Es ist erstaunlich, mit welcher Verve die Medien aufarbeiten wollen, wie junge Menschen dem Salafismus zugetrieben werden. Wie konnte es nur so weit kommen, dass diese Leute nur noch hassen?, fragen sie sich. Weitaus weniger Aufwand betrieb man mit den rechten Terroristen, die »Döner-Morde« begingen. Zuerst verschleierte man mit tendenzieller Berichterstattung die wahren Hintergründe. Danach las man viel über den Prozess und ihre Taten. Wie sie aber wurden, was sie waren, hat eher nicht interessiert. Bundesrepublik, dieses Trio und all die Helfer, die Befürworter und Mitwisser, das waren und sind deine Salafisten! Und wenn du verstehst, wie sie so werden konnten, dann überdenke dich selbst.
Spiegel, 37/1991
Ein Rückblick im Zeitraffer: Deutschland brennt während und nach der Wendezeit. Das Boot ist mal wieder voll. Zu viele Ausländer kommen angeblich ins Land. Zwischen 1990 und 1992 stürmen Skinheads Asylbewerberheime in der ganzen Republik. Die Union hat gewissermaßen Verständnis. Sie kann den Beifall des Mobs nachvollziehen. Es mag zwar nicht die feine Art sein, aber man erntet ja nur, was der linke Zeitgeist mit seiner Asylpolitik und seinem Multikulti versaut hat. Die Verantwortungslosigkeit der Konservativen ist erschreckend. Volker Rühe schreibt seine Kollegen an, sie sollten doch mal in den Länderparlamenten nachfragen, ob »Asylbewerber in Hotels oder Pensionen untergebracht« wurden und »zu welchen Kosten« und nimmt in Kauf, dass Öl ins Feuer gegossen wird. Ferner sollen laut Rühe die Ortverbände nach Fällen Ausschau halten, bei »denen Asylbewerber staatliche Leistungen unberechtigterweise« erhalten. Er trägt damit zum Klischee des kriminellen Ausländers bei und strukturiert die Hetze.Kohl lädt zum Kanzlergespräch und will die Änderung des Asylparagraphen, eine Drittstaatenregelung, die Deutschland eine Pufferzone verspricht. Rühe macht wieder deutlich, was er von den Sozialdemokraten fordert: »Wenn sich die SPD [...] verweigert, ist jeder Asylant nach diesem Tag ein SPD-Asylant.« Golo Mann, selbst Sohn eines Flüchtlings, sieht es ähnlich und diktiert nach der Ausländerjagd von Hoyerswerda der »Welt am Sonntag«: »Bei weitem das Beste wäre es, die Grenzen derart zu schützen, dass sie gar nicht erst kommen können.« Die Mauer war gerade erst gefallen, doch schon will Mann eine neue. Wie der Justizminister von Mecklenburg-Vorpommern (CDU). Der glaubt nämlich auch, dass eine neue Mauer notwendig werde, denn »was uns überschwemmen wird, geht bis in die Türkei«. Und Arnulf Baring sagt der »Bild«, dass »selbst die Asylgewährung nicht das Recht auf eine Sozialhilfe einschließe, wie sie Deutschen zustehe«.
Währenddessen wüten die rechten Schläger weiter. Ausländer kommen zu Tode. Der Aufschrei erfolgt leise. Die »Bild« meldet: »Fast jede Minute ein neuer Asylant.« Mehr Sorgen bereitet das Boot, das nicht absaufen soll. Ein NPD-Mann sagt vor laufender Kamera, dass er »mit diesen Händen [...] die Gashähne wieder aufdrehen« werde. Diese Aussage ist jedoch kein Imageschaden. Die Rechten ziehen in jenen Jahren in einige Landtage ein. Auch im Westen des Landes. Sie haben Oberwasser. Ein Mordprozess gegen eine Gruppe Skinheads, die einen Kosovo-Albaner erschlugen, dokumentiert die Stimmungslage. Der Mann lebte über 20 Jahre in der Bundesrepublik. Der »Spiegel« zitiert einen Zeugen: »Sie haben eigentlich das gemacht, was alle denken. Gegen Scheinasylanten ist doch jeder. Das ist doch ganz normal.« Dasselbe Magazin berichtet, dass 34 Prozent aller Bundesbürger Verständnis für rechtsradikale Tendenzen haben.
