Realität als Verhandlungssache - "Blow Up", Teil 2

Der von David Hemmings gespielte Fotograf ist einerseits ein vollendeter Macho der prae-feministischen Ära. Die oberflächliche Glamour-Welt, der er angehört, scheint ihn gleichzeitig zu langweilen, und an sich verachtet er diejenigen mit denen er zusammenarbeitet. „Ich kann die Fratzen von den blödem Weibern nicht mehr sehen“, gesteht er einem Freund. Auch wenn da viel Koketterie im Spiel ist – der Zynismus bleibt. In seinem Umfeld wird fast jede Frau zum anbiedernden Groupie, dessen Selbstwert in der Aura des Starfotografen wächst. Der nimmt sich die Welt, egal ob Frau oder Motiv. Bestenfalls fällt beides zusammen wie in der berühmten Szene mit Verushka, die auch auf dem Filmplakat abgebildet ist.

Doch trotz aller Überheblichkeit ist der Protagonist auf der Suche – vordergründig nach gewinnbringenden Motiven, hintergründig nach Wahrheit und Sinn. Die zunächst hemmungslos voyeuristisch fotografierte Szene im Park erregt auch in der Dunkelkammer seine Aufmerksamkeit, denn aufgrund einer Widersprüchlichkeit gerät er auf die Spur eines Mordes. In endlos scheinender Folge vergrößert er das fragliche Detail bis das Filmkorn einem abstrakten Kunstwerk gleicht. Ein solches hat der Betrachter bereits gesehen, im Atelier von Bill, der das Bild folgendermaßen erläutert: „Es hat keine Bedeutung. Erst später finde ich irgendwas, das mich daran fesselt. Dann wird alles auf einmal klar und fügt sich zusammen. So als ob man in einem Krimi eine Spur findet.“ Das ist eine Schlüsselszene des Films - der neben einem Generationenportrait nichts weniger als eine philosophische Parabel ist: Welche Bedeutung haben die Dinge, und haben sie überhaupt eine Bedeutung?

Das aufgeblasene (blow up) Detail schließlich zeigt Pistole und eine Leiche. Dieser Art begegnet der Fotograf dem Tod, was ihn nachdenklicher macht (und die von seinem arroganten Gehabe angenervte Betrachterin atmet erleichtert auf;-).
Der Regisseur findet Gefallen am Verwirrspiel mit der Wahrheit: Die Bilder, die vermeintlich die Realität abbilden und die Existenz der Leiche belegen, lässt er verschwinden bis auf eines. Vanessa Redgrave holt sie aus dem Studio und behauptet damit ihr Persönlichkeitsrecht. Dann ist auch die Leiche selber weg. Was ist nun wirklich passiert? War alles nur Einbildung? Ist Realität in Wahrheit ein Konstrukt, das nur für diejenigen Gültigkeit hat, die seine Spielregeln teilen? Das legt Antonioni nahe und verpackt diese Ansicht in das lyrisch- pantomimische Tennisspiel der Schlussszene. Dieses Spiel gibt es nur als Vereinbarung aller Beteiligten. Zunächst bleibt die Kameraführung außerhalb, dann folgt sie dem unsichtbaren Ball – bevor der Fotograf ebenfalls seine Zuschauerrolle verlässt und den imaginierten Ball aufs Spielfeld zurückwirft.
In dem rätselhaften Kaleidoskop, das dieser Film darstellt, nimmt die Fotografie einen Platz ein, der manche vielleicht überraschen mag: Keinesfalls steht sie für die objektive Wahrheit, sondern lediglich für des Fotografen Sicht auf die Welt. Die postulierte Objektivität gibt es nicht. Deutung, Bedeutung ist eine Vereinbarung, gewissermaßen Verhandlungssache.


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