Ramon Novarro singt

Erstellt am 15. November 2010 von Michael

THE PAGAN
USA 1929
Darsteller: Ramon Novarro, Donald Crisp, Dorothy Janis, Renée Adorée u.a.
Regie: W.S. van Dyck

Ein Südseedrama – ich hatte mich schon gefragt, was mir bloss durch den Kopf ging, als ich diesen Film bestellte.
Doch, es fiel mir wieder ein: Es war meine Lust, Unbekanntes zu entdecken, die Möglichkeit, dadurch überrascht zu werden.

Ein erster Blick in die DVD liess mich erschauern: Da hüpfte doch tatsächlich der damalige Star und Frauenschwarm Ramon Novarro halbnackt als neckischer Eingeborener durch die palmengesäumte Szenerie – singend!

Trotzdem nahm ich mir eines Abends Zeit für The Pagan – und erlebte tatsächlich eine angenehme Ueberraschung!

Doch zuerst: The Pagan wurde an Originalschauplätzen und on location auf den Paumotu-Inseln (franz. Polynesien) gedreht – einer von mehreren Filmen, für welche die Crew um Regisseur W.S. Van Dyke (Tarzan, the Ape Man, The Thin Man) exotische Schauplätze aufsuchte.
Zudem war dies der letzte Stummfilm Ramon Novarros, einer jener  Stummfilmstar, die den Sprung in den Tonfilm schafften und auch nach der Umstellung gut im Geschäft blieben.

Und: Novarros Stimme war in diesem Stummfilm zum ersten Mal zu hören – er gibt den damals berühmten Pagan-Song zum besten. Da Novarro ein ausgebildeter Sänger mit Opernambitionen war, konnte er den Gesangspart gleich selbst übernehmen. Sein Pagan-Song wurde zum ersten filmmusikalischen Hit der Filmgeschichte. Der Tonfilm war unerbittlich auf dem Vormarsch.

Nach dem Grosserfolg von The Jazz Singer (1927) stellten die Studios weltweit langsam aber sicher auf Tonfilm um; die Stummfilme, die noch in Arbeit waren, wurden mit Geräuscheffekten und vereinzelten Gesangseinlagen auf Tonfilm getrimmt.
The Pagan (und andere Filmen aus den Jahren 1927 – 1931) macht nacherlebbar und erahnbar, was die Kinogänger um 1930 durchgemacht hatten: Die Entwicklung des klingenden und sprechenden Films, welche die Kinogeschichte unwiederbringlich in eine neue Richtung geführt hat, der kurze Zeit tobende Konkurrenzkampf zwischen dem altbewährten, letztlich dem Untergang geweihten Stummfilm und dem modernen, revolutionären Tonfilm.
Für mich sind diese späten Stummfilme etwas besonderes, dokumentieren sie doch das letzte Aufbäumen einer Kunstform, die danach für immer verschwand.

Zu jener Zeit hatten viele dieser Stummfilme bereits einen eigenen integrierten “Soundtrack”, eine konservierte Musikbegleitung, welche es ermöglichte, dass Kinogänger im ganzen Land nicht nur dasselbe sahen, sonder auch dasselbe hörten. Diese originale Musikbegleitung ist hier erhalten geblieben und auf der DVD zu hören.

Zurück zum Film. The Pagan überrascht auf mehreren Ebenen:
Zum einen erzählt er auf recht subversive Weise die alte Geschichte vom edlen Eingeborenen: Der Bösewicht, der die verderbliche, profitorientierte westliche Kultur verkörpert, ist hier ein gottesgläubiger Kirchgänger, der sich auf christliche Grundwerte beruft.
Die andere Ueberrschung ist Ramon Novarro. Er verkörpert den “Eingeborenen” mit derart glaubhafter Naivität und sorgloser Kindlichkeit, dass es nicht mehr gestellt wirkt. Mich hat er damit vollkommen für seine Figur eingenommen. Ihm und seiner ähnlich agierenden und zudem bildschönen Partnerin Dorothy Janis ist es zu verdanken, dass die Geschichte überhaupt funktioniert und zu Herzen geht. Das Liebesgeplänkel zwischen den beiden gehört zu den bezauberndsten der Filmgeschichte. Nach dem Motto Was sich liebt, das neckt sich jagen sie sich wie zwei balgende Kinder gegenseitig haarezupfend oder sich Tritte verabreichend durch die Szenerie, ohne dass dies je peinlich erscheinen würde.

Der Bösewicht wird von Donald Crisp gegeben, einem Schauspieler/Regisseur, der bereits in D.W. Griffiths Broken Blossoms (1919) in einer ähnlichen Rolle unsere Abscheu erregt hat. Obwohl er privat offenbar ein absolut umgänglicher und herzlicher Mensch war, gerieten ihm Sanguiniker die auf der Leinwand stets unvergesslich glaubhaft. Was Novarro und Janis auf der Seite der Guten leisten, leistet er auf der Seite der Bösen: Unvergessliches.
Und um dem hervorragenden Schauspielerensemble die ganze Ehre zu erweisen sei auch noch Renée Adorée erwähnt, die genauso grossartig und mit ganzem Einsatz die Dorfhure verkörpert.

The Pagan lebt fast vollständig vom packenden Spiel seiner Hauptdarsteller. Mit weniger Herzblut wäre aus dieser Story nie der Film geworden, der sie nun unsterblich macht. Die herrlichen Bildkompositionen tragen auch das ihre zum positiven Eindruck bei, doch ohne diese vier SchauspielerInnen wäre heute von The Pagan wohl nicht mehr die Rede. Dies mag sicher auch das Verdienst des Regisseurs sein, der das Quartett offenbar zu Bestleistungen anzuspornen wusste.

Fazit: The Pagan ist kein Muss, kein Meilenstein, kein Kunstwerk. Aber er prägt sich ins Gedächtis ein und berührt mit einer ehrlichen Botschaft und engagiertem Spiel. The Pagan ist eine lohnende filmische Entdeckung. Nicht mehr und nicht weniger.
7,5/10

Die DVD: Die Bildqualität ist sehr gut, das Bild ist scharf und klar, mit sehr guten Kontrasten. Der Film wurde restauriert.

Als Musikbegleitung ist die MovieTone-Einspielung von 1929 zu hören.

Reginalcode: 0

Bestellung : Der Film stammt aus dem DVD-R Sortiment von Warner Archive Classics. Eine der wenigen und im Moment preisgünstigsten Möglichkeiten, ihn nach Europa zu bestellen bietet Turner Classics. Es lohnt sich auch, bei DeepDiscount reinzuschauen; je nach Angebot ist er dort günstiger.
Für Preisvergleiche, evtl. preisgünstigere Angebote und andere Fragen im Zusammenhang mit DVD-Bestellungen aus dem Ausland siehe auch die Tipps zur DVD-Bestellung im Ausland.

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