»Es ist viel Abschaum an Kriminalität in die Stadt gekommen, von China, über Russland, Rumänien und so weiter«, sagt der Fraktionsvorsitzende der CDU im Abgeordnetenhaus. Er spricht von Ratten und Gesindel und Verwahrlosung. Er klingt wie einer dieser Neonazis und trifft den Nerv der Zeit. Und wer sich zusammenreißt und nicht so klingt, der verharmlost und tut so, als handle es sich um leicht verstörte Spielkinder. So wie der Rostocker CDU-Bürgermeister, der nach dem Pogrom sagt: »Es ist völlig klar, dass hier unkontrolliert große Mengen an ausländischen Leuten zu uns gekommen sind. Das sind Leute mit Lebensgewohnheiten, die man auch nicht einfach umkrempeln kann, die aber auch nicht unbedingt die Zustimmung der Anwohner haben.« Der Fraktionsvorsitzende der CDU aus Mecklenburg-Vorpommern schließt sich ihm an. Denn dass die Ausländer »unsere Sitten und Gebräuche nicht kennen und vielleicht gar nicht kennen wollen, stört die Befindlichkeit unserer Bürger.«
Kohl mischt sich ein. Er ergreift aber nicht Partei für die Opfer rechter Übergriffe. »Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten [...] Wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgreifenden Vertrauenskrise gegenüber unserem Staat, ich sage mit Bedacht: ja, eines Staatsnotstandes.« Handeln heißt Änderung des Asylparagraphen. Nicht der Neonazi muss lernen, dass die Welt sich verändert hat, er bekommt eine Welt verwirklicht, die so rein ist, wie er sie sich wünscht. So könnte man die Logik der Konservativen aus jenen Tagen zusammenfassen.
Und es brennt weiter. Menschen sterben in Flammen. Drei Tage nach dem Brandanschlag in Mölln hofiert Gottschalk den Vorsitzenden der Republikaner in seiner »Late Night«. Und kapitulierte, wie der »Spiegel« feststellt. Einige Monate später ein ähnlicher Fall in Solingen. Wieder Tote. Nicht nur der Osten versinkt also im rechten Sumpf. Im Westen grölen auch die Schaulustigen. Viele geben sich zwar empört, verstehen aber doch gut, wie es dazu kommen konnte. Ein Polizist sagt der »FAZ«, dass man »betrunkene Jugendliche nicht zu Skinhead-Banden hochstilisieren« dürfe. Der Berliner Innensenator Lummer (CDU) spricht sich offen gegen »eine Utopie einer multikulturellen Gesellschaft« aus. Man unterstelle Deutschen »völlig zu Unrecht Ausländerfeindlichkeiten«. Den Beifall für die Schläger und Mörder will er nicht sehen. Der Bundeskanzler sorgt sich nach Solingen erneut. Jetzt sei Aufklärungsarbeit notwendig, »um den Anschein neonazistischer Gefahr in Deutschland entgegenzutreten«. Seit der Wiedervereinigung vor zweieinhalb Jahren gab es mindestens 26 Todesopfer rechter Gewalt. Aber der Kanzler spricht weiterhin vom Anschein einer solchen Gefahr. Als sei nichts gewesen ...
In diesem Klima reiften Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Es waren die Jahre ihrer Sozialisation. Reifejahre. Damals statteten sich die Deutschen mit einem neuen Selbstbewusstsein vor der Welt aus. Ein bisschen so wie heute, wo man auch jemand sein möchte und ein neues Sendungs- und Selbstbewusstsein kultiviert. Die drei Terroristen waren Kinder dieser Ära. Von ihr haben sie sich nie erholt. Dort lag der Keim ihrer Radikalisierung. Die Menge, die klatschte, die keinerlei Mitgefühl zeigte, die rassistische Thesen mit Anerkennung zollte - all das hat sie geprägt. Ihre Taten legitimierten sie mit den Empfindungen jener Tage. Die spätere NSU ist nicht denkbar ohne diese Zeit, die man heute gerne wegwischt, als sei sie ein Zwischenspiel ohne nennenswerte Konsequenzen gewesen. Doch die Konsequenz aus dieser Zeit ermordete später mehrere türkische Kleinunternehmer.
Zschäpe, Mundlos & der spätere
NPD-Chef Apfel auf einer
Neonazi-Demo, 1996
All das weist diesen jungen Menschen den Weg. Gibt die Richtung vor. Der rechtsextreme Terror ist nicht vom Tisch. Diese Gesellschaft »verhandelt« über ihn. Unbewusst. Die aktuelle Lage zieht neue Mörder heran. Beate sitzt im Knast, die beiden Uwes sind tot. Der Preis für die wilden Jahre nach der Wende ist bezahlt. Er war hoch. Wann bezahlen wir den Preis für heute? Wie teuer mag es werden? Wir sollten nicht glauben, dass diese Stimmung, die pogromartige Atmosphäre gegen Roma und die Abkehr von Europa ein konsequenzloses Zwischenspiel bleibt. Das haben wir schon mal geglaubt. Die Geheimdienste haben brav entwarnt und die Polizei die Augen verschlossen und wir haben uns mit der Vorstellung eingerichtet, dass es keinen rechten Terror mehr gibt. Wir glaubten es überwunden zu haben. Wie heute. Die Rechnung stellt man uns noch zu.
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