Recep Tayyip Erdoğans Eiertanz zwischen EU, SCO, Israel und der Arabischen Welt.

Er ist bekannt als Mann der starken Worte und Taten. Konsequenz hingegen scheint nicht zu seinen Stärken zu gehören? Eher nutzt er situativ sich ihm anbietende Optionen. Er will in die EU, zumindest voll mitreden und entscheiden in ihren Institutionen. Gleichzeitig bremst er die Verbreitung europäischer Werte und Gesetze in der Türkei. Er fordert und droht und ist doch mehr von Europa abhängig als umgekehrt. Er ist der Beitrittskandidat, der schon vor dem Beitritt Bedingungen stellt. Er will immer eine Extrawurst. Die große Türkei soll sich wie Slowenien durch das Beitrittsprocedere wursteln? Wie das? Nun, zumindest wäre es das Ende demokratischer Prozesse in der EU zu Lasten nationaler Eigeninteressen. Die einzig denkbare Alternative für die EU mit der Türkei wäre deren drastische Reduzierung auf eine gemeinsame Wirtschaftszone und sonst nichts, das pure britische EU-Modell des David Cameron, der darum ja auch einen türkischen EU-Beitritt befürwortet.

Recep Tayyip Erdoğans Wirtschaft ist (zumindest noch!) hauptsächlich auf Europa ausgerichtet. Die sogenannte strategische Bedeutung der Türkei für Europa bedingt existentiell Krisen und Gegensätze an den Grenzen der Türkei. Wäre dort alles ruhig, könnten dort nicht bei Bedarf Krisen geradezu abgerufen werden, dann sänke die strategische Bedeutung der Türkei für Europa nahezu gegen Null. Was Europa interessierte, das hat es schon dem Osmanischen Imperium im Ersten Weltkrieg abgenommen. Die Türkei ist ein interessanter Absatzmarkt für die europäische Industrie, aber das war sie schon zu Zeiten der Baghdad-Bahn.

Erdoğan spielt die SCO-Karte gegen Europa aus, das heisst, zumindest wenn die SCO ihn lässt? Was könnte er der SCO bieten? Wie harmonisierte die türkische Wirtschaft hinsichtlich Angebot und Kosten mit der sehr viel leistungsfähigeren Wirtschaft von Teilen der SCO?

Seit Jahren versucht Erdoğan die an Energie arme Türkei als Energiehub, bzw Transitroute für Energie aus Zentralasien und dem mittleren Osten anzupreisen. Die Pipelineprojekte kommen teilweise nicht so recht voran, denn Erdogan möchte überall mitreden und Bedingungen stellen. Wer würde auch einem so unsicheren Kantonisten freiwillig ein Absperrventil in die Hand geben wollen? Wer braucht eine zweite Ukraine im Nahen Osten?

Sollte er es aber schaffen die Seiten zur SCO zu wechseln, dann wären alle seine Energie-Transit-Pipeline-Räume wohl schlagartig ausgeträumt, denn die Umleitung der Energieströme nach Asien wäre sicher die erste Maßnahme, welche die SCO aus eigener Logik durchführen würde? Die Konsequenz: Die Türkei würde von einem großen und bevölkerungsstarken Land an der Peripherie Europas zu einem großen aber bevölkerungsmäßig im Vergleich zur SCO eher kleinen und unbedeutenden Land an der Peripherie der SCO. Was hätte sie damit gewonnen?

Die nun gar nicht mehr so schleichende Islamisierung der Türkei aus Überzeugung oder aus dem Wunsch heraus in der arabischen Welt eine Vorreiterrolle zu übernehmen, sind ein ebenso zweifelhaftes Projekt. Die arabischen Länder, die einst zum Osmanischen Imperium gehörten, können es gar nicht abwarten, wieder von den Türken dominiert zu werden? Da hat wohl einer geträumt? Die Verwirklichung des “vorbildlichen türkischen Modells” zur Demokratisierung der arabischen Länder lässt bisher auf sich warten.

Der Islamistische-Kurs der AKP hat allerdings die innenpolitische Macht des türkischen Militärs und den Kemalismus gebrochen und damit gleichzeitig die traditionelle europäische Orientierung geschwächt. Diesem Zweck geopfert wurden anscheinend auch die einst recht guten türkisch-israelischen Beziehungen. Nur wirtschaftliche oder militärische Interessen können diesen Trend der letzten Jahre womöglich bremsen.

Die von Obama jüngst erzwungene israelische Entschuldigung für das Mavi-Marmara-Massaker der IDF haben hier lediglich eine Vorbedingung für neue Kontakte geschaffen. Dieser Annäherung an Israel  setzt Erdogans gleichzeitiges Bemühen, sich zum Anwalt der Palästinenser zu machen, enge Grenzen. Sein bevorstehender Besuch in Palästina wird hierzu gewiss neue Erkenntnisse bringen?

Die Nagelprobe wird kommen mit der Ausbeutung der unterseeischen Gasressourcen im Östlichen Mittelmeer. Hier haben Israelis und Zypern-Griechen schneller reagiert und momentan die Nase vorn. Die Türkei versucht es jetzt mit den üblichen militärischen Drohungen und unsinnigen Forderungen nach einem Energie-Hub und -Transit. Flüssiggas muss natürlich keineswegs zwingend durch die Türkei nach Europa transportiert werden. Das ist lediglich eine von verschiedenen Optionen. Es kann grundsätzlich in alle Richtungen verschifft und verkauft werden.

Ein Konflikt mit Israel und Zypern über die Energieressourcen des östlichen Mittelmeeres würde die Türkei in Konfrontation mit der EU und speziell auch mit Deutschland führen, denn Israels Sicherheit ist bekanntlich deutsche Staatsräson, wie Frau Merkel dem kleinen nahöstlichen Gottesstaat öffentlich garantierte. Ob die gemeinsame Klammer NATO, der Israel schließlich nicht angehört, ausreichen würde, diesen potentiellen Konflikt unter Kontrolle zu halten, darüber kann spekuliert werden…

Die Türkei wird in 2013 vermutlich voll von den Folgen der europäischen Wirtschaftskrise erfasst werden? Die Inlandsnachfrage lahmt wegen der Verschuldung. Der Export in die EU lahmt wegen deren Krise. Man darf gespannt sein auf die Zahlen des ersten Quartals 2013. Aber eine Türkei mit rezessions- und strukturbedingten wirtschaftlichen Problemen, unter starkem innenpolitischem Druck, könnte neben den geplanten Verfassungsänderungen hin zu einer „Präsidialdemokratur á la Erdoğan“ versucht sein, mit Israel und den USA auf die militärische Karte zu setzen und aktiv oder passiv beim herbeigeredeten Angriff auf den Iran mitzuwirken. Wenn aber die politische Karte des Nahen und Mittleren Ostens neu gezeichnet wird, dann könnten allerdings auch die Unabhängigkeitsträume der Kurden schlecht unterdrückt werden? Kurdenstaat ja, aber bitte woanders! Das dürfte dann für die Türkei nicht funktionieren und ihre staatliche Integrität stünde zur Debatte? Die völlig unabsehbaren Folgen einer solchen Aggression gegen Syrien und den Iran könnten die Türkei im Ergebnis schwächen oder stärken. Hier kommt wieder der Zocker Erdoğan zum Vorschein…



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