oftmals im Wettbewerbsrecht notwendig und regelmäßig kostenpflichtig. Das ist auch so bei Massenabmahnungen. Jedoch entfällt bei diesen in einigen Fällen die Pflicht die Kosten hierfür zu tragen. Mahnt nämlich ein großes Unternehmen ab, so sind viele Gerichte der Meinung, dass diesen auch zuzumuten ist, selbst (kostenlos) abzumahnen.
Positiv möchte ich hier die Freenet AG erwähnen, die auf Urheberrechtsverstöße gegen sie aufmerksam wurde. Sie hat nicht die juristische Keule mit 1000-Euro-Kostennoten geschwungen, sondern souverän einen Brief verschickt, in dem die betreffenden gebeten wurden, innerhalb eines bestimmten Zeitfernsters die Missstände zu beheben. So kann es auch gehen!
Weil klar kommuniziert wird, dass bei Nichtbeachtung an juristischen Wegen nichts vorbei führt, zeigen solche Briefe die selbe Wirkung wie kostenpflichtige Abmahnungen.
Vor allem bewahrt man sich potentielle Kunden. Denn es wird wohl kaum jemanden geben, der noch Produkte einer Firma kauft, für die er einen Kredit aufnehmen musste um eine Abmahnung zu bezahlen.
Freenet hat meinen uneingeschränkten Respekt für diese Geschäftspolitik, die in Deutschland leider eine Seltenheit ist.
Sollten Sie selbst eine Abmahnung erhalten, gleich ob berechtigt oder unberechtigt, unterschreiben Sie die beigefügte Unterwerfungserklärung auf garkeinen Fall!
Sollte die Gegenseite einen berechtigten Missstand aufgezeigt haben, macht es Sinn diesen zunächst einmal zu beseitigen.
Gehen Sie zu einem Anwalt Ihres Vertrauens, und zeigen Sie ihm die Abmahnung. Ihr Hausanwalt, oder der Anwalt aus Ihrer Nähe wird der richtige Ansprechpartner für Arbeitsrecht oder Familiensachen sein – vom Internet versteht er meistens jedoch nichts. Selbstverständlich wird auch er sich gerne Ihres Falles annehmen, tun Sie sich selbst jedoch einen gefallen, und suchen Sie einen Anwalt, der auf den Gebieten des Handelsrechts, Design- Medien- Internet- und IT-Rechts vertraut ist. Je nach Fall, jedoch bei Abmahnungen auch sehr häufig, sollte er auch einiges vom Urheberrecht verstehen.
Auch wenn Sie etwas länger fahren müssen, um persönlich mit ihm zu sprechen, wird es sich lohnen.
Wenn die Abmahnung ungerechtfertigt ist, können durch ihn entsprechende Schritte wie eine negative Feststellungsklage (hierbei wird festgestellt, dass der angebliche Unterlassungsanspruch nicht besteht), oder sogar eine Beschwerde bei der zuständigen Kammer des Abmahnanwalts eingereicht werden (aus eigener Erfahrung weiss ich, dass dies so gut wie nie gemacht wird, und wenn, auch dann nichts geschieht. Eine Krähe hackt der anderen nicht die Augen aus).
Sollte die Abmahnung gerechtfertigt sein, sollten Sie die Unterwerfungserklärung dennoch nicht unterschreiben. Lassen Sie immer einen eigenen Anwalt die Lage sichten.
Im Folgenden sehen Sie einige der beliebtesten Abmahngründe. Die Aufzählung erhebt keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit – wenn Abmahnanwälte nach Möglichkeiten suchen, Geld zu verdienen, werden sie sehr kreativ.
Übrigens eine Eigenschaft, die wir als Webmaster mit ihnen durchaus gemeinsam haben